Über 100.000 junge Menschen absolvieren in Österreich eine betriebliche Ausbildung. Die Politik hat sich in den letzten Jahren wenig für die Interessen dieser Jugendlichen interessiert. Doch nun geraten sie wiederum mehr in den Fokus der öffentlichen Debatte – Von Christian Hofmann
Die Lehrlinge und ihre Lebensrealität
2016 gab es 106.950 Lehrlinge in ganz Österreich, im Jahr 2003 waren es noch 119.040. Die Zahl der Lehrstellenplätze sinkt seit Jahren, besonders in Wien. 1970 waren noch 44 Prozent aller 15 Jährigen Lehrlinge, 2016 nur mehr 38 Prozent. Das typische Bild der Lehrlinge veränderte sich jedoch in den letzten Jahren, so stieg das durchschnittliche Alter bei Lehrbeginn von 15,9 im Jahr 2002 auf 16,6 im Jahr 2015. Immer mehr Lehrlinge, treten ihre Lehre nicht direkt nach dem Polytechnikum an, sondern besuchen zuerst eine andere Schulform, brechen diese ab und wechseln zu einer beruflichen Ausbildung. Gleichzeitig steigt die Zahl der Lehrlinge in überbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen (ÜBA). 2010 absolvierten 5.763 Lehrlinge ihre Lehre in einer ÜBA, im Jahr 2016 waren es bereits 9.244.
Diese Lehrlinge empfinden sich selbst meist als Lehrlinge zweiter Klasse, denn ihre „Entschädigung“ liegt meist deutlich unter jener „regulärer“ betrieblicher Lehrlinge. Bei der Wahl eines Lehrberufes zeigen sich deutliche Geschlechterunterschiede. Burschen absolvieren Lehren in technischen und handwerklichen Berufen (KFZ Techniker, Elektroinstallationstechnik, Tischlerei). Hingegen lernen Mädchen eher Berufe im Dienstleistungssektor (Friseur, Einzelhandel, Bürokauffrau). Wie viel Lehrlinge im Laufe ihre Lehre als Entschädigung erhalten, schwankt sehr stark. Die gewerkschaftlichen Bemühungen nach höheren Entschädigungen für Lehrlinge, haben sich in den letzten Jahren bezahlt gemacht. So stieg zum Beispiel 2017 die Entschädigung der Einzelhandelskaufleute von 526 auf 570 Euro.
Im Lehrlingsmonitor 2015 der Österreichischen Gewerkschaftsjugend, für welchen über 6.000 Lehrlinge befragt wurden, geben 30 Prozent an, dass sie mit ihren Ausbildern nicht über die Abschlussprüfung gesprochen hätten, 20 Prozent geben an nicht von ihrem Betrieb auf die Prüfung vorbereitet zu werden. Erschreckend ist, dass knapp die Hälfte der Lehrlinge der Aussage zustimmt, ihre Arbeitsaufgaben unter Zeitdruck zu vollführen. Nur 27 Prozent gehen von einem sicheren Arbeitsplatz im Betrieb (Übernahme) nach der Beendigung ihrer Lehre aus, 24 Prozent glauben wahrscheinlich übernommen zu werden. Österreichweit liegt die Rate jener Lehrlinge, die nicht beim ersten Mal ihre Lehrabschlussprüfung positiv absolvieren bei zirka 4-5 Prozent der erstmalig zu Prüfung angetretenen. In Wien zum Beispiel haben im Jahr 2016 rund 23 Prozent aller Lehrlinge ihre Abschlussprüfung nicht bestanden.
61 Prozent der Lehrlinge sind eher oder sehr zufrieden mit der Ausbildung im Betrieb, mehr als die Hälfte der Lehrlinge sieht sich am Arbeitsplatz als vollwertig anerkannt. Mehr als die Hälfte der befragten Lehrlinge gibt an mit der Lehre, als Zusammenspiel zwischen betrieblicher und schulischer Ausbildung, eher oder sehr zufrieden zu sein. Viele Lehrlinge merken jedoch kritisch an, dass es besonders am Zusammenspiel zwischen Betrieb und Berufsschule hapert. So sind 31 Prozent der befragten Lehrlinge mit ihrer betrieblichen Ausbildung zufrieden aber nur 22 Prozent mit ihrer Schulischen. Über die Hälfte der Lehrlinge gibt jedoch an, Wissen aus der Berufsschule praktisch im Betrieb einsetzen zu können.
Baustelle Lehre
2017 war es soweit, die jahrelange Forderung der Österreichischen Gewerkschaftsjugend, nach einer Ausdehnung der Berufsschulzeiten auf mindestens 1.260 Stunden Berufsschulzeit wurde endlich umgesetzt und soll ab Herbst 2017 in Kraft treten . Lehrlinge im Handel und im Tourismus haben beispielsweise bis dahin nur 1.080 Stunden absolviert, während Floristen, Bäcker und Friseure 1.200 Stunden pro Jahr an Berufsschulzeiten aufwendeten. Für politische Bildung oder Sport bleibt in der Berufsschule vielfach keine Zeit. Muss ein Lehrling seine Berufsschulzeit im Internat als geblockte Berufsschulzeit absolvieren, fallen vielfach Kosten für diese Unterbringung an, die die monatliche Lehrlingsentschädigung übersteigen können.
In vielen Kollektivverträgen ist jedoch geregelt, dass die Lehrbetriebe die entsprechenden Kosten übernehmen. Die Kampagnen der Gewerkschaft, wie zum Beispiel „Zimmer statt Zelt“ der GPA-djp Jugend, haben öffentlichkeitswirksam auf die Problematik hingewiesen. In wie weit es hier zu einer Einigung zwischen den Sozialpartnern kommt, werden die nächsten Kollektivvertragsverhandlungen zeigen. Knapp die Hälfte der Lehrlinge erhält die Internatskosten nicht oder nur teilweise vom Betrieb erstattet. Sowohl SPÖ als auch Grüne haben diese Thematik entsprechend in ihre Programmatik aufgenommen, die Sozialdemokraten setzen auf Verhandlungen der Sozialpartner und öffentliche Förderung, die Grünen wollen das die öffentliche Hand die Kosten des Internates übernimmt.
Der Ausbau des Unterrichts bleibt auch weiterhin eine wichtige Herausforderung, besonders angesichts der sich schnell ändernden Anforderungen im Zuge der Digitalisierung. Erste Reformen wie die Förderung von Sprachaufenthalten von Lehrlingen im Ausland sind ein Anfang, der Ausbau der Unterrichtszeiten in Fremdsprachen notwendig. Die Republik Österreich gibt zum Beispiel im Durchschnitt nur 8.400 Euro für einen Berufsschüler aus, für Schüler einer berufsbildenden höheren Schule 11.000 Euro. Die schulische Ausbildung der Lehrlinge muss besser ausfinanziert werden. 700 Euro Mindestlehrlingsentschädigung wie zum Beispiel von SPÖ und Grünen gefordert scheinen eine wichtige Thematik in der Lebensrealität der Lehrlinge anzusprechen, denn 34 Prozent der Lehrlinge empfinden ihre finanzielle Situation als Belastung. Die Situation der Lehrlinge in den überbetrieblichen Maßnahmen wird bisher von keiner Partei breit thematisiert.
Christian Hofmann ist Jugendsekretär der GPA-djp Jugend
Titelbild: Technik Lehrling (© Austrian Airlines – flickr.com / Pauty; Lizenz: CC BY-SA 2.0)