Kommen Architekten und Ingenieure oder Räuber und Ziegenhirten? Oder ist die Frage nach der Qualifikation von Flüchtlingen egal?
Asylkalender, 11. Dezember 2015.
Flüchtlings-NGOs, die Grünen, Nahost-Reporter Karim El-Gawhary und die Wirtschaftskammer (WKO) sind sich selten so einig wie in der Frage des Arbeitsmarkts: sie alle fordern eine Lockerung des Zugangs für AsylwerberInnen und -berechtigte. Die WKO hat zu diesem Zweck eine Kampagne losgetreten. Konkret fordert sie etwa den einfacheren Zugang zu kaum nachgefragten Lehrstellen, eine leichtere Anerkennung ausländischer Qualifikationen und mehr Förderungen für arbeitssuchende Flüchtlinge und Betriebe, die diese anstellen wollen.
Die etablierte Rechte wiederum sperrt sich völlig gegen solche Ideen. In einem ZiB24:00-Gespräch mit Alev Korun (Grüne) und Dagmar Belakowitsch-Jenewein (FPÖ) sagte die blaue Abgeordnete, 80 Prozent der AsylwerberInnen in Österreich hätten keine oder nur Grundschulausbildung. Sie berief sich auf die Innenministerin und bezeichnete die Betroffenen als „Lumpenproletariat“. Man kann nur vermuten, wie sie es meinte.
Belakowitsch-Jenewein hatte jedenfalls recht, als sie sagte, ursprünglich sei dies ein marxistischer Fachbegriff. So wurden etwa Langzeitarbeitslose, Tagelöhner, Kleinkriminelle und Wohnungslose bezeichnet. In Deutschland ist ihr Anteil unter den Flüchtlingen laut Handelsblatt gering: 20 Prozent seien AkademikerInnen, bis zu 35 Prozent FacharbeiterInnen. Kürzlich sagte ein Linzer Volkswirt zum Wirtschaftsblatt, Österreich könne bis Ende 2017 locker 100.000 Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren. Das hätte mittelfristig positive Folgen, unabhängig von der Ausbildung.
Das trifft den Kern der Sache: die Debatte um Qualifikation ist eine Farce. In der EMRK (hierzulande Verfassungsrang), der UN-Menschenrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention steht kein Wort von der Berufsbildung von Geflüchteten. Jeder Mensch hat unter entsprechenden Bedingungen Recht auf Asyl.
Text: Zoran Sergievski
Grafik: Michael Wögerer
Titelbild: Sascha Kohlmann (flickr.com, Lizenz: CC BY-SA 2.0)
Asylkalender:
- Dezember: „Asyl-Fakten interessieren doch Rechte gar nicht.“
- Dezember: „Asylwerber bekommen Geld für’s Nichtstun“
- Dezember: Lugar: Syrer sollen „dort für ihr Land kämpfen“
- Dezember: „70 Prozent sind in Wahrheit Wirtschaftsflüchtlinge“
- Dezember: „Besonders in den vergangenen Jahren ist Kriminalität systematisch importiert worden.“
- Dezember: Österreich ohne Zuwanderung: Ärmer, älter und ziemlich fad
- Dezember: Das Märchen vom Sozialtourismus
- Dezember: Die irrationale Angst, die „Minderheit im eigenen Land“ zu sein
- Dezember: „Dutzende IS-Terroristen im Flüchtlingsstrom“
- Dezember: „Warum kommen nur junge Männer nach Österreich?!“