Ein Kommentar von Michael Wögerer*
Werner Faymann wurde am Freitag beim Bundesparteitag der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) mit 83,9 Prozent als Parteivorsitzender bestätigt. Folglich haben 16,1 Prozent der Delegierten dem Kanzler die Gefolgschaft verweigert, vor allem aus den Reihen der sozialistischen Jugendorganisationen. Eine Minderheitenfeststellung für die Kritiker, aber dennoch sprechen am Tag darauf die politischen Kommentatoren unisono von „Denkzettel“, „Schlappe“, „Rote Karte“ oder sogar von einer „Ohrfeige für Faymann“ (Die Presse).
Das wirft kein gutes Licht auf das demokratische Bewusstsein in Österreich mit einem politischen System, das in erster Linie durch Parteien geprägt wird. Die Willensbildung in der Republik erfolgt im ersten Schritt in den Parteistrukturen und im zweiten Schritt in der Auseinandersetzung zwischen den Parteien im Nationalrat und darüber hinaus. Wer annimmt, dass es innerhalb einer Partei keine unterschiedlichen Meinungen gibt oder geben darf und alle geschlossen hinter dem Chef stehen müssen, der ja nicht nur für sich selbst, sondern für eine gewisse politische Ausrichtung steht, hat von Demokratie wenig verstanden.
Betrachten wir das Ergebnis der Wiederwahl zum SPÖ-Vorsitzenden aber aus nüchterner Distanz, so können daraus folgende Schlüsse gezogen werden:
Zum einen, haben lediglich 95 der über 600 SPÖ-Delegierten (1) ihren Vorsitzenden nicht gewählt. 495 haben ihm dezidiert das Vertrauen ausgesprochen, aus vollster Überzeugung oder aufgrund der gebetsmühlenartigen Reden von Geschlossenheit. Das ging sogar soweit, dass Postgewerkschafter Robert Wurm (FSG) gegenüber den Faymann-Kritikern eine eigenwillige Definition von demokratischer Meinungsäußerung zum Ausdruck brachte, in dem er insbesondere die Jugendvertreter aufforderte: „Sagt ihm ins Gesicht, ich mag dich nicht, aber ich wähl dich trotzdem.“
Wenn man andererseits bedenkt, dass hauptsächlich höhere und altgediente Funktionäre der 205.224 Mitglieder zählenden Partei überhaupt in den Genuss kommen für den Bundesparteitag, das höchste demokratische Gremium, nominiert zu werden, muss festgestellt werden, dass der spürbare Unmut der Basis schön langsam auch in den oberen Reihen der Partei zum Ausdruck kommt. Ohne dafür empirische Belege vorlegen zu können, sei angemerkt, dass bei einer direkten Wahl des Vorsitzenden unter allen Mitgliedern der Partei das Wahlergebnis für den SP-Chef tatsächlich zur Ohrfeige ausgeartet wäre.
Knapp 84 Prozent sind dennoch ein klarer Auftrag für den Parteivorsitzenden und eine Bestätigung seines Kurses in der SPÖ, auch wenn die meisten Kommentatoren offenbar nur die Minderheit von 16 Prozent im Auge haben. Das Wahlergebnis hat Faymann jedoch in erster Linie dem innerparteilichen Demokratiemangel und der Tatsache zu verdanken, dass bei einem Großteil der Delegierten am Parteitag ihre berufliche Existenz direkt oder indirekt mit Partei und Regierung zusammenhängt.
Der Jubel über 99,1 Prozent für Reinhold Mitterlehner als VP-Chef oder über 99,2 Prozent für Heinz-Christian Strache als Vorsitzender der Wiener FPÖ und die nur im Vergleich dazu scheinbare „Schlappe“ für Faymann wird jedenfalls alsbald wieder in Vergessenheit geraten. Auch der Sturm im SPÖ-Wasserglas wird sich schnell wieder legen und spätestens vor den nächsten Wahlen erreicht die Geschlossenheit wieder annähernd 99 Prozent.
(1) Laut Medienberichten waren zu Beginn des Parteitags 612 Delegierte anwesend, beim ersten Wahlgang zur Wahl des Parteivorstands gab es 605 abgegebene Stimmen, davon 1 ungültig und 604 gültig. Faymann erhielt bei dieser Wahl 505 Pro-Stimmen (83,61%) und 99 Streichungen. Bei der Wahl zum Bundesparteipräsidium, der eigentlichen Wahl zum Vorsitz, gab es 590 gültige Stimmen, 495 pro Faymann (83,9%) und 95 Streichungen.
* Zur Person: Michael Wögerer (33) war von 2000 bis 2007 Mitglied und Funktionär der SPÖ im Bezirk Amstetten; Anfang 2008 trat er aus Protest gegen die gebrochenen Wahlversprechen der SP-geführten Regierung unter Bundeskanzler Alfred Gusenbauer aus allen Funktionen zurück und aus der SPÖ aus.
Foto: „Chains“ (CC0 Public Domain), SPÖ-Logo aus den 1970er Jahren