Lukrative Leichen
Der Unglücksjet krachte vergangenen Dienstag in das Massif des Trois-Évêchés und die Medien der Welt. Auf Wikipedia wurden bis Montagmorgen Artikel in 54 Zungen verfasst (so dieser). Die deutschsprachige Öffentlichkeit war besonders plakativ: Heute verwechselte die in – nicht bei – Österreich gültige Genauigkeitspflicht mit inflationär-desinformativer Schlagzeilenschwemme.
Ursachen unklar
Am Dienstag kursierten krude Analysen selbsternannter Physik- und Luftfahrtexperten, die – ohne den Sprachrekorder des Germanwings-Flugs zu hören – meinten, die Abläufe zu kennen. Gut, dass es besonnene, kaum verdächtige Leute gibt, die Ahnung haben. So war in der ZiB 2 der Luftfahrtunternehmer Niki Lauda zugeschalten, Dieter Reisinger saß im Studio und hatte eine zum Anlass unpassende Krawatte mit Fliegermotiven an. Lauda vertrat – wie bei Maischberger – die These, der Not-Sinkflug sei entweder manuell oder maschinell eingeleitet worden, ein Anschlag unwahrscheinlich. In der ARD sprachen Pilotengewerkschafter, welche technische Fehler nicht ausschließen wollten. Airbus-Vögel seien bekannt dafür, dass der Mensch und Mechanik verbindende Rechner einzelne Eingaben falsch interpretiere, sagte Jörg Handwerg. Die Ingenieure des Konzerns beachten bestimmte Anforderungen der Praxis einfach nicht, wodurch „Designfehler“ entstünden. Die meisten seien tolerierbar. Das Diskontargument wollte Handwerg nicht verneinen, Lauda schon; dafür seien die Kontrollen in Europa zu dicht. Die Vorwürfe gegen das Unternehmen wies Airbus-Chef Thomas Enders derweil zurück. PR-wirksam erklärte er alle für pietätlos, die technische Gründe diskutieren.
Leidbilder
Zurück zur Heute: die brachte am Dienstag die Totale einer weinenden Frau am Cover. Sensationelles Leid verkauft sich gut mit Heuchelei. Auch die Tiroler Tageszeitung zeigte Trauernde, die zumindest im Mittel- und Hintergrund des gewählten Fotos waren. Andere druckten Trümmerteile, Schemata und die Ankunftstafel in DUS ab. Vollends angemessene Illustrationen wählten der Kurier und phoenix. Die Krone brachte vier Bilder mit identifizierbaren Trauernden und titelte auf fünf Seiten wie im Katastrophenfilm: „Ganze Schulklasse flog in den Tod“, „Todesflug von Barcelona nach Düsseldorf“, „DIE ROUTE DES GERMANWINGS-TODESFLUGS“, „Deutsche Schulkasse war an Bord des Todesfluges“. Dabei war dies keine Klasse. Das blieb freilich nicht die einzige Ungenauigkeit.
Der Kopilot
Da Andreas L. kein Moslem war, rätselten die erzkatholischen Salzburger Nachrichten über das vermeintliche Motiv des 27-jährigen. Psychische und physische Probleme wurden oft genannt, dann wieder verworfen. Die Gossenjournaille durchwühlt jetzt sein Privatleben wie eine Schweineherde auf Trüffelsuche. Eben weil nichts abschließend geklärt ist, gilt auch für diesen Toten die Unschuldsvermutung. Ihn mit vollem Namen zu nennen, zu diffamieren und dadurch seine Familie ins Kreuzfeuer zu nehmen, ist daher kein Journalismus, sondern schlichtweg verantwortungslose Hetze.