Um die Liberalisierungen des Welthandels weiter zu forcieren und neue Machtpositionen der transnationalen Konzerne und international agierenden Banken durchzusetzen spannten die kapitalistischen Metropole ein dichtes Netz von bilateralen bzw. regionalen Freihandels- und Investitionsabkommen rund um den Globus.
Rund 3.200 derartiger Abkommen existieren derzeit. 90% davon beinhalten „Investor-Staats-Verfahren“ (sogenannte Investitionsschutzbestimmungen), welche Großinvestoren demokratieresistent machen. Die aktuell verhandelten und heuer zum Abschluss stehenden Abkommen TTIP*, CETA**, TiSA*** und TPP**** würden die weitere Liberalisierung des Welthandels von Waren, Dienstleistungen und Finanzen nicht „nur“ in Umfang und Inhalt nochmals eine neue Quantität und Qualität erreichen lassen, sondern zudem eine supranationale Verfassung der Banken und Konzerne über große Teile des Erdballs legen. Eine gänzliche Wirtschaftsliberalisierung ohne juristisches Zurück.
Die darin beinhalteten Sonderklagerechte für internationale Investoren, würde es Konzernen und Banken ermöglichen, die Unterzeichnerstaaten vor geheimen Tribunalen auf Schadensersatz zu verklagen, wenn Gesetze ihre Gewinnerwartungen schmälern. Dergestalt würden die transnationalen Konzerne und Großbanken diesen Abkommen zufolge zu den entscheidenden Subjekten internationalem Rechts erhoben, das sie weitgehend demokratischen Entscheidungen enthebt und immun gegen jeden sozialen und demokratischen Fortschritt machen würde. Jedwedes profitmindernde oder auch nur die zukünftigen Profiterwartungen tangierende progressive Gesetz könnte über eine private, dem öffentlichen Justizwesen übergeordnete, Gerichtsbarkeit attackiert werden. Verhandelt auf eigenen, zumeist in Hotelzimmern tagenden, von den Streitparteien aus einschlägigen Anwaltskanzleien mit Richtern beschickten Schiedsgerichten – ohne Berufungsmöglichkeit gegen gefällte Urteile bei einer höheren Instanz, außerhalb aller nationalstaatlichen, demokratischen Rechtssysteme.
Ein verschiedentlich nicht zu unrecht als „kalter Staatsstreich“ der Konzerne und Banken charakterisiertes Projekt. Zumal es darüber hinaus auch noch vollends eingleisig verfasst ist. So haben Investoren darin im Grunde nur Rechte, keine Pflichten (etwa die Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte). Entsprechend sind denn auch für die Staaten keine Klagerechte ihrerseits vorgesehen. Mit diesen Sonderklagerechten wird den Konzernen und Banken aber nicht nur die Keule milliardenschwerer Entschädigungsklagen gegen verabschiedete Gesetze in die Hand gegeben, sondern in einem damit zugleich die Keule für Präventivschläge gegen unliebsame erwogene Gesetze vorzugehen – etwa durch einfach Klagsdrohung. Eine Praxis, die auf Basis bereits bestehender Handels- und Investitionsschutzabkommen schon heute gängiger ist als einer breiten Öffentlichkeit bekannt – und Regierungen weltweit gut überlegen lässt, ob und welche Gesetze sie auch erlassen. „Regulatory chill“ heißen diese Androhungen einer Klage, um geplante Gesetzte abzuwürgen oder zu verwässern im Fachjargon. Ein Phänomen, das ein kanadischer Regierungsbeamter fünf Jahre nach Inkrafttreten des NAFTA-Freihandelsabkommens zwischen Mexiko, Kanada und den USA folgendermaßen beschrieb: „Bei beinahe jeder neuen umweltpolitischen Maßnahme gab es von Kanzleien aus New York und Washington Briefe an die kanadische Regierung. Da ging es um chemische Reinigung, Medikamente, Pestizide, Patentrecht. Nahezu jede neue Initiative wurde ins Visier genommen und die meisten haben nie das Licht der Welt erblickt.“ Auf diesem Boden nannte denn zuletzt sogar die Süddeutsche Zeitung die geplanten Sonderklagerechte für Großinvestoren einen „heimlichen Staatsstreich“ und einen „der gefährlichsten Angriffe auf die demokratischen Rechts- und Sozialstaaten, die es je gegeben hat.“ Und in der Tat, so symbolisch das viel zitierte drohende Chlorhühnchen auch sein mag, der Kampf gegen diese supranationale Verfassung der Konzerne und Banken geht um ganz andere Dimensionen. Dimensionen die, wie nachstehende Beispiele verdeutlichen, bis hinein in die unmittelbarsten gewerkschaftspolitischen Felder reichen.
Konzerne gegen Arbeitskämpfe:
2001: Der US-amerikanische Rohstoffkonzern „Noble Ventures“ verklagt in einem Investor-Staats-Verfahren aufgrund eines Arbeitskampfes die rumänische Regierung. „Noble Ventures“ hatte sich in Rumänien ein ehemaliges Staatsunternehmen unter den Nagel gerissen. Die massiven Proteste, Streiks und Betriebsbesetzungen der Beschäftigten gegen die Privatisierung haben der Optik des US-Konzerns zufolge jedoch das Investment verteuert. Vor diesem Hintergrund klagte „Noble Ventures“ die Bukarester Regierung, weil diese das Unternehmen nicht ausreichend vor Arbeitskämpfen gewarnt und „angemessen“ vor Streiks und Betriebsbesetzungen geschützt habe!
Konzerne gegen Mindestlöhne:
2012: Der französische Konzern „Veolia“ hat gegen Ägypten Klage wegen dessen Einführung eines Mindestlohns eingebracht. Dieser, wie das neue Arbeitsrechtspaket – zwei der wenigen Errungenschaften, die sich die ägyptischen Werktätigen 2011 erkämpft hatten – verursachten höhere Kosten und minimierten somit die Gewinnerwartung des Konzerns. Also ab vor den Kadi mit Mindestlohn und Arbeitsrecht!
Konzerne gegen Lohnzuschläge:
Die kanadische Gesellschaft „Centerra Gold Inc.“, im kirgisischen Goldbergbau-Geschäft aktiv, zerrt gegen die von der Regierung geplanten Lohnzuschläge für Minenarbeiter, die in großer Höhe arbeiten müssen (Zuschläge bei Minenarbeit über 4.000 m) Kirgisistan vor ein internationales Schiedsgericht, und beeinspruchte diese Schwerarbeiterregelung kurzerhand!
Konzerne gegen Antidiskriminierung:
2006: Italienische Investoren initiieren ein Schiedsverfahren gegen Südafrika und klagen gegen dessen verabschiedetes Bergbaugesetz, das eine Neuzuteilung aller Abbaulizenzen vorsah. Zu den neuen Konditionen der Regierung gehörten auch Kriterien der „Black Economic Empowerment“, die die Unternehmensanteile historisch benachteiligter SüdafrikanerInnen an der Ausbeutung der Bodenschätze auf 26% erhöhen sollte. Gegen diese Abtretung von einigen Unternehmensanteilen wurde flugs justiziell mobil gemacht, da diese Änderung einer „Enteignung gleichkäme“. 2010 sah sich Südafrika veranlasst, einem außergerichtlichen Vergleich zuzustimmen, und verzichtete darin auf die Abtretungs-Auflage. Um derartigen Konzern-Klagen hinkünftig zu entgehen, kündigte Südafrika 2013 seine bilateralen Investitionsschutzabkommen auf und stieg wie immer mehr Staaten aus derartigen Verträgen aus.
Konzerne gegen Preiskontrollen:
Die europäischen Wasserversorger „Suez“, „Vivendi“, „Anglian Water Group“ und „Aguas“, die die Wasserversorgung von Buenos Aires betrieben, verklagen die Regierung Argentiniens, weil diese in der schweren Wirtschaftskrise 2001/2002 mit Gebühren-Obergrenzen für grundlegende Dienstleistungen wie Strom, Gas und Wasser die BürgerInnen vor einer unkontrollierten Preisinflation schützen wollte (2002 von zuvor unter 1% auf 26% gesprungen). Das Konsortium brachte umgehend Klage gegen diese Preiskontrollen ein, weil sie eine Verletzung der „fairen und gerechten Behandlung“ ausmachten – und bekam recht! Unkontrollierte Preissteigerungen wären – ungeachtet ihrer sozialen Auswirkungen – notwendig, um die Wirtschaftlichkeit des Projekts zu sichern. Die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung steht noch aus. Das Konzernkonsortium verlangt eklatante 1,2 Milliarden Euro….
* TTIP: Transatlantic Trade and Investment Partnership (USA + EU)
** CETA: Comprehensive Economic and Trade Agreement (EU + Kanada)
*** TiSA: Trade in Services (zwischen insges. 50 Staaten)
**** TPP: Trans-Pacific-Partnership (zwischen USA, Australien, Kanada, Mexiko, Japan und weiteren asiatischen Staaten)
Hinweis:
- Am 18. April 2015 findet der nächste internationale wie gewerkschaftliche Aktionstag gegen die in Verhandlung stehenden Abkommen statt.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitung KOMpass (Nr.10)
Foto: ULRIKE SCHMIDT / CAMPACT – TTIP Flashmob Hamburg (Lizenz: CC BY-NC 2.0)