Ein Gastkommentar von Gregor Flock
In meinem zuvor veröffentlichten Artikel habe ich mich dafür ausgesprochen, das politische Establishment, welches üblicherweise aus ‘den zwei Standardparteienʼ besteht (Demokratische und Republikanische Partei, CDU/CSU und SPD, ÖVP und SPÖ, etc.), zu “entsorgen.” Hier das Warum.
Als allgemeine erste Prämisse gilt es festzuhalten, dass echte Lösungen von Problemen, egal ob innerhalb oder außerhalb von Politik, nur radikal sein können. Das heißt, echte Lösungen müssen zur Wurzel (lat. radix) des Problems vordringen und diese beseitigen und dürfen nicht bloß so etwas wie oberflächliche Problemkosmetik oder ein billiges ‘Wahlbonbonʼ sein, welches gemäß der sogenannten “bait-and-switch”- oder leere-Versprechungen-Methode so mancher Politiker dann oftmals nicht einmal oder nicht in der versprochenen Form ausgehändigt wird.
Um die Wurzel von Problemen – wie vor allem grundlegende Systemfehler – zu erkennen und radikale, echte Lösungen für diese finden zu können, braucht es jedoch tiefgreifendes Verständnis und mehr noch realistische Visionen sowie klarerweise auch den Mut, den Willen und die Fähigkeit, letztere umzusetzen. Genau das wäre es, was fähige Politiker liefern müssten – und genau das ist es, was Trump (und klarerweise genauso Clinton), Merkel oder Kern als Repräsentanten der beiden Standardparteien nahezu vollständig vermissen lassen, warum diese in diesem Sinne unfähig sind und als solches politisch entsorgt gehören.
Österreichs Bundeskanzler Kern zum Beispiel fantasiert trotz bevorstehender Digitalisierung 4.0 und den damit einhergehenden massiven Jobverlusten von Kreisky-Romantik durchzogener Vollbeschäftigung. Vermutlich als Anspielung darauf ist folgende Aussage des Historikers und Autors Philipp Blom (hier sein neuestes Buch “Was auf dem Spiel steht”) in der österreichischen Tageszeitung Kurier vom 23. Juli 2017, S. 10, zu verstehen:
“Es gibt Politiker, die die Vollbeschäftigung zurückbringen wollen. Es wird nie wieder Vollbeschäftigung geben. Die sind im falschen Jahrhundert.”
Gleichermaßen daneben und von Visionslosigkeit zeugend ist Merkel’s Bekenntnis zur sogenannten “marktkonformen Demokratie.” Wie die Vorgänge in Griechenland anno 2015 gezeigt haben – die Griechen sagten demokratisch oxi/nein zu Sparmaßnahmen, der antidemokratische Markt unter deutscher Führung sagte ja und setzte sich durch –, sind Marktkonformität und Demokratie jedenfalls bei den derzeitig vorherrschenden Markt- und Machtverhältnissen unvereinbar und der Begriff der “marktkonformen Demokratie” letzten Endes ein Orwellscher Begriff, der eigentlich das Gegenteil von Demokratie beinhaltet. Als solches hätte Merkel gar nicht erst irgendetwas von marktkonformer Demokratie daherzuschwafeln brauchen sondern stattdessen gleich den neoliberalen Ökonomen und General Pinochet Unterstützer Friedrich August von Hayek wie folgt zitieren können:
“It is possible for a dictator to govern in a [market!-]liberal way. And it is also possible for a democracy to govern with a total lack of liberalism. Personally, I prefer a liberal dictator to a democratic government lacking liberalism.”
Die Diktatur wäre in dem Fall diejenige der üblichen global players an den global markets – ein fundamentaler Systemfehler, der zu internationalen Finanz- und Wirtschaftskrisen wie jener von 2008 geführt hat und an dem jedoch weder Merkel noch Kern noch Trump noch sonstwelche Politikestablishmentmarionetten oder Pseudoalternativen wie der Finanztransaktionssteuer blockierende Rothschild-Investmentbanker Macron irgendetwas nennenswertes ändern werden. Und der allgemeine Grund dafür dürfte wohl nicht derjenige sein, dass diese und vergleichbare Politiker echte radikale Lösungen umsetzen würden, wenn äußere Umstände dies zuließen. Zutreffend scheint vielmehr zu sein, dass es diesem Schlag von Politikern vielmehr an tiefgreifendem Verständnis und realistischen Visionen fehlt – darum wurden sie ja auch von den eigentlich Mächtigen im Hintergrund in ihre derzeitigen Machtpositionen gehievt – und sie somit schlichtwegs unfähig sind, echte radikale Lösungen auf der politischen Bühne herbeizuführen selbst wenn sie es wollten.
Was ich persönlich unter zwei solch radikalen Lösungen und realistischen Visionen verstehen würde wäre vielleicht vor allem eine radikale Geld- und Bankenreform weg vom derzeitigen Schuldgeld-, Zins- und Kreditsystem und hin zu etwas, mit dem sich gleich auch ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) finanzieren ließe ohne großartige Negativeffekte wie noch mehr Umverteilung/Besteuerung oder Inflation. Ein drittes Beispiel wäre ein radikale Gesamtsystemumstellung auf Nachhaltigkeit, welche klarerweise auch ein nachhaltiges und nicht auf exponentiellem Schuldenwachstum basierendes Geldsystem miteinschließt (Kern’s neoliberale Prioritäten dazu im Vergleich). Ein viertes Beispiel wäre ein Neudenken von Arbeit im Sinne dessen, dass Arbeit nicht mehr auf bloße Erwerbsarbeit reduziert werden sollte sondern auch andere, bislang unbezahlte, aber für die Gesellschaft sinn- und wertvolle Arbeiten oder Tätigkeit miteinschließt, sowie auch im dem Sinne, dass der Bezug von Geld wie einem BGE nicht mehr an (Erwerbs)Arbeit gebunden sein muss. Mehr zu einzelnen dieser radikalen Lösungen und realistische Visionen jedoch an anderer Stelle.
Gregor Flock (twitter.com/GFlock_GCSN) ist unabhängiger Philosoph (univie.academia.edu/GregorFlock) sowie Gründer und Chefredakteur des Global Civil Society Network (www.gcsno.org).
Titelbild: Wurzel (pxhere.com; public domain)
Gastkommentare müssen nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.