Wir gehen auf Nummer sicher, fragen den Organisator nach dem Geld. Er beschwichtigt uns, es sei am Weg. Das klingt gut, schließlich meinen die Techniker, dass sie auf das Geld vom letzten EXIT ein ganzes Jahr gewartet haben. In den 21 Stunden, in denen der Backstage-Kühlschrank mit Getränken verschlossen bleibt (haaallo, wir sind durstig!), schinde ich Zeit. Ich erinnere mich daran, wie heimische MusikerInnen mal beim EXIT behandelt wurden. Damals, als es noch nicht das beste europäische Festival war, sieben, acht Jahre zuvor.
Einst unterschrieben wir Verträge. Die Marie gab es an Ort und Stelle bar auf die Hand. Vor dem Auftritt. Essen und Trinken gab es für KünstlerInnen im Überfluss; die Bühne, auf der wir spielten, hatte eine eigene Website inklusive Forum. Verdammt, jede Stage hatte ein gedrucktes Programmheft. Jedes Bandmitglied genoss samt LiebhaberIn Rabatte am Festival und hatte einen Schlafplatz. Nun hatten wir nicht mal mehr einen Schlafplatz am Abend unseres Konzerts…
…endlich wird der Kühlschrank aufgesperrt. Der Organisator vertröstet uns wieder, das Geld werde schon ganz bald da sein. Alsdann, gemma, ein bisserl bummeln, die Burg anschauen vorm Gig.
Man kommt gut voran. Es heißt, es gebe einen neuen BesucherInnenrekord, aber die vielen alternativen Bühnen, sie sind weg, gestrichen. Die Massen drängen sich vor den wenigen Megabühnen. So ziemlich alle, die wir treffen, sind AusländerInnen. Wir hören, dass Legowelt, Headliner der Elektrana-Stage (sorry, es heißt natürlich Happy Novi Sad), am Morgen abgesagt hat, weil die VeranstalterInnen ihm bei seiner Bühnenshow nicht entgegengekommen sind. Uns wird klar, dass die übrigen kleinen Bühnen nur deshalb bestehen, damit das EXIT mit einem schicken, alternativen Line-Up werben kann. In Wahrheit treten sich die Leute bei Mainstream-Auftritten gegenseitig auf die Füße. Es ist ein Moloch, ein Mainstream-Moloch. Das Programm der kleinen Bühnen steht erst sehr spät, oft erst eine Woche vor Festivalbeginn. Das hält das EXIT nicht davon ab, schon ein Jahr zuvor mit dem Vorverkauf zu beginnen, noch ehe die Main Acts feststehen. Man erwartet, dass die Leute die Katze im Sack kaufen, weil auf dem Sack das EXIT-Logo prangt. Und dieses Logo mit seiner Bestes-europäisches-Festival-Aura hämmern sie uns unaufhörlich ein, es ist unübersehbar, dort oben auf der Leinwand hinter der Band.
Es ist ein absurder Ort, an dem die EXIT-Werbung selbst dann auf die Leute einströmt, als sie schon auf dem Gelände sind, also lange nach dem Ticketkauf. So als ob die Meute gekommen ist, um statt der Band den Brand zu sehen. Inmitten der tobenden Menge verstehen wir, was für ein vollkommen kapitalistischer Brand das EXIT geworden ist: Das Produkt verselbstständigt sich als Reklame, und die Reklame wird zum Produkt. Mehr braucht es hier nicht.
So erzittert das alte Gemäuer vom Bass und dem Rauschen dieses Wasserfalls aus Geld, und überhaupt, der Organisator wird uns ganz, ganz bald unser Geld geben. Zwischendurch wollten wir noch ein Trankl pro Nase aus dem Backstagebereich holen. Dort trafen wir auf die heimliche Fratze von EXIT.
Anmerkung: Erfahren Sie auf Seite 3, was diese Fratze von sich gibt.