…warum ich von der Idee einer gemeinsamen Online-Zeitung überzeugt bin
von Michael Wögerer
Laut Wiktionary ist ein Hirngespinst eine Idee, die fantastisch, abwegig, absurd ist; ein Phantasiegebilde, Luftschloss, eine Utopie und Traumwelt, landläufig auch als Schnapsidee bezeichnet.
Seit geraumer Zeit sucht mich so ein Hirngespinst auf, ich träume davon, meine Ideen, bescheidenen Fähigkeiten und meinen vielleicht übertriebenen Ehrgeiz in ein Projekt zu investieren, dass sich „Unsere Zeitung“ nennt. Einige von euch haben mich schon gefragt, was das denn werden soll und ich will nun versuchen etwas konkreter zu werden:
Vor kurzem machte ein mir unbekannter Facebook-Nutzer folgenden Kommentar: „Facebook ist für mich wie eine tägliche Zeitung, ich habe Freunde aus der ganzen Welt und von denen bekomme ich laufend Neuigkeiten auf meine Startseite.“ Lassen wir mal die Katzenfotos, Liebes(schmerz)geschichten und den sonntäglichen „I hob Schädelweh!-Kommentar“ beiseite, so ist dies tatsächlich der Fall. Ich habe selbst mittlerweile über 1.000 Freunde in meinem sozialen Netzwerk und erfahre täglich Dinge, die mir über althergebrachte Quellen kaum untergekommen wären. Wenn wir daraus eine Zeitung basteln, so wäre sie mit vielen möglichen Autoren und Themen angereichert und könnte ein breites Publikum interessieren. Stellen wir uns folgendes vor: von 100 Menschen schreibt jede/r ein Mal in der Woche einen Artikel, das wären folglich 100 Artikel pro Woche, über 14 am Tag. Wäre kein schlechter Anfang für eine Online-Zeitung.
Nun gut, ihr werdet einwenden, dass das so einfach auch wieder nicht ist. Nicht jeder kann Schreiben, nicht jeder darf Journalist sein. Nach dem österreichischen Journalistengesetz, dürfen sich nur diejenigen als JournalistInnen bezeichnen, die „mit festen Bezügen angestellt sind und diese Tätigkeit nicht bloß als Nebenbeschäftigung ausüben“ (§ 1), eine ziemlich schwammige Geschichte meine ich, denn es gibt mittlerweile tausende freie Journalisten, die weder fix angestellt sind, noch von der reinen Tätigkeit als JournalistIn leben können. Viele müssen nebenbei eine andere Tätigkeit ausüben, PR-Artikel schreiben oder als Redaktionsassistenten arbeiten. Rein rechtlich kann es uns auch ziemlich egal sein, ob wir uns „Journalisten“ nennen oder nicht. Und dennoch sollten wir uns als solche verstehen.
Was macht aber „echten Journalismus“ aus? „Journalismus bezeichnet die periodische publizistische Arbeit von Journalisten bei der Presse, in Online-Medien oder im Rundfunk mit dem Ziel Öffentlichkeit herzustellen. Auf gesellschaftlicher Ebene charakterisiert sich der Journalismus durch professionelle Fremdbeobachtung verschiedener Gesellschaftsbereiche. Themen mit Aktualität, Faktizität und Relevanz stellt er durch Publikation für die öffentliche Kommunikation zur Verfügung. Dies unterscheidet den Journalismus insbesondere von Public Relations, Werbung und Literatur. Auf der organisatorischen Ebene produzieren Medienbetriebe und -angebote kontinuierlich journalistische Kommunikation mit Aktualität, Faktizität und Relevanz.“ (wikipedia)
Aktualität, Faktizität und Relevanz…so ist das also!?
Sehen wir uns an, was wir derzeit in den österreichischen Tageszeitungen lesen können. Aktualität ja, über Faktizität (also tatsächliche/nachweisbare Gegebenheiten) und Relevanz lässt sich vortrefflich streiten. Blättere gerade durch die Donnerstags-Ausgabe von „Heute“. Dort lese ich über die sportliche Herzogin Kate mit einem Kleid von Stella McCartney, die Hunde von Ex-Präsident Sarkozy im Elysée-Palast, die Beiß-Schäden in der Höhe von mehreren tausend Euro angerichtet haben sollen (hier lässt sich sogar über die Aktualität streiten, denn Sarkozy ist seit 2012 nicht mehr französischer Präsident!), weiters erfahren wir, dass Arnold Schwarzenegger ein neues Haus in Australien sucht, Sylvie Meis in St. Tropez badet und Orlando Bloom dem Justin Bieber eine reinhauen wollte. Relevanz? Null!
Vielleicht ist es unfair hier nur über das Gratis-Blattl „Heute“ herzuziehen („Österreich“ erspar ich euch lieber komplett), aber auch die sogenannten „Qualitätsmedien“, von denen landauf landab geschwafelt wird, können bei genauerer Betrachtung dem Kriterium Faktizität und Relevanz nur selten entsprechen.
Was soll nun Unsere Zeitung daran ändern und wie könnte das ganze funktionieren?
Gleich vorweg, niemand von uns ist vor Fehlern gefeit, niemand von uns hat die absolute Wahrheit für sich gepachtet. Was wirklich in der heutigen Welt geschieht, ist oft – insbesondere von der Ferne aus betrachtet – schwer einzuschätzen. Die große Chance einer vernetzten Welt ist es aber, dass durch das Zusammenfließen unterschiedlicher Quellen wir der Wahrheit ein Stück näher kommen. Ähnlich wie das Online-Lexikon Wikipedia bei Einträgen, die von vielen Menschen diskutiert und bearbeitet werden an Faktizität gewinnt, so könnte auch die mediale Berichterstattung durch den Austausch mit den Lesern, die viel stärker am Prozess beteiligt werden, an Qualität gewinnen. Während die zahlreichen User bei derstandard.at nur geringfügigen Einfluss auf die Berichterstattung haben, soll Unsere Zeitung einen gänzlich anderen, radikalen Weg gehen. Redakteure und Leser verschmelzen zu einer Gemeinschaft, jede/r kann (auf Basis einer zuvor beschlossenen Blattlinie, die Rechtsextremismus, Sexismus, Chauvinismus, etc. dezidiert ausschließt) Artikel zu allen Rubriken direkt einschicken. In einem internen Forum werden die Artikel kurz diskutiert, allfällige Fehler vor der Veröffentlichung ausgebessert und dann online gestellt. Alle Leser sollen auch danach die Möglichkeit haben die Beiträge zu diskutieren und zu bewerten. Es entsteht eine Zeitung, die – wenn die Schwarmintelligenz funktioniert – jene Artikel nach oben pusht, die aktuell, relevant und der Wahrheit am nächsten sind.
Natürlich braucht das Ganze gewisse Sicherheitsvorkehrungen, die jener Kreis, der das Projekt starten möchte, zuvor gemeinsam erarbeitet, aber die meisten Hürden entstehen sowieso beim Vorwärtsgehen und diese können nur in der Praxis überwunden werden.
Zum Schluss noch zur Frage, ob es sich dabei um eine „linke Zeitung“ handelt.
Dazu die klare Antwort: JEIN!
Zuerst müssten wir lang und breit diskutieren, was links ist. Nehmen wir der Einfachheit halber ein letztes Mal das Lexikon zur Hand: „Ein klassisches Politikverständnis der Linken ist geprägt von einem egalitären Menschenbild, das heißt: Sie betrachtet unter anderem die Gleichberechtigung aller Menschen, unabhängig von nationalen, ethnischen, geschlechtlichen und anderen Gruppenzugehörigkeiten, als anzustrebendes politisches Ziel – gemäß den Idealen der Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Daraus abgeleitet wurde und wird bis heute auch eine Politik der Chancengleichheit für alle Bevölkerungsschichten und schließlich die Forderung nach gleichem Zugang zum gesellschaftlichen, gerade auch materiellen, Reichtum.“ (wikipedia)
Wenn es also darum geht, dass Unsere Zeitung ein Menschenbild fördern will, das alle Menschen unabhängig von nationalen, ethnischen, geschlechtlichen und anderen Gruppenzugehörigkeiten gleich behandelt, dann ist sie durchaus eine linke Zeitung. Es soll zudem keinerlei Einschränkungen materieller Natur für die Nutzung der Zeitung geben und wir schreiben auch nicht für die Börsenspekulanten, Königshäuser und die High-Society. Wir sind – wenn man so will – die Zeitung der 99%.
Wenn ich mir aber die bestehenden linken Zeitungsprojekte ansehe, dann gibt es daran so einiges, was Unsere Zeitung nicht werden sollte. Dies beinhaltet vor allem die Holzhammer-Methode, mit der linke Gruppierungen in ihren Zeitungen ihre Positionen eintrichtern wollen und dies zumeist in einer Sprache, die ihre Zielgruppe (ArbeiterInnen, einfache Angestellte, das „gemeine Volk“) in keiner Weise anspricht. Es mag naiv sein, aber ich bin der festen Überzeugung, dass gerade der partizipative Charakter und die Einbeziehung unterschiedlicher Zugänge dazu führt, dass jene Themen im Vordergrund stehen, die die Mehrheit der Menschen tatsächlich berührt. Ziel ist eine demokratische Zeitung, die auch einiges an unterschiedlichen Meinungen aushalten muss, um erfolgreich zu sein. Dieser Erfolg misst sich letztendlich auch daran, ob Unsere Zeitung von vielen Menschen gelesen wird und ob vielleicht sogar der eine oder die andere das Projekt finanziell unterstützt (dazu aber ein anderes Mal).
Gratulation an alle, die bisher gelesen haben! Falls ich nun einige Fragen beantworten konnte, bin ich froh. Falls dadurch mehr Fragen entstanden sind, bin ich auch froh. Stellt mir eure Fragen, bringt Kritik ein, sagt mir auch, wenn ich am Holzweg bin. Das Projekt soll nicht „Meine Zeitung“ heißen, sondern lebt davon, dass sich viele interessierte Menschen einbringen. Nur gemeinsam kann so eine Idee umgesetzt werden!
Alles Liebe!
Michael
(erstmals veröffentlicht auf facebook am 3.8.2014)