Über die Darstellung des NS-Faschismus in österreichischen Schulbüchern – Neue Publikation des KZ-Verbands/VdA [Interview mit dem Autor]
„Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“, so lautete die Forderung der überlebenden Opfer der NS-Herrschaft nach ihrer Befreiung vom Joch der Tyrannei. Der Geist dieser Losung fand auch Eingang in die Verfassung der neu erstandenen Zweiten Republik. Vielfach anders verhielt es sich hingegen in der österreichischen Nachkriegsgesellschaft im politischen und gesellschaftlichen Umgang und der alltäglichen Auseinandersetzung mit der braunen Vergangenheit. Rasch waren sogar schwer belastete NS-Funktionäre wieder in hohen Posten, um ihre Stimmen buhlten die Großparteien ebenso wie der als Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten entstandene „Verband der Unabhängigen“, die spätere FPÖ. An vielen Stammtischen lebte die Erinnerung an die „heldenhafte Zeit“, antisemitische Einstellungen waren unter anderem auch an den österreichischen Hochschulen keineswegs verpönt – nicht nur in Kreisen deutschnationaler Burschenschaften. Der deutsche Angriffskrieg wurde hingegen zur „Heimatverteidigung“ umgedeutet, WiderstandskämpferInnen galten vielen als „Verräter“, wie auch jene als „Nestbeschmutzer“ angesehen wurden, die auf die österreichische Mitverantwortung an den Verbrechen des NS-Faschismus hinwiesen.
Dazu beigetragen hat nicht zuletzt das lange Zeit vermittelte Geschichtsbild des offiziellen Nachkriegsösterreichs, dem eher Begriffe wie Geschichtsvergessenheit, Geschichtsverdrängung oder Geschichtsverfälschung gerecht werden.
Es herrschte „langes Schweigen“ im Österreich der Nachkriegszeit über die dunklen Jahre des NS-Faschismus – auch und gerade in den Schulen, wie der Lehrer und Historiker Robert Krotzer in seiner vom KZ-Verband/VdA herausgegebenen Studie nachweist.
Krotzer untersuchte für seine Studie 30 Schul-Geschichtsbücher der Zweiten Republik darauf, wie in ihnen der Aufstieg des Faschismus, die NS-Ideologie, die Shoah oder auch der antifaschistische Widerstand über die Jahrzehnte hinweg dargestellt wurden. Daraus entstand ein kritischer Blick auf den problematischen Umgang Österreichs mit seiner braunen Vergangenheit. Krotzer arbeitet mit scharfem Blick die Brüche, Veränderungen und Widersprüche der Darstellung des Nationalsozialismus in den Schulbüchern heraus. Diese korrespondierten in den meisten Fällen mit den Auseinandersetzungen und Änderungen des entsprechenden Diskurses auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. So macht Krotzer beispielsweise vor dem Hintergrund des Kalten Krieges den Antikommunismus als eine jahrzehntelange Konstante in den österreichischen Schulbüchern aus. Dieser konnte „von der Totalitarismusthese über die Verbreitung antisowjetischer Ressentiments bis
zur Ausklammerung des kommunistischen Widerstands reichen“.
In den ersten Nachkriegsjahrzehnten dominierte auch die so genannte „Opferthese“, „erste kritischere Darstellungen in den Schulbüchern, die auch den Beitrag österreichischer Nationalsozialisten zum ‚Anschluss’ oder den Jubel breiter Bevölkerungsteile im März 1938 thematisieren“ sind erst vereinzelt in den 1960er Jahren zu finden. Der „Hinweis auf Österreichs Mitverantwortung an Faschismus und Krieg in der Moskauer Deklaration [wurde] gar als Raffinesse der sowjetischen Außenpolitik dargestellt“, so Krotzer. Laut ihm war auch die Analyse des Faschismus „jeglicher historischen und gesellschaftlichen Einbettung entrückt“. Er sei „als klassenübergreifende Sammelbewegung“ dargestellt worden, „deren leitende Motive ausschließlich ideologischer Natur gewesen wären“. Laut dem Autor überwiege die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg sehr deutlich, „die Ausführungen über das System des NS-Faschismus und dessen Verbrechen“ seien „in der Regel knapp und werden auf wenigen Seiten abgehandelt“. Lange Zeit wurden laut Krotzers Studie die gefallenen Wehrmachtssoldaten noch vor den Opfern der NS-Vernichtungspolitik genannt bzw. subsumierte man beide Gruppen unter einem vagen „Opfer“-Begriff.
Krotzer verortet einen Paradigmenwechsel in den späten 1980er Jahren. Danach seien auch „die Kriegsverbrechen im Zuge der als Vernichtungskriege geführten Feldzüge gegen Polen und die Sowjetunion, der lange Zeit vernachlässigte Widerstand der ArbeiterInnenbewegung sowie ebenso lange Zeit ausgeklammerte Opfergruppen wie körperlich oder geistig beeinträchtigte Menschen und Homosexuelle“ verstärkt in den Fokus der historischen Auseinandersetzung gerückt worden.
Wie die Widerstandskämpferin und langjährige Landesvorsitzende des KZ-Verbands Steiermark Maria Cäsar in ihrem Vorwort betont, soll die vorliegende Publikation „zur Stärkung einer Geschichtsschreibung, die nichts verschweigt und uns hilft, zu verstehen“ beitragen. Sie kann als Ermutigung für eine Geschichtsvermittlung dienen, die gerade junge Menschen befähigen soll, aus der Vergangenheit für eine lebenswerte Zukunft zu lernen. Nicht zuletzt stellt das Buch eine wichtige Anregung für AutorInnen und WissenschafterInnen dar, die selbst vor die wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe gestellt sind, Schulbücher zu verfassen bzw. an diesen mitzuwirken.
Robert Krotzer: Langes Schweigen. Der NS-Faschismus in österreichischen Schulbüchern. Hg. vom KZ-Verband/VdA, 132 Seiten, 2015. Bestellungen an: bundesverband@kz-verband.at (Spendenempfehlung: 10 Euro)
Text aus: der neue Mahnruf 2/2016 ; Autor: Flo Schwanninger
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