Solidarität – ein Versuch, die poetische Verbindung zu Menschen zu beschreiben

Sommer-Kolumne von Martha Wirtenberger (Folge 3)

Diese Woche habe ich mich sehr intensiv mit dem Thema Solidarität beschäftigt. Dieses Thema ist wichtig für mich und in der heutigen Kolumne möchte ich darauf eingehen, was die letzten Tage dazu präsent war.

Ich wurde öfters gefragt, ob ich helfen kann. Menschen in der U-Bahn, auf der Straße, im Zug oder am Bahnhof kamen auf mich zu und wollten unterschiedlichste Arten der Unterstützung. Es waren Menschen aus Österreich sowie Personen anderer Herkunft.

Meistens rede ich mit den Personen, die auf mich zugehen. Denn ich kenne ja ihre Geschichte(n) nicht und möchte ihnen möglichst vorurteilsfrei begegnen.

Mit einem Mann aus Libyen kam ich länger ins Gespräch. Er lebt seit einigen Monaten in Wien. Seine Frau verstarb vor kurzem und er wollte von mir die Unterstützung, welche vermutlich die Wertvollste ist: Zeit und Aufmerksamkeit. Es hat mich sehr berührt, wie offen er mir von seinem Leben erzählte.

Zyniker würden sagen: „Ja, klar hat er dir viel erzählt und dich berühren wollen. Denn in weiterer Folge erwartet er von dir sicher materielle Unterstützung“. Ich bin froh, dass ich keine Zynikerin bin.

Es gibt viele Menschen (überall auf der Welt), die nicht automatisch Geld oder Geschenke möchten. Einige wollen vor allem erzählen und brauchen ein offenes Ohr. Wenn ich dazu beitragen kann, dass jemand sich seine Ängste, Probleme und Sorgen von der Seele reden kann, bin ich dankbar. Denn dann passiert eine wahre Begegnung mit jemandem, den ich unterstützen kann. Ich weiß, dass ich mit Menschen gesegnet bin, die umgekehrt für mich ein offenes Ohr haben und sich Zeit nehmen.

Nach der Unterhaltung mit dem jungen Mann dachte ich wieder einmal an Kuba sowie an die Herzlichkeit und Offenheit der Menschen. Viele wollen erzählen, von ihrem Leben berichten und oft habe ich Geschenke mitgebracht, weil es den Menschen an vielen Dingen einfach fehlt. Das mache ich sehr gerne, wenn ich spüre, dass es geschätzt wird.

Manchmal fühle ich, dass diese Begegnungen mit Menschen das Verbindende sind im Leben.

Ich habe einen Begriff für dieses Interesse am Miteinander und des Teilens entwickelt. Es bezeichnet das wahre Zuhören, die Empathie (ohne selbst mit zu leiden) und den Versuch des Nachempfindens, wie es dem Gegenüber geht. Dieser Begriff begleitete mich die letzten Tage sehr intensiv: Poetische Revolution

Diese poetische Revolution, wie ich sie bezeichne, bedeutet für mich das allumfassend Verbindende. Ebenso beinhaltet dieser Begriff das Teilen und die Fürsorge für Andere, vor allem für die Menschen in meinem Umfeld. Dieser Kreis an Personen kann geographisch nahe und fern sein.

Auf Kuba habe ich erlebt, dass sehr viel geteilt wird. Es besteht ein Zusammenhalt in der Gemeinschaft. Kranke und alte Menschen werden von Nachbarn betreut und umsorgt. Es muss niemand alleine sein, der es nicht explizit so wählt. Ich vermisse diese Gemeinschaft in unserer modernen Welt manchmal. Das Leben wird individualistisch geführt bei uns, was natürlich auch Vorteile hat. In größeren Gebäuden in Wien kennen sich allerdings die Nachbarn vielfach nicht untereinander. Es bleibt anonymer und kann manchmal bestimmt auch einsamer sein.

„(…) Die meisten KubanerInnen haben sehr wenig. Ihre Solidarität untereinander hingegen ist bewundernswert und für mich augenöffnend. Wenn Einer in der Familie etwas Geld hat, teilt er es mit den Anderen und kauft für alle zusammen etwas zu essen oder Sonstiges. Es besteht ein interessantes Wechselspiel aus Zusammenhalt, Fürsorge und Miteinander.“

(Auszug aus „Geliebtes Kuba – deine Lebensfreude begleitet mich“, erschienen bei greatlifebooks.de, 2017)

Ich möchte damit nicht sagen, dass wir in Europa dieses Gefühl von Solidarität verloren haben. Es gibt viele Menschen, die Gemeinschaft und Fürsorge leben.

Für mich war und ist Kuba eine poetische Erfahrung, die mich sehr tief in komplexe Themen und Probleme sowie Facetten des Landes eintauchen ließ und mich auch lehrte, viel in meiner Kultur und Sozialisation zu erkennen. Ein Land (sogar das, in dem man geboren ist) ganz zu verstehen ist komplex. Es gibt immer ein System, Politik, kulturelle Prägung, Geschichte und unterschiedliche Gruppierungen sowie Haltungen innerhalb eines Landes. Ich lasse mich immer und überall vor allem von meiner Intuition sowie den Begegnungen mit Menschen leiten. Ich weiß, dass es überall ehrliche, solidarische, freidenkende, herzliche und poetische Menschen gibt.

Es hat bestimmt einen Grund, warum ich meine Gedichte auf Spanisch schreibe und sie danach auf Deutsch übersetze (ich publizierte 2010 und 2012 jeweils einen Gedichteband in Lima/Peru). Wenn ich Spanisch höre, spreche, lese und vor allem bei spanischer Musik spüre ich sehr oft ein Berührt-sein, das ich auf Deutsch nicht in der Intensität wahrnehme.

Ich habe heute die Musikgruppe „Revolucion poetica“ entdeckt und musste lächeln, dass der Begriff von poetischer Revolution auf Spanisch schon existiert.

Ich möchte meine poetische Revolution im Herzen immer leben: offen sein und bleiben für Menschen, deren Wege meinen kreuzen und die Zeit haben, um eine wahre Begegnung zu ermöglichen. Wie der kleine Prinz schon sagte: „Wir sehen nur mit unserem Herzen gut“.

Solidarität geht zurück zu dem, was jede/r ist und welche Werte verinnerlicht sind. Diese Werte können nicht verloren gehen, wenn sie kultiviert werden. Damit meine ich vorrangig Teilen, füreinander einstehen, zuhören, Aufmerksamkeit und Zeit schenken, sich um Andere sorgen und gleichzeitig auch gut bei sich zu bleiben.

Ein Lied, das ich euch heute gerne mitgeben möchte:

„Ojala que llueva café en el campo“ von Juan Luis Guerra

Es ist eines der poetischsten Lieder, das ich kenne. Juan Luis Guerra hat das Lied geschrieben, als es auf der Dominikanischen Republik eine Hungerkrise gab und viele Menschen litten. Damit wollte er einerseits auf die Krise aufmerksam machen und andererseits Geld verdienen, um den Betroffenen zu helfen. Das ist pure Poesie und Solidarität.

Jedes Mal, wenn ich das Lied höre, öffnet es mein Herz noch ein Stück mehr für Menschen, die Liebe und Solidarität benötigen.

Helfen hat immer mit einem selbst zu tun und natürlich fühlt es sich wunderbar an, Andere zu unterstützen. Wenn dies ohne Agenda geschieht und von Herzen heraus, kann es pure Magie und Poesie sein.

Nächste Woche wird es voraussichtlich um das Thema: Wahrnehmung und Spiegel im Außen gehen…. Lasst euch überraschen!

Mehr über Martha Wirtenberger: www.herzwelten.at

Titelbild: Spielende Kinder in La Habana, Cuba, 2011 (Foto: Jorge Royan; Lizenz: CC BY-SA 3.0)

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