Die überlieferten Worte des jüdischen Wanderpredigers aus Nazareth scheinen hierzulande auf taube Ohren zu stoßen
Asylkalender, 24. Dezember 2015.
„Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, und flieh nach Ägypten; dort bleibe, bis ich dir etwas anderes auftrage; denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten.“ (Matthäus 2, 20)
Wenn sich nach den Punschgelagen und Shoppingexzessen der letzten Tage heute Abend doch viele an die Geschichte vom Jesukindlein erinnern und das Weihnachtsevangelium lesen, dann denken wir an den braven Josef, der sich mit seiner vom „Heiligen Geist“ schwangeren Maria auf Herbergsuche begibt, an Ochs und Esel als Zeugen der Niederkunft und an die Hirten und Engeln, die den neuen Messias preisen.
An anderer Stelle in der Bibel wird von den Sterndeutern berichtet, die dem Kindlein in der Krippe Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben darbringen und schließlich beschreibt der Evangelist Matthäus die eingangs erwähnte Flucht der jungen Familie nach Ägypten. König Herodes fürchtete die Konkurrenz und ließ in Betlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten. Für die ägyptischen Asylbehörden handelte es sich dabei eindeutig um einen Fluchtgrund und so hatten Josef, Maria & Co. bis zum Tod des mörderischen Herodes Aufenthaltsstatus.
Das Flüchtling-Sein zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel. Im Alten und Neuen Testament, auf die sich die Katholische Kirche beruft, finden sich zahlreiche Stellen, die über Verfolgung, Flucht und Aufbruch in die Fremde erzählen.
Knapp 65 Prozent der Österreicher glauben an diese Geschichten, sie bekennen sich offiziell zum Christentum. Laut Statistik der Österreichischen Bischofskonferenz gab es mit Stichtag 31. Dezember 2014 knapp 5,3 Millionen Katholiken in Österreich (61,4 %), etwa 300.000 (3,6%) sind Mitglied einer evangelischen Kirche.
Aufgrund dieser Zahlen könnte man annehmen, dass hierzulande die Stimmung gegenüber Flüchtlingen besonders von christlicher Nächstenliebe geprägt sei, denn sogar der Papst appellierte kürzlich an „jede Pfarrgemeinde, jede religiöse Gemeinschaft, jedes Kloster“ in Europa eine Flüchtlingsfamilie zu beherbergen. Tschechische und slowakische Bischöfe reagierten darauf zurückhaltend, in Österreich zeigte man sich von offizieller Seite zumindest bemüht, während das gemeine Kirchenvolk in dieser Frage lieber nicht konsultiert werden sollte.
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IMAS, die Anfang Dezember veröffentlicht wurde, ist es für die Hälfte der ÖsterreicherInnen ein Problem, wenn Flüchtlinge in der Nähe des eigenen Wohnorts untergebracht werden. 64 Prozent wollen Grenzkontrollen, 54 Prozent den viel diskutierten Grenzzaun. Lediglich 23 Prozent der Befragten haben sich mit Geld- oder Sachspenden oder ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagiert. Mit ihrem klaren Anti-Asyl-Kurs kommt die FPÖ in einer aktuellen „profil“-Umfrage auf 31 Prozent, gefolgt von den Regierungsparteien ÖVP (23%) und SPÖ (22%).
Und so scheint es, dass sich sowohl die „wehrhaften Christen“ als auch die (Gelegenheits-)Kirchgänger die überlieferten Worte des jüdischen Wanderpredigers aus Nazareth heutzutage ganz besonders zu Herzen nehmen sollten: „Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25, 34-40)
Text und Grafik: Michael Wögerer (o.B.)
Foto: Maria und Josef fliehen mit Jesus nach Ägypten (Vittore Carpaccio 1500 ; gemeinfrei)
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