[3K – Massenmedien am Montag: Folge 50]
Plötzlich sprießten sogar in Deutschland und Österreich französische RepublikanerInnen aus dem Boden. Überall prangten schwarze Taferln mit fetten, weißen Lettern. In vielerlei Sprachen stand da JE SUIS CHARLIE. Das Motto eines Gratisblatt-Redakteurs bezieht sich auf den Terror gegen das Satireblatt Charlie Hebdo. Leute, die kaum Die Tagespresse, noch den Eulenspiegel oder die Titanic kennen, pudelten sich zu Verteidigern der Pressefreiheit auf. Ein Posting und die Welt ist wieder gut.
In Frankreich begründete man das mit der politischen Tradition, mit Robespierre und de Gouges. Sogar der PEGIDA-Mob gab sich nach unzähligen „Lügenpresse“-Äußerungen medienaffin. Ähnlich agierte die Front National (FN).
Elf Redakteurinnen und Redakteure, eine Polizistin, ein Polizist, vier Kundinnen und Kunden eines Supermarkts starben zwischen dem 7. und 9. Jänner 2015, die Täter ebenso. Wer sich nicht umgehend zu Charlie bekannte, wurde der Verhöhnung der Opfer und Unterstützung des Blutbads bezichtigt. Dem Islam und den Kids der Banlieues attestierte das Abendland Humorlosigkeit. Kamen die Betroffenen des Spotts zu Wort, „durften“ sie sich distanzieren.
Ist es so einfach? Verstehen deklassierte Jugendliche und die 1,6 Milliarden Muslime weltweit keinen Spaß? Charlies teils geschmacklose Karikaturen und Covers, wo SexsklavInnen verhöhnt wurden und orthodoxe Juden mit Nazis schmusten, haben Debatten über Grenzen der Meinungsfreiheit aufgeworfen. Die Inhalte touchierte man. Dahingegen wird der schwarze „Komiker“ Dieudonné immer wieder verurteilt. Einst holte er einen Holocaustleugner auf die Bühne und lies ihn durch einen Kollegen in KZ-Uniform „auszeichnen“. Eine ehrliche Analyse käme zum Schluss, dass Charlie und Dieudonné die gleichen Codes bedienen. Alles andere ist Heuchelei.
Falsche Freunde von rechts kleiden ihre Islamophobie in humanitäre Phrasen. Falsche Feinde von links versteifen sich auf die Codes. Beide Lager übersehen, dass Charlie immer auch die FN, den Katholizismus, den französischen Imperialismus und die israelische Besatzung attackierte. (Darum – nicht, weil der Mainstream für Charlie–Abos wirbt – hat das Magazin trotz allem Recht. Doch der laizistische Spott sollte bei terrorfeindlichen Witzen bleiben. Man trifft sonst das Gros der Gläubigen, die damit nichts am Hut haben.)
Abbas und Netanjahu waren bei Hollandes Fototermin kurz nach den Anschlägen dabei. Auch andere PolitikerInnen hakten sich unter, die ein fragwürdiges Verhältnis zur Pressefreiheit haben. Eine Inszenierung, als schritten die Staats- und Regierungschefs wie Chefinnen inmitten des Republikanischen Marschs. Dabei fand die Aktion in einer abgeriegelten Seitengasse statt.
Frankreich zimmerte eine Koalition, die nun Syrien bombardiert und verschärfte nach den November-Attentaten das Notstandsgesetz. Die Pressefreiheit ist indirekt betroffen. Hausdurchsuchungen und Telekom-Überwachung sind erlaubt, Versammlungsverbote und Ausgangssperren jederzeit möglich.
Grafik: Kulturzentrum Linse.
Alleine die Verhängung des Ausnahmezustands setzt die demokratischen und Freiheitsrechte teilweise außer Kraft, aber auch die schleichende Entdemokratisierung und die Überwachungsstaatlichen Tendenzen, wie Vorratsdatenspeicherung . . . . tun Ihr weiteres dazu. So gehen wir sehenden Auges einer totalitär angehauchten Pseudodemokratie entgegen. WACHET AUF ! ! !