Die Sparte Musik bei Unsere Zeitung bekommt Zuwachs: Einmal im Monat präsentiert euch Bernhard Landkammer in seiner musikalischen Rumpelkammer die fünf Alben des Monats und weitere Empfehlungen.
Wenn man sich musikalisch nicht festlegen will und sich sowohl in harter Gitarrenmusik, Hip-Hop-Beats, poppigen Songs und Folk pudelwohl fühlt (um nur einige Eckdaten zu nennen), entdeckt man eine große Auswahl an musikalischen Großartigkeiten. So auch im Juni 2017, der so viele Highlights zu bieten hatte, das es schwer war, sie in eine eindeutige Reihenfolge zu bringen. Sicherlich wird sich diese Liste im Verlauf des Jahres noch ändern, aber fürs erste sind das meine persönlichen Platten und starken Empfehlungen des Monats Juni 2017:
TOP 5
- Heaven In Her Arms – White Halo
- Algiers – The Underside Of Power
- Igorrr – Savage Sinusoid
- Invsn – The Beautiful Stories
- Roger Waters – Is This The Life We Really Want?
HEAVEN IN HER ARMS veröffentlichen mit “White Halo” ein Meisterwerk des Post Hardcore, auf dem sie nicht mit Einflüssen aus Black Metal, Post Rock und Punk geizen. Die Dynamik zwischen brachialen, oft auch chaotischen und ruhigen, beinahe zerbrechlichen Momenten ist atemberaubend. Ergänzt wird diese explosive Mischung durch heiseres Schreien und ruhelose Spoken-Word-Passagen sowie ein düsteres Orgel-Interlude. Dabei steht der Fünfer aus Tokyo ganz in der Tradition von Envy, ohne wie eine Kopie dieser legendären Band zu klingen. Vielleicht das Album des Jahres.
Anspieltipp:
ALGIERS sind auf ihrem zweiten Langspieler „The Underside Of Power“ wütender, dabei aber musikalisch gleichzeitig fokussierter, umfassender und moderner als auf ihrem tollen selbstbetitelten Debüt. Die Mischung aus Post Punk, Gospel, elektronischen Beats und Krautrock lädt trotz einiger Verschachtelungen zum Tanzen ein, während textlich der Rechtsruck und Rassismus in den USA verarbeitet und zum Kampf gegen Ungerechtigkeit aufgerufen wird. Ein textlich wichtiges und musikalisch mitreißendes Album.
Anspieltipp:
IGORRR setzt auch auf seinem neuen, vierten Album „Savage Sinusoid“ ganz auf Überforderung. Metal trifft auf Drum’n’Bass, trifft auf Glitch, trifft auf Balkan, trifft auf Nintendocore, trifft auf Operngesang, trifft auf symphonische Elemente, trifft auf Industrial – hier ist wirklich für alle etwas dabei. Bis auf einige weniger uninspirierte Momente klingt die Platte trotz dieses Potpourris überraschenderweise wie aus einem Guss. Eine beeindruckende Leistung und ein Fest für alle Freunde des sogenannten Avantgarde Metal.
Anspieltipp:
INVSN wecken auf ihrem neuen Album „The Beautiful Stories“ Erinnerungen an den Post-Punk-Sound der 80er Jahre, bringen dabei aber ihre eigene, dreckige Note ein. Es dominieren verhallte Gitarren, leidenschaftlicher Gesang und politisches Bewusstsein in den Texten, die im krassen Gegensatz zum Titel des Albums stehen. Sänger Denis Lyxen tobt sich hier neben seiner legendären Hardcore-Band Refused stilistisch aus und hat es geschafft, ein Projekt auf die Beine zu stellen, das deutlich mehr ist als nur sein berühmter Frontmann.
Anspieltipp:
ROGER WATERS veröffentlicht mit „Is This The Life We Reallly Want?“ ein neues Album nach 25 Jahren Pause. Aus der musikalischen Rente hat ihn die weltpolitische Lage, allem voran der Wahlsieg von Donald Trump als ihr Symptom hervorgelockt. Dabei dominieren ruhige Akustikgitarren, die auf proggige Rockelemente, kühle Synthesizer und die erschöpfte, vor Wut beinahe zerbrechende Stimme des Altmeisters treffen. Die Kombination aus den leidenschaftlichen Texten und der eingängigen Musik zeugt davon, dass der ehemalige Pink-Floyd-Bassist immer noch einer der ganz Großen ist.
Anspieltipp:
Außerdem:
AGENT BLÅ spielen eine moderne Interpretation von Post-Punk, die sie mit Elementen aus Post-Rock und Shoegaze anreichern. Auf ihrem selbstbetitelten Album klingt die junge Band gleichzeitig frisch und unverbraucht, aber auch routiniert und souverän. Trotz der überwiegenden Melancholie lädt diese Platte zum Tanzen ein.
BISON spielen räudigen Sludge, gepaart mit Post Metal, punkig-thrashigen Riffs und – trotz ihrer kanadischen Herkunft – einigen Anklängen an den tiefen Süden der USA. Mit ihrem neuen Album „You Are Not The Ocean You Are The Patient“ präsentieren die vier Musiker ein atmosphärisch dichtes, kohärentes und vor allem grooviges Stück Musik.
CIGARETTES AFTER SEX passen mit dem verrauchten, trippigen, minimalistischen Sound ihres selbsbetitelten Albums perfekt in schwüle Sommernächte. Ihr Shoegaze-basierter Sound wird von einer androgynen Stimme begleitet und erzeugt eine nahezu traumwandlerische Stimmung. Ein bisschen mehr Spannung wäre das Tüpfelchen auf dem I.
CHUCK BERRY ist Anfang 2017 gestorben – die Jahre vor seinem Tod hat er allerdings kontinuierlich an einem neuen Album gearbeitet. Das Ergebnis davon ist „Chuck“. Seine immer noch kraftvolle Stimme, klassische Rock-’n’-Roll-Arrangements und ein Gefühl von Zeitlosigkeit liefern einen würdigen musikalischen Abschied von einem der wichtigsten Musiker des 20. Jahrhunderts.
THE MOUNTAIN GOATS sind auf ihrem neuen Album „Goths“ so straight und poppig wie nie zuvor – ein sicherlich auch bewusst gewählter Kontrast zum doch eher düsteren Thema des Albums. Wie gewohnt wird erneut auf unterhaltsame Art und Weise ein Konzept erarbeitet, das aus dem Alltäglichen der Gothic-Szene etwas Besonders macht.
FLOGGING MOLLY besinnen sich auf „Life Is Good“ auf ihre folkigere Seite, ohne dabei das hohe Tempo merklich zurückzuschrauben. Dennoch wirkt der Irish-Folk-Punk der Band auf ihrem X. Album eine Spur gemäßigter und nachdenklicher, was den Musikern gut zu Gesicht steht und ihre Diskografie schlüssig fortsetzt.
PUBLIC ENEMY legen ohne eine große Ankündigung mit “Nothing Is Quick In The Desert“ ein neues Album vor, dass man sich gratis auf der Bandcamp-Seite der Band herunterladen kann. Dabei bekommt man, was man erwartet: Grundsolider, politischer Old-School-Hip-Hop, der sich kein bisschen hinter aktuellen Bands verstecken muss.
KRAFTKLUB präsentieren mit „Keine Nacht für Niemand“ ihr mit Zitaten gespicktes drittes Album. Während die Band auf den beiden Vorgängern auch im Albumkontext überzeugen könnte, hat sich ihr rapinduzierter Indie beim dritten Anlauf überholt. Trotz einiger guter Momente die bisherige Enttäuschung des Jahres.
Titelbild: Bernhard Landkammer/Unsere Zeitung