Beginnt in Portugal der zweite Absturz oder kann die neue sozialdemokratische Regierung die letzte Chance für eine etwas bessere Politik nutzen? „Scheinbar funktioniert die portugiesische Politik immer nach dem selben Muster. Korruption, Freunderlwirtschaft und hinter mir die Sintflut. Es macht keinen Unterschied welche Partei gerade am Ruder ist”, so und ähnlich lauten allerorts die Kommentare von politisch interessierten Menschen.
Martin Wachter berichtet zum Jahreswechsel aus Lisboa über „schöne Bescherungen” für Lousitanien.
Zuerst Erfreuliches – auch wenn es nur wenig ist: Ab 1. Jänner 2016 wird der Mindestlohn um 25 Euro auf 530 Euro im Monat erhöht. Die 2013 eingeführten massiven Steuererhöhungen bei der „Solidaritätsabgabe” für Mittel- und Besserverdiener werden reduziert. Zur allgemeinen Verständigung: Ein Jahreseinkommen bis 7.000 Euro wird mit einem Steuersatz von 14,5 – und von 7.000 bis 20.000 Euro mit bereits 28,5 Prozent Abzügen belastet. Ab einem Einkommen von jährlich 6.790 Euro waren zusätzlich 3,5 Prozent „Soli”-Steuer an den Staat abzuliefern. So hat es die Troika von ihren politischen Erfüllungsgehilfen in Portugal zur Teil-„Sanierung” der Staatsfinanzen gefordert. Der seit Ende November regierende Antonio Costa von den sozialdemokratischen Sozialisten (PS) bezifftert die beschlossenen Maßnahmen mit einer Einkommenserhöhung für 650.000 Klein- und Mittverdienende. Das ist ein Betrag von 170 bis 200 Millionen Euro jährlich. Die jetzt regierende PS erhofft sich durch diese Maßnahmen eine Verbesserung der Kaufkraft und damit verbunden eine Belebung der Wirtschaft. Ja, und noch ein kleiner Erfolg. Ein Gesetzesvorschlag, der mit einem Mandat im Parlament vertretenen Tierschutzpartei wurde mit einer 123-stimmigen Mehrheit des gegenwärtigen Regierungsbündnisses angenommen: ab 2016 dürfen Strassen- und Strandhunde nicht mehr umgebracht werden. Die Oppositioin stimmte geschlossen mit ihren 107 VertreterInnen dagegen. Bemerkung am Rande: Es wäre nur dem OppositionsChef von der volksparteilichen Sozialdemokratie PSD zugestanden gegen das Gesetz zu stimmen, denn er trägt Hase als Familienennamen und wie es sprichwörtlich heißt: viele Hunde sind des Hasen …
Trotz massiven Polizeischutzes Sturm auf die Novo Banco
Es geht rund in Portugal. Keine Woche ohne Hiobsbotschaft. Mit Krampf und Gezerre wurden mikrige geschätzte 170 Millionen für GeringverdienerInnen und sozial Benachteiligte flüssig gemacht. In der selben Zeit sind dem Staat weitere Milliarden Euro an neuer Schuldenbürde aufgeladen worden. Vier Banken hat es in der Krise seit 2010 erwischt. Schadenssumme für Portugals SteuerzahlerInnen – bis dato an die 19,5 Milliarden Euro, Tendenz noch steigend. Die HYPO Alpe Adria ist immer und überall (Anmerkung des Autors)! Die Novo Banco, ehemals Banco Espirito Santo (BES), also die Heiligen Geist Bank, schon zweimal! Im letzten Quartal des Jahres 2015 stieg dadurch die Staatsverschuldung um zwei bis drei Milliarden Euro. Es werden weitere Leichen im Keller vermutet und die Summe wird noch steigen. Für die praktisch verschenkte Novo Banco an hauptsächlich „chinesische Investoren” ist die Rechnung für den Finanzminister noch lange nicht gemacht. Die „Neueigentümer” wollen die Einlagen der Kontoinhaber nicht auszahlen. Ende November stürmten trotz großen Polizeiaufgebots empörte Kunden die Novo Banco Filiale in Porto. Viele Kontoinhaber waren aus der ganzen Welt angereist, weil die Novo Banco zum Großteil die Konten der AuslandsportugiesInnen und Geschäftsleute verwaltet. Doch Kohle gab es für die betrogenen Bankkunden keine oder nur sehr wenig.
Anfang Dezember 2015 flog der neuen Regierung die BANIF (Banco Internacional de Funchal) um die Ohren. Im Jahr 2012 belief sich die Bilanzsumme der Banif-Gruppe auf 15 Milliarden Euro. Sie unterhielt im Jahr 2010 in Portugal 352 Filialen und weitere 680 Repräsentanzen weltweit. Im Jahr 2013 beschäftigte sie 3.196 Mitarbeiter. Dieses Geldinstitut der Ferieninsel Madeira ging zum zweiten Mal bankrott. 1,1 Milliarden Steuergeld hatte die erste „Bankenrettung” verschlungen. Der neuerliche Bankrott wird mindestens genau so viel Geld, wenn nicht noch mehr kosten. Die jetzige Regierung der PS ist am Untergang der Bank aus dem portugiesischen „Steuerparadies” Madeira noch nicht verantwortlich. Denn Anfang des Jahres 2015 mußte Alberto Jardim, der Regionalpräsident der Blumeninsel im Atlantik zurücktreten. – Dazu aus der Encyklopädie Wikipedia.
Dieser Auszug veranschaulicht wie Politik in Portugal funktioniert: Alberto João Cardoso Gonçalves Jardim (* 4. Februar 1943 in Funchal) ist ein portugiesischer Politiker. Jardim war von 1978 bis 2015 Präsident der Autonomen Region Madeira. Er ist Mitglied des Staatsrates, des Verteidigungsrates, des Rates für Innere Verteidigung und des Rates für Innere Sicherheit der Portugiesischen Republik. Jardim zählt zu den umstrittensten Politikern Portugals…
… Jardim war Direktor des Instituts für Arbeit und berufliche Weiterbildung der Insel Madeira Als Journalist war er für das Jornal da Madeira tätig, dessen Direktor er später wurde. Jardim wurde erstmals im März 1978 zum Präsidenten Madeiras vereidigt.
Am 9. Oktober 2011 wurde Jardim bereits zum zehnten Mal zum Präsidenten der Regierung der Autonomen Region Madeira gewählt. Das Amt hatte er seit März 1978 inne. Außerdem ist er regionaler Vorsitzender der Mitte-rechts-Regierungspartei Partido Social Democrata (PSD). Jardim setzt sich für eine stärkere Autonomie von Portugal ein. Sein Führungsstil gilt als autoritär und patriarchalisch. Während seiner Regierungszeit entwickelte sich Madeira von einer der ärmsten Regionen Portugals zur Region mit dem zweithöchsten Lebensstandard nach Lissabon. 2007 trat er aus Protest gegen das neue Gesetz über die Regionalfinanzen, das Kürzungen der Finanzbeihilfen aus dem Staatshaushalt vorsah, von seinem Amt zurück, wurde bei den folgenden vorgezogenen Wahlen erneut zum Regierungschef gewählt. Am 12. Januar 2015 stürzte die Regierung Jardims.
Madeira sitzt auf einem Schuldenberg von 6,3 Milliarden Euro
Als etwa seit dem Jahre 2000 die EU-Subventionen nicht mehr so sprudelten wie bisher, gründete Regionalpräsident Jardim eigene Firmen um neue Kredite aufnehmen zu können. Nachdem die Verstrickungen Jardims aufgeflogen und außer Kontrolle gerieten, nannte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel Madeira als Beispiel dafür, wie man regionale EU-Entwicklungsgelder nicht ausgeben sollte. Jardim antwortete in typischem Kampfstil auf die Kritik seines Finanzmanagements, indem er Merkel als „ignorant“ bezeichnete.
Im September 2011 stellte es sich heraus, dass die Regionalregierung die Schulden Madeiras seit 2008 zu niedrig angegeben hatten. Jardim gestand ein, dass die Schulden um 1,1 Milliarden Euro höher seien. Später gab er die Schuldenhöhe mit bis zu fünf Milliarden Euro an. Vítor Gaspar, Portugals damaliger Finanzminister und parteiloser Politfreund von Jardim sprach im Oktober sogar von 6,3 Milliarden Euro Schulden, die die Regionalregierung unter Jardim angehäuft habe.In der Folge sind seither die Regierungstätigkeit von Alberto João Jardim Gegenstand von Untersuchungen durch die Guarda Nacional Republicana (GNR), der Sicherheitspolizei Portugals, sowie der Staatsanwaltschaft in Lissabon. Ihm werden ausgiebige Korruption und Steuerbetrug in Milliardenhöhe vorgeworfen. Jardim bestritt die Vorwürfe und zweifelte die Rechtmäßigkeit der Untersuchungen an. Mitte 2013 mußte Vitor Gaspar selber den Hut nehmen und die Regierung Pedro Passos Coelho verlassen. Ende der Wikipedia-Auszugs!
Alberto Jardim hatte noch grössere Ambitionen. Er wollte zu den Präsidentenwahlen Portugals als Spitzenkandidatat für die PSD am 24.Jänner 2016 antreten. Das war selbst seinen Parteifreunden aus Lisboa “zu viel des Guten”.
Regierungschef Antonio Costa macht große Ankündigungen, nachdem die neuerliche Bankrotterklärung der BANIF öffentlich geworden war. Der sozialdemokratische Sozialist und neue Regierungschef erklärte die zukünftige Entwicklung der BANIF am Donnerstag den 17. Dezember 2015 zur „Chefsache”. Am darauffolgenden Mittwoch gab er im Parlament den Verkauf, nein, die quasi-Verschenkung an die spanische Großbank „Santander” bekannt. Der Verscherbelungspreis für die Bank bringt dem Finanzminister und dem portugiesischen Staatshaushalt mickrige 150 Millionen Euro. Nocheinmal zur Wiederholung um was es da geht: Im Jahr 2012 belief sich die Bilanzsumme der Banif-Gruppe auf 15 Milliarden Euro. Sie unterhielt im Jahr 2010 in Portugal 352 Filialen und weitere 680 Repräsentanzen weltweit. Im Jahr 2013 beschäftigte sie 3.196 Mitarbeiter. Der bestehende Portugiesische Ableger der Santander Totta hat über 6.000 Beschäftigte. Ergibt insgesamt bei Santander neu 10.000 MitarbeiterInnen. Wieviel Tausende werden in diesem Geldinstitut demnächst ihren Job verlieren? – das ist die Frage!
Immer dasselbe Motto: Die Schulden für das arme Volk, die Gewinne und alles was Geld bringt werden quasi freihaus privatisiert. Die 19 Abgeordneten des Linksblocks und die 17 MandatarInnen der Portugiesischen Kommunisten und Grünen in der Assembleia da Republica waren über den Alleingang der PS nicht erfreut. Laut Vereinbarung unterstützen der Linksblock, die Kommunisten und zwei Grüne Abgeordnete mit ihrem Abstimmungsverhalten die PS Regierung von Costa. Sie sind aber in keiner Koalition mit den Sozialisten und stellen auch keine MinisterInnen. Beide Linksparteien fordern höhere Mindestlöhne: in der ersten Phase 550 Euro statt den beschlossenen 530 Euro im Monat. Die PS war bis jetzt nicht einmal bereit, wie im Wahlkampf vor dem 4. Oktober 2015 angekündigt, den Mehrwertssteuersatz in allen Bereichen der Gastronomie von 23 Prozent auf die Hälfte zu reduzieren. Auch über die Zukunft der „portugiesischen” Fluglinie TAP hat die regierende PS andere Ansichten. Sie will nur 51 Prozent Staatsbesitz, BE und CDU hingegen fordern eine 100-prozentige Verstaatlichung. Doch das ist leichter gesagt als getan. Siehe den UHUDLA-Artikel „Die Geschichte eines angekündigten TAP- Absturzes”
Droht die Widerkehr der Troika?
In der Woche nach Weihnachten musste das Parlament über einen Nachtragshaushalt wegen der portugiesischen Banken-Misere abstimmen. Die nichteinmal 200 Millionen Euro für die ärmeren Portugiesinnen erforderten ein tagelanges Herumgeeiere in der Plenarsitzung im Hohen Haus. Das nötig gewordene Zusatzbudget für die BANIF Schulden von mindestens 2 Milliarden und eventuell notwendige gewordene Kapitalaufstockungen für andere Banken im Lande erfolgte in einer Ruckzuck- Entscheidung. Die minderheitsregierende PS stimmte für den Nachtragshaushalt, der BE und die CDU dagegen. Durch die Stimmenenthaltung, der für den BANIF-Crash hauptverantwortlichen PSD müssen nun die Steuerzahler herhalten. Die bürgerlichen und konservativen Medien Portugals warnen immer noch von der kommunistischen Gefahr, weil die PS Regierung auf die Stimmen der beiden Linksparteien angewiesen ist. So wie es jetzt läuft, hat die apostrophierte „Linksregierung” in Portugal keine Chance. Ist auch logisch, denn die Sozialdemokratischen Parteien in Europa sind alles andere als links. In Portugals Partida Socialista sind noch immer viel zu viele politische EntscheidungsträgerInnen aus der Ära, der bis 2011 regierenden PS unter Ihrem Chef und Ministerpräsidenten José Socrates am Ruder. Der Ex-Kanzler wurde wegen Korruption im November 2014 verhaftetet und war fast ein Jahr lang inhaftiert.
Die portugiesischen Staatsschulden steigen und steigen. Sie waren Ende 2013 schon knapp unter der 130 Prozent Marke des Brutto Inlands Produktes angelangt. Das ist die dritt-schlechteste Quote in der EU. Die Cash-cow TAP ist so gut wie weg und dadurch auch jährlich ein Gewinn in dreistelligen Millionen-Euro-Beträgen.
Die „Neueigentümer” der privatisierten Betriebe werden MitarbeiterInnen entlassen und Gewinne ins Ausland transferieren. Da braucht Mann und Frau kein Prophet sein – und es wird nicht lange dauern bis auf Grund des ESM (Europäischer Solidaritäts Mechanismus) die Troika über Portugal wieder entscheidet.
So funktioniert „Geldwäsche” am Beispiel einer Ruine
Mit dem Bau dieser verfallenen Ruine wurde bereits vor der Nelkenrevolution am 25. April 1974 begonnen. Lagos hatte und hat jetzt wieder eine Bauordnung, wonach ein Gebäude nicht mehr als acht Stockwerke haben darf. Angeblich wurde wegen dieser Auflage dieser Bau auf einem der schönsten Plätze der Kleinstadt Lagos an der Algarve eingestellt. Der Autor dieses Berichts lebt seit zehn Jahren in der Stadt am Atlantik. In dieser Zeit wurde das verfallende Objekt mindestens dreimal verkauft und gekauft. Auch nicht „BauexpertInnen” wissen, dass aus dieser Ruine nie im Leben ein Luxusapartement- Ressort werden kann. Aber heutzutage kann mit dreidimensionaler Werbung im Internetz auf jedem Bildschirm eine „Golden Bay” Luxusherberge gezaubert werden. Übrigens, auf der schon vergilbten Baustellentafel setzte die Genehmigungsgemeinde Lagos den Baubeginn mit November 2012 ein. Dieses „Bauprojekt” hat in mehr als vier Jahrzehnten Millionen Euro verschlungen ohne das daraus jemals ein Nutzen entstanden ist. Das wird auch in Zukunft so sein – und das Geld der „Anleger” haben sich clevere „Investoren” unter den Nagel gerissen.
PS: Lagos ist seit eh und je eine von PS-Sozialisten regierte Stadt. Wenn die volksparteilichen SozialdemokratInnen von der PSD an der Macht wären, dann wäre es auch nicht anders.
Wer besser verstehen will wie Portugal tickt findet weitere Informationen unter WachterReport und Monopoly an der Algarve.
Martin Wachter ist Herausgeber des UHUDLA, die älteste und rebellischste Straßenzeitung Österreichs. Er lebt in Portugal.
Guter Artikel, gut geschrieben, aber… Die Novo Banco wurde noch nicht verkauft und die geprellten Kunden haben keine Konten, sondern bekamen Sparverträge aufgeschwatzt, die in Wahrheit Risikopapiere waren.
Trotzdem ich in einigen Punkten anderer Meinung bin, ist ihr Artikel aber sehr gut geschrieben und geht auch auf die Mentalität der Portugiesen ein.