Portugiesische Verhältnisse nach den Parlamentswahlen 2015
Lousitanien ist anders ■ Zehn Tage nach der Nationalratswahl hat das Parlament (Assembleia da Republica) weder die Sitzverteilung noch das Wahlergebnis auf der Website des Hohen Hauses vorzuweisen. Noch viel komplizierter wird die Entstehung einer neuen Regierung werden. Da werden noch einige Regenschauer über das krisengeschüttelte Land an der rauen Südwest-Küste der iberischen Halbinsel ziehen.
Martin Wachter (UHUDLA) berichtet aus Lisboa
Zuerst die Fakten nach der Wahl
„Die Koalitionsregierung von Pedro Passos Coelho und Paulo Portas ist Geschichte. Die wurden abgewählt. Das war’s diesesmal für die Vereinigung Portugal a Frente” (PaF), analysiert Philipe das Wahlergebnis in einem Wirtshaus am Tag nach der Wahl. Zur selben Zeit berichten ORF, ARD und die meisten Medien in Österreich und Deutschland genau das Gegenteil. Sie melden, die konservative Regierung und das Wahlbündnis aus Sozialdemokraten und Christsozialen haben die Wahl gewonnen. Der Sparkurs wird fortgesetzt. Und dann war Schluss mit Berichterstattung. Manchmal tauchen noch Meldungen wie beispielsweise im ORF oder Standard auf, die weder Hand noch Fuss haben.
Portugal a Frente kann zwar mit 38,34 Prozent die stärkste Fraktion im Parlament bilden. Mit einem Stimmenverlust von über zwölf Prozent bleiben von den 129 nur 104 Mandate. Für die absolute Mehrheit fehlen mindestens zehn bis 12 Sitze. (Vier Mandate sind zehn Tage nach der Wahl noch immer nicht ausgezählt und vergeben – AuslandsportugiesInnen, Anmerkung des Autors). Die linke Parlamentshälfte und deren Parteien können sich auf einen Stimmenanteil von 52,26 Prozent und auf 122 MandatarInnen berufen. Eine „Kleinpartei” aus Tierschützern und Grünen konnte in Lissabon ein Mandat gewinnen. In der Hauptstadt werden 47 Sitze vergeben. So reicht dort ein Anteil von 2,13 Prozent für den Einzug ins Parlament. Das linke Lager hat schon jetzt sieben Mandate Überhang auf die Absolute. Würde reichen, nur will die PS die CDU-Kommunisten nicht haben. Mit 17 Abgeordneten sind diese eine Macht im Staate.
Was sagt der mächtige, aber wie viele PortugiesInnen meinen, politisch senile Präsident der Lousitanier Anibal Cavaco Silva zur Lage. Der 76jährige will auf keinem Fall einer Regierung mit kommunistischer Beteiligung zustimmen. Der Regierungsauftrag an noch Regierungs-Chef Passos Coelho hat sich in ein paar Tagen erledigt. Kein Vertreter der Opposition will mit dem Wahlverlierer zusammenarbeiten.
Quo vadis – Sozialdemokratische SozialistInnen
Wie schaut es bei den sozialdemokratischen Sozialisten (PS) aus. Ihr Chef Antonio Costa hat im Wahlkampf sowohl eine Koalition mit dem Wahlbündnis Portugal a Frente als auch mit den Kommunisten ausgeschlossen. Erstere Option ist erledigt. In zwei Verhandlungen zwischen PaF und PS gab es keine Übereinstimmnung. Mit der CDU hat sich Costa bereits abgesprochen. Die Kommunisten würden eine Minderheitsregierung unter der Führung der PS dulden, wenn diese der Sparpolitik ade sagt und einige armutsverschärfende Sozial- und Arbeitsrechtsgesetze mildert oder zurücknimmt. Besser verlaufen die Koalitionsgespräche von PS und BE. Da ist genug Trennendes vorhanden. Das gute Wahlergebnis der Linksblocks BE ist ein WählerInnenauftrag für linke Politik. Antonio Costa hat zur Zeit auch zwei parteiinterne Probleme. Der kleinere portugiesische und sozialistische Gewerkschaftsverband UGT will eine Regierungsallianz mit den Wahlverlierern PaF. Das verstehen viele PortugiesInnen nicht, weil die UGT hauptsächlich eine Beamtengewerkschaft ist und gerade diese Berufsgruppe durch das Sparprogramm der Troika und der Regierung am meisten „bluten” musste.
Antonio Costa, der Ex-Bürgermeister der Hauptstadt sitzt nicht fest im Sattel seiner Partei. Er ist vielen zu schwätzerisch und wird dem „alten” sozialistischen Parteiclan zugeordnet. Dieser Parteiflügel war bis 2011 an der Macht und der Sparkurs wurde von der PS angesteuert. Dieser Prozess wurde irreführend „Programm für Wirtschft und Wachstum” betitelt. Das Ergebnis war Sozialabbau und Verarmung eines großen Teils der Bevölkerung. Korruption und Freunderlwirtschaft füllten die Taschen der SozialistInnen. Bis dato haften diese Untugenden allen Regierungen an. Sein Vorgänger als Parteichef und Ministerpräsident José Socrates war neun Monate wegen schwerer Korruption im Gefängnis. Socrates wurde erst im September diesen Jahres aus der Haft entlassen. Makabererweise wollte der Korruptionsmissetäter nach seiner Freilassung im Juni nicht aus dem Häfen, weil er wegen Verrates an seinen Kumpanen deren Rache fürchtete.
Nach dem „mageren” Wahlergebnis von 32,38 Prozent will der linke Parteiflügel der PS die inneren Parteiangelegenheiten neu geregelt wissen. Die VerfechterInnen eines Linkskurses berufen sich auf die Wahl des „Sozialisten” Jeremy Corbin zum neuen Chef der britischen LabourParty. Dieses Ereignis schlägt auch Wellen bis an die portugiesische Atlantikküste.
Nicht wirklich gewollt – doch ohne CDU geht nix
Gut, dass es den UHUDLA gibt. Denn alles was über die portugiesischen „richtigen Roten” mit der Buchstabenkombination CDU in Österreich und Deutschland geschrieben wird, ist eigentlich ein Witz. Die freie Enzyklopädie Wikipedia dazu: Coligação Democrática Unitária (CDU) – auf deutsch: Vereinigte Demokratische Einheitskoalition: das ist ein portugiesisches Wahlbündnis aus portugiesischen Kommunisten (PCP), Grünen (PEV) sowie der politischen Bewegung Intervenção Democrática (ID). Durch ihre Mitgliedsparteien hat es eine kommunistische, grüne und ökosozialistische Ausrichtung.
Nun gut so trocken wie das da klingt, ist es nicht. Viele der portugiesischen KommunistInnen wurden in den vier Jahrzehnten der Diktatur brutalst verfolgt, eingesperrt, gefoltert und umgebracht. Sie haben in den Nationalen Befreiungsbewegungen der portugiesischen Kolonien mitgewirkt. Und die KP war es, die durch ihren Kampf der wichtigste Teil und der Motor der erfolgreichen Nelkenrevolution am 25. April 1974 war. Der heroische Einsatz der KommunistInnen und deren Verbündete bereitete dem „Estado Novo” des faschistischen Regimes von Antonio de Oliveira Salazar ein unblutiges Ende. Portugal wurde eine Demokratie. 41 Jahre nach der Nelkenrevolution erhielt die CDU am 4. Oktober 2015 einen Stimmenanteil von 10,22 Prozent. Das sind 15 Abgeordnete, die für die Kommunistischen Partei Portugals im Parlament sitzen werden. Zwei Mandatare stellen die PEV also die ökologisch Grünen. Dieses Wahlergebniss der CDU ist das höchste seit 1999.
Selbst bei einer Wahlkundgebung der CDU in der 12.000 Einwohner Kleinstadt Lagos konnte CDU-Spitzenkandidat Jeronimo de Sousa am 25. September 2015 vor fast tausend Anwesenden auftreten. Die CDU fordert von einer künftigen Regierung mit oder ohne ihrer Beteiligung: eine radikale Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitenden, der sozial Schwachen und Ausgegrenzten, Arbeitsplätze, eine patriotische linke Politik für die Zukunft Portugals. Gegen die NATO und die damit verbundene imperialistische Kriegspolitik protestieren und demonstrieren Portugals KomunistInnen zu allen sich bietenden Gelegenheiten. Ebenso verfährt sie mit dem EU-Verarmungsdiktat. Das alles und noch viel mehr steht auf dem Wunschzettel der Partei. Die CDU will die traurige Tatsache, dass in den vier Jahren der konservativen Regierung mehr als 500.000 PortugiesInnen das Land verlassen haben, nicht kampflos hinnehmen. Bereits am Freitag nach der Wahl wurde in Porto diesen Zielen mit einer Demo Nachdruck verliehen. Am 17. Oktober gehen die KommunistInnen in Lisboa auf die Strasse. Die parteinahen GewerkschafterInnen von der CGTP sind ebenfalls wie immer kämpferisch unterwegs.
Die größte Gewerkschaftsbewegung im Lande ist die kommunistische CGTP-IN. Fünf Generalstreiks von der CGTP organisiert, brachten 100.000 Menschen gegen den Sparkurs und gegen den Sozialabbau der letzten beiden Regierungen in Portugal auf die Straße. Die größte Demonstration des linken Gewerkschaftsverbandes zählte im Mai 2010 in Lisboa 300.000 TeilnehmerInnen. Eigentlich hätten die portugiesischen Wahlen noch vor dem 6. Juni 2015 stattfinden sollen. Durch einen Präsidialerlass wurde die Legislatur verlängert. Am diesem 6. Juni hat die CDU zu einer Grossdemo in Lisboa aufgerufen und 100.000 waren dem Aufruf gefolgt. Vom 4. bis 6. September ging südlich des Tejo, vor den Toren der Hauptstadt zum 39. Mal die „Festa do Avante” über ein Dutzend Bühnen. Das weitläufige Festivalsgelände im Eigentum der KP platzte wegen der großen Besucheranzahl aus allen Nähten. Das Fest, der wöchentlich erscheinenden Parteizeitung, war, wie jedes Jahr, eine Großdemonstration gegen die Regierung und das Spardiktat der EU.
Der Wahlsieger Linksblock zeigt die Zähne
Die Chefin des BE Catarina Martins hat die Führung der Partei nach einer Schwächeperiode 2012 übernommen. Sie ist eine hervorragende Rednerin, schlagfertig und denkschnell. Politisch ist sie in Portugal eine Lichtgestalt, weil sie den Troikanischen Crashkurs bekämpft. Die 42-jährige Martins ist nicht gut auf Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und die EU-Kommissäre zu sprechen. Der Linksblock will im Falle einer Regierungsbeteiligung die Lohn- und Rentenkürzungen zurücknehmen und die Kaufkraft der Menschen stärken. Die BE ist fest entschlossen diese Ziele zu erreichen. 10,22 Prozent Wähleranteil, eine Verdoppelung der Stimmen und 19 statt acht Mandate sind ein Faustpfand für eine bereits stattgefundene und sicher noch kommenden Regierungsverhandlungen mit den Sozialisten. Die PS jedenfalls hat die Botschaft: „Den Sparkurs zum Teufel zu schicken” bereits erhalten. Ob die Sozialisten, das auch umsetzen wollen, wird sich zeigen.
Der Linksblock (Bloco de Esquerda) BE ist ein Bündnis von MarxistInnen-LeninistInnen, zwei Trotzkistischen Verbindungen und der antikapitalistischen Linken. Das waren vier Parteien, die sich im Wahlkampf 1999 verbündeten. Mit 2,4 Prozent Stimmenanteil glückte damals der Einzug ins Parlament mit zwei Abgeordneten. Bei der vorletzten Wahl im Jahr 2011 ist der Linksblock von 16 auf auf acht Mandatare abgestürzt. In der Gegenwart befindet sich der Linksblock politisch auf einem Höhenflug.
Wahlgekämpft wie die LöwInnen haben nur die Kandidatinnen und Kandidaten der kommunistisch orientierten CDU und des linken Bloco de Esquerda (BE). Beide Parteien zählen sich im EU-Parlament zur Europäischen Linkspartei. Bei den EU-Wahlen am 25. Mai 2014 erzielten sie einen Stimmenanteil von 17,24. CDU 12,68 und 4,56 BE. Insgesamt ergab das vier EU-Abgeordnete. Bei der EU-Wahl 2009 hatten beide noch fünf Mandate und einen Stimmenanteil von 21,36 Prozent.
In Portugal stellten sich genau 20 Parteien den Wählerinnen und Wählern zur Abstimmung. 43 Prozent sind überhaupt nicht zur Wahl gegangen. Es gibt auch noch die Kategorie der WeißwählerInnen. Diese werden auf den Ergebnislisten wie eine Partei geführt. Ihr Stimmenanteil ist 2,1 Prozent. Die ungültigen Stimmen, auch „Nullos” genannt, konnten immerhin 1,6 Prozent vom 100 Prozent-Kuchen vorweisen.
Parteienerklärung:
PSD: Partei der SozialdemokratInnen, wie die Volkspartei in Österreich. Mitglied in der Europäischen Volkspartei.
PS: Sozialistische Partei, ungefähr wie die SPÖ. Gehört im EU Parlament zur Fraktion der SozialdemokratInnen.
CDU: Kommunistische Partei Portugals PCP und PEV, die Partei der ökologischen Grünen. Mitglied der GUE/NGL im Europaparlament.
CDS-PP: Zentrum Demokratie Soziales und Volkspartei. Könnte so wie J. Haiders BZÖ eingestuft werden. Ebenfalls Mitglied der Europäischen Volkspartei.
BE: Linksblock, das sind mehrere Parteien und Gruppen aus dem marxistisch, leninistischen, trotzkistischen und antikapitalistischen Betätigungsfeld. Die Partei ist Mitglied der GUE/NGL im Europaparlament sowie in der Europäischen Linkspartei und der Europäischen Antikapitalistischen Linken.
PCTP/MRPP: Die, sagen wir, „maoistische” kommunistische Arbeiterpartei Portugals hat auch 1,1 % Wähleranteil. Da war einmal der EX-EU-Boss Barroso Chef.
MAS: Bewegung Alternativer SozialistInnen, eine BE Abspaltung, erreichte 0,4 %.
Der quasi Gesamtlinke-WählerInnen-Anteil liegt bei 52,35 %.
Grafiken: UHUDLA (Quelle: wikipedia)
Titelbild: Mit der Kraft des Volkes