Gute Nachrichten, RIESEN und kleinschreibung
Nehmen wir mal kurz an, Christian Ortner wäre kein rechter, biederer Spießer, der breitenwirksam über Doppelmoral schwadroniert. Dann würde sich niemand für seine Website interessieren, die er als „ZENTRALORGAN DES NEOLIBERALISMUS“ bezeichnet.
Nehmen wir überdies an, Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein wäre nicht Nationalrätin. So würde die Medizinerin die von ihrem Parteichef abgekupferte Hetze dort lassen, wo sie hingehört: in der digitalen Gosse.
Es gäbe immer noch rassistische Hetze, eine peinliche, selbstherrliche Asylpolitik, doch stünden eher gute Nachrichten über AsylwerberInnen im Fokus. Es gäbe weniger Dummköpfe, die Flüchtlinge um das wenige beneiden, was ihnen zugestanden wird. Es gäbe keine Handydebatte. Stattdessen würde anerkannt, dass sie dieses Land trotzdem mitgestalten, bei Katastrophen freiwillig anpacken. Wie schön wäre das? Doch in einer Welt, in der Christian Ortner und „Günther Jauch ungestraft die Berufsbezeichnung Journalist tragen“ dürfen, ist es nicht so.
Bleiben wir bei Jauch und bemühen ausnahmsweise Sir Karl Popper. Der vertrat einst die Haltung, man könne nur so lange davon ausgehen, es gäbe ausschließlich weiße Schwäne, bis auch nur ein schwarzer gefunden würde. Er wandte sich also gegen absolute Wahrheiten. So ist die Frage, woher die Redaktion von Wer wird Millionär? eigentlich wissen will, welche Barttracht Riesen pflegen. Wer definiert eigentlich wie, wer riesig ist? Was ist schon normal?
Ski-Sternderl Anna Fenninger etwa verwendet auf Facebook grundsätzlich Kleinbuchstaben. So auch in ihrem viel zitierten Rundumschlag vom letzten Dienstag. Inhalt und Reaktionen sind bekannt, auch ihre eigene, darob hier auf die Zitation an sich eingegangen wird. Die Salzburger Nachrichten und die Krone gehören zu jenen, welche die Kleinschreibung im Posting einfach ignorierten. Warum ist das so? Praktisch ermöglicht Rechtschreibung Leuten, deren Dialekte ähnliche Wurzeln haben, die vereinfachte Verständigung in einer gemeinsamen Hochsprache. Diese ist ja Prämisse für eine Schriftsprache, wenn nicht umgekehrt. Doch im selben Umfang, wie eine vereinheitlichte Sprache in Wort und Schrift die gemeinsame Artikulation idealerweise unmissverständlicher und unveräußerlicher Rechte ermöglicht, den Austausch in Kultur und anderen Sphären erleichtert, sichert sie auch gültige Hegemonien, stützt Herrschaft. So wird Rechtschreibung auch immer wieder hinterfragt. Einzelne PoetInnen sträuben sich seit jeher dagegen, nicht nur strenger Metrik, sondern auch strengen orthographischen Regeln zu folgen. Gemäßigte Gegner verwenden seltener Großbuchstaben, weichen sonst aber wenig ab. Man kann nun sowohl der Ignoranz wie auch dem Opportunismus des von Fenninger geächteten Patriarchats die verfälschende Zitation ankreiden. Letztlich entwickelt, ja wandelt sich jede bekannte Sprache, wodurch auch die Weiterverbreitung der Kleinschreibung offen ist. Dennoch: Sprachkritik allein ist vergebliche Symptombekämpfung.
Foto: Screenshot (Facebook).