ÖRV-Ruderin Anja Manoutschehri gewährt uns einen ganz persönlichen Einblick in den Rudersport und die U23-Weltmeisterschaft, die dieses Wochenende unter erfreulich guter österreichischer Teilnahme in Plovdiv stattfand.
Gleichzeitig zum 125-jährigen Jubiläum der FISA, dem Weltruderverband, wurde dieses Wochenende in Plovdiv, Bulgarien, die U23 Weltmeisterschaft im Rudern ausgetragen. U23 steht für junge Rudertalente, die noch keine 23 Jahre alt sind, aber trotzdem schon zur absoluten Weltelite dieser Sportart gehören. Sie messen sich in 12 verschiedenen Bootsklassen bei den Herren und 9 bei den Damen. Insgesamt 54 Länder nahmen teil und große Rudernationen wie Deutschland, Italien und die USA haben diesmal je 21 Boote samt kompletten Teams zur WM entsandt. Besonders im Frauenrudern gibt es zunehmend mehr Teilnehmer und alleine nur in der Einer-Disziplin traten stolze 21 Nationen gegeneinander an.
Im Gegensatz zu Österreich, wo Rudern in den Augen der Öffentlichkeit eher als Randsportart gilt, erzielt dieser actionreiche Kraft-Ausdauer-Sport, bei dem jede einzelne Muskelgruppe und der gesamte Körper gefordert wird, andernorts Beliebtheitsgrade und ein professionelles Organisationsniveau wie Fußball. Der schon 1891 gegründete österreichische Ruderverband (ÖRV) ist zwar nicht weniger professionell, muss aber doch mit bedeutend geringeren Mitteln arbeiten. Er entsandte insgesamt 9 Boote und 23 Athleten – je ein Boot bei den Frauen und bei den Männern in der Leichtgewichts-Klasse der Einer, Zweier und Vierer, sowie ein Herren-Einer und ein Zweier in der offenen Gewichtsklasse. Bei den Booten wird zwischen Riemen- und Skullbooten unterschieden. In Riemenbooten hält man ein Ruder (Riemen) mit beiden Händen und in Skullbooten bewegt man gleichzeitig zwei Ruder. Ein Rollsitz und fix montierte Schuhe zum Reinschlüpfen tragen dazu bei, dass auch viel Kraft mit den Beinen erzeugt werden kann.
In der offenen oder „schweren“ Gewichtsklasse finden sich zumeist nur Athleten, die über 190 cm groß sind und gut 90 kg auf die Waage bringen. Auch die Ruderinnen sind zumeist über 180 cm und 70 kg schwer – allesamt austrainierte Kraftpakete, die für jedes Fitnessstudio Werbung machen könnten. In der Leichtgewichtsklasse gelten hingegen je nach Altersgruppe verschiedene Beschränkungen des Körpergewichts, die vor jedem Rennen streng kontrolliert werden. Eine gute Rudertechnik, Schlagart und Rhythmus spielen hier eine mindestens ebenso große Rolle, wie pure „Power“. Bei der üblichen Wettkampfstrecke von 2000 Metern ist es ohnehin niemand möglich, eine gleichbleibend hohe Schlagzahl bis zum Ende durchzuhalten. Die richtige Einteilung der Kraftreserven, auch im Hinblick auf die anderen fünf Konkurrenten, die sich in den mit Bojen abgesteckten Nachbarbahnen abmühen, wird zum strategischen Knackpunkt.
ÖRV-Ruderin Anja Manoutschehri über den Tagesablauf in Plovdiv
In den ersten drei Tagen sind wir, mein Trainer Thomas Kornhoff und ich, in der Früh trainieren gegangen, meistens aber nur zwei Runden auf der Regattastrecke, um sie kennen zu lernen, die Bootseinstellungen an meinem „Twin City Liner“ zu optimieren und meine Rudertechnik zu überprüfen. Gelegentlich auch nochmal am Nachmittag, je nach Lust. Es ging nur darum, sich zu akklimatisieren und locker zu trainieren, damit ich erholt und ausgeruht zu den Rennen antreten kann. Was wichtig ist, denn die Zeit über den Winter und zwischen den großen Rennen ist von zwei mal täglichem Trainig und harter Aufbauarbeit geprägt – und da ich ja auch noch Biologie studiere, bleibt wenig Zeit für reine Entspannung oder „nichts tun“.
Die Ruderanlage am Maritsa Fluss in Plovdiv ist hervorragend angelegt, knapp 2,5 km lang und es gibt genügend Platz zum Trainieren. Auf den Tribünen neben dem Zieleinlauf haben mehrere Tausend Fans der insgesamt 845 angereisten Athleten aus 54 Ländern Platz. Und zumindest die wichtigsten Rennen waren auch auf einem Großbildschirm live mitzuverfolgen. Bis auf einzelne, schwer vorauszusehende wechselnde Windböen blieb das Wasser die meiste Zeit nur leicht gekräuselt. Doch war es teilweise drückend schwül mit deutlich über 30 Grad und auf Asphaltflächen hielt man es kaum länger als 10 Minuten aus.
Donnerstag bis Sonntag waren dann durchgehend Rennen, da hat der Tag schon um dreiviertel sechs Uhr Früh damit begonnen, dass ich eine Runde aufs Wasser ging, um überhaupt einmal munter zu werden. Dann musste jeder zur offiziellen Abwaage. In meiner Bootsklasse, dem Leichtgewichts-Einer der Damen, darf ich maximal 59 kg wiegen, andernfalls wird keine Starterlaubnis erteilt. Die Burschen dürfen immerhin 72,5 kg samt Ruderdress wiegen. Dank meiner gesunden Ernährung habe ich kaum Probleme mit dem Gewicht. Andere müssen vor der Abwaage aber oft noch in die Sauna oder mit Intensivtraining ein paar Deka „wegschwitzen“. Da passieren manchmal noch vor den Rennen wahre Dramen …
Erst nach diesem Prozedere konnte ich mein mitgebrachtes Frühstück essen. Meist Haferflocken mit Bananen und Joghurt und einen Müsliriegel. Es darf nicht zuviel sein und nichts, was während des Rennens schwer im Magen liegt. Und natürlich muss ich immer genügend Wasser trinken. Dann setze ich die Kopfhörer auf, blende die Umgebung größtmöglich aus und höre instrumentale Entspannungsmusik …. solange bis es Zeit wird, sich aufzuwärmen. Dann wird die Musikauswahl lauter, gerne höre ich Rock und Indi und alles mögliche, was motiviert und den Puls langsam in die Höhe treibt.
Es beginnt mit Dehnübungen, dann 10 Minuten Laufen oder 20 Minuten am Stand-Rad, um gut genug aufwärmt zu sein, und danach, mindestens eine halbe Stunde vor Start, gehts auf´s Wasser. Warmfahren, Starts ausprobieren, an Wind und Wellengang gewöhnen, der immer anders ist … und dann gehts auch schon los.
Während des Rennens gebe ich mein Bestes und achte besonders auf meine Technik, weil gerade in dieser Bootsklasse, wo alle das gleiche Gewicht haben, entscheidet eine gute Rudertechnik ein Rennen oft mehr, als pure Kraft-Ausdauer-Leistung. Für mich ist auch wichtig, dass ich gut fokussiert bleibe und mich nicht allzuviel ablenken lasse oder mich zu oft nach den Konkurrenten umsehe. So etwas kann einen ganz leicht aus dem Takt bringen.
Nach dem Rennen ist dann wieder langes Abwärmen wichtig, um das ganze Laktat abzubauen. Wenn´s mir durch die vorherige Extrembelastung des Körpers nicht zu schlecht geht, fahre ich noch 20 Minuten im Boot und danach nochmal 20 min am Rad … anschließend kalt-warme Wechselduschen für die Beine und später, idealerweise nach einem kleinem Mittagsschläfchen, ist dann auch noch „ausgedehntes“ Dehnen wichtig.
Da die Rennen meist am Vormittag abgehalten werden (bevor es zu heiß wird) und jeder hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt ist, treffen sich Nachmittags dann immer mehr Leute zum Plaudern, Kennenlernen, Renndress-Tauschen und gegen Abend oft auch zum Party machen. Ich muss nur darauf achten, trotzdem immer früh genug ins Bett zu kommen, um am nächsten Renntag ordentlch ausgeschlafen zu sein. Da hat leider jede Party Nachrang.
Aber das Flair internationaler Wettkämpfe mit sovielen hochambitionierten jungen Menschen, die teilweise aus den entferntesten Regionen der Welt angereist kommen, ist einfach unvergleichlich – genau das war es wohl, was auch einst den „olympischen Gedanken“ entstehen ließ und überall zum Durchbruch verhalf.
Die Rennen – im Wechselbad von Drama und Triumph
Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl mussten bis zu 3 Gruppen für den ersten Vorlauf ausgelost werden, die jeweils zu sechst gegeneinander antraten. Das Losglück bescherte Anja schon in „Heat 1“ ein Aufeinandertreffen mit einigen Favoriten. Es hieß, u.a. gegen die amtierende Weltmeisterin anzutreten, Marieke Keijser (Ned), die Vorjahres-Drittplatzierte Sophia Krause (D) und Annie Svensson (Swe). Nach einem Blitzstart und bis zur Streckenhälfte führte Krause das Feld an, dann aber zog Kaijser an ihr vorbei und baute ihre Führung bis zum Ziel immer weiter aus. Svensson und Anja ruderten das ganze Rennen hindurch konstant an dritter und vierter Stelle. Die Ruderinnen aus Portugal und Moldawien waren am Ende mit weit über 8 Minuten Laufzeit klar zurückgefallen. Marieke Keijser stellte mit 7:28,34 (min., sek., 10tel) gleich zu Beginn eine neue Weltbestzeit auf, die um 2 Sekunden unter der alten Marke lag.
Und genauso ging es auch in den anderen Bootsklassen ab – die Veranstalter jubelten: „Das Wetter ist heiß, Weltbestzeiten are falling like flies!“ In gleich 5 Bootsklassen wurden neue Weltrekorde errudert. Da laut Rennmodus aber nur die beiden Erstplatzierten in die nächste Runde aufstiegen, musste sich Anja am Tag darauf über die Repechages oder Zwischenläufe zurück kämpfen. Was ihr mit einem beeindruckenden Start-Ziel-Sieg über Neuseeland und Russland und einer Zeit von 7:41,17 bravourös gelang.
Doch schon in der nächsten Runde, dem Semifinale, traf sie auf Sophia Krause (D), die zuvor schon nur knapp hinter der Weltmeisterin lag, auf Junior World Champion Clara Guerra (Ita) und auf Claire Bove (Fra). Diese Vierergruppe fuhr Russland und Spanien davon und matchte sich in hartem Kampf und wechselnder Führung bis ins Ziel, das Guerra mit 7:35,66 als Erste durchfuhr, gefolgt von Bove und Krause. Anja landete dabei wieder auf dem unglücklichen 4. Platz. Unglücklich deshalb, weil nur die ersten Drei in das A-Finale aufstiegen und Anja damit das B-Finale vorbehalten war, in dem um die Endplatzierungen zwischen Rang 7 und 12 gefahren wurde.
Am Sonntag starteten die Finale im Leichtsgewichts-Einer der Frauen – und erwartungsgemäß ging auch der diesjährige Weltmeistertitel an das holländische Ausnahmetalent Marieke Keijser. Der harte Kampf um die weiteren Plätze wurde letztlich durch Clara Guerra (Ita) entschieden gefolgt von der Vorjahres-Zweiten, der Südafrikanerin Nicole Van Wyk, Sophia Krause (D), Claire Bove (Fra) und Annie Svensson (Swe).
Anja starte danach im B-Finale und hier lässt man am Besten den Live-Sprecher des Rennens zu Wort kommen, der ihre erneute, perfekte Start-Ziel-Führung so kommentierte: „Das schnellste Boot bei den gestrigen Semi-Finale war Courtney Rennie aus Neuseeland, aber Österreichs Anja Manoutschehri muss sich offenbar irgendetwas für heute aufgehoben haben, weil sie mit einem fulminanten Start nach vorne schoss und bis zur Hälfte der Strecke bereits eine bequeme Führung zu Rennie auf Platz 2 ausgebaut hatte, die sich ihrerseits heftig mit Japans Miharu Takashima an dritter Stelle auseinander setzen musste.“ Spanien und Russlandbelegten die weiteren Plätze. Der ÖRV titelte unmittelbar danach auf seiner Website treffend: „Manoutschehri feiert Sieg zum Abschluss … und sichert sich den siebenten Gesamtrang der U23-Weltmeisterschaften.“
Österreichische Bilanz: Erfreulich
Ganz ähnlich dramatische Höhen und Tiefen erlebten natürlich auch die anderen österreichischen Ruder, doch acht von neun Crews kamen in die Top-12, der Leichtgewichts-Doppelvierer der Herren errang sogar eine Silbermedaille (Sebastian Kabas, Julian Brabec, Rainer Kepplinger, Julian Schöberl) und im „Vierer ohne“ wurde eine Bronzemedaille errudert (Christoph Seifriedsberger, Gabriel Hohensasser, Rudolph Querfeld, Ferdinand Querfeld).
Walter Kabas, Vize-Präsident des ÖRV, kommentiert: „Die Bilanz fällt erfreulich aus, vor allem, dass wir bis auf ein Boot alle in den Semifinali hatten. Das war das erklärte Ziel. Die zwei Medaillen sind natürlich umso schöner, vor allem, da es sich um ÖRV-Projekte handelt. Im Hinblick auf die Weltmeisterschaften 2019 haben wir einen guten Stamm an Sportlern und ich bin mir sicher, dass wir 2019 eine gute, schlagkräftige Mannschaft am Start haben werden.“
Und Anja? Was meint sie? „ich bin nicht wirklich zufrieden, aber der Sport lehrt einen, geduldig zu sein. Gute Leistung muss auch zum richtigen Zeitpunkt abgerufen werden können, zumal die Konkurrenz wirklich stark ist und das Feld sehr dicht. Zumindest habe ich im B Finale gezeigt, dass ich etwas kann und bin einen soliden Sieg eingefahren. Ich werde weiter hart trainieren – und meine Zeit wird kommen!“
Ergebnisse, Rennberichte und Fotos bei http://www.worldrowing.com/
Österreichischer Ruderverband http://www.rudern.at/
Autor: Robert Manoutschehri
Bilder: Robert Manoutschehri