Obergrenzdebiler Asylterror

Flüchtlinge auf dem Bahnstück Röszke–Horgoš, August 2015 (Gémes Sándor/SzomSzed; Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Migrants_in_Hungary_2015Ein Kommentar von Tibor Zenker


Der Oberrichtliniengrenzwert der SPÖ und ÖVP orientiert auf 37.500 Flüchtlinge, die im Jahr 2016 nach Österreich kommen dürfen. Abgesehen davon, dass es der österreichischen Regierung damit abermals gelungen ist, menschliche Schicksale, ja ganze Menschenleben und ihren Wert zynischen Zahlen und der eigenen Willkür unterzuordnen, ist das gemäß bisheriger Statistik und vorhersehbarer Entwicklung natürlich absurd, weil unmöglich einzuhalten und unmöglich vorherzubestimmen. Aber vielleicht ist es auch nur Verhandlungssache: Wenn z.B. der IS mehr Syrerinnen und Syrer enthauptet, könnten natürlich auch weniger von ihnen nach Europa flüchten. Oder: Das zunächst aus der EU an Assad gelieferte, dann von Assad wieder bei der EU abgelieferte Giftgas könnte man vielleicht jetzt der Al-Nusra-Front oder sonstigen gemäßigten Mörderbanden zur Verfügung stellen (Ergebnis: siehe oben). Oder man setzt noch deutlicher auf den Schlächter Erdogan: Wenn seine staatsterroristischen Massaker an der kurdischen Bevölkerung womöglich bis zum Genozid gesteigert werden könnten, wäre im Osten und Südosten der Türkei natürlich auch viel mehr Platz für Flüchtlingslager oder wenigstens „Hotspots“. Mit entsprechendem diplomatischen Geschick lässt sich da sicher einiges machen. Wir sitzen doch alle im selben Boot – und das ist voll, wie ein mittlerweile klassisches sozialdemokratisches „Bonmot“ festhält.

Österreich setzt jedoch nicht nur auf Obergrenzen, sondern auch ganz offiziell auf Abschreckung – mit einem lateinischen Fremdwort: Terror. Flüchtlinge, die potenziell nach Österreich fliehen wollen, sollen Angst davor bekommen, dass es ihnen in Österreich schlecht ergehen könnte. Somit steht die SPÖ/ÖVP-Regierung gewissermaßen im Terrorwettbewerb mit dem IS, der Al-Kaida, den Taliban & Co.: Schrecken sich die syrischen, irakischen und afghanischen Kriegsopfer mehr vor dem islamistischen Terrorismus – oder vor dem österreichischen Staatsterror? So sehr sich die Wiener Regierung hier bemüht, so scheint es doch fraglich, ob diese Konkurrenzsituation am freien Terrormarkt gewonnen werden kann. Man kann noch so sehr und mit den menschlich widerlichsten Methoden versuchen, Flüchtlinge davor abzuschrecken, nach Österreich zu kommen – sie werden diesen Schrecken dem Tod, der Verstümmelung, der Vergewaltigung, der Sklaverei in ihren Heimatländern wohl vorziehen.

Besonders ungustiös ist wieder einmal der Fingerzeig Richtung Griechenland, das angeblich seine „Hausaufgaben machen“ müsse. (Welcher Oberlehrer gibt die eigentlich auf? Schulschwester Mikl-Leitner, ABC-Schütze Kurz, Niessl-Supplierer Doskozil?) – Soll/muss Griechenland alle ankommenden Flüchtlinge zurückhalten? Zurückschicken? Die EU-Außengrenze schützen? Nur kurz die geographischen Voraussetzungen: Griechenland hat eine Küstenlänge von über 13.000 Kilometern, davon lediglich 4.000 km Festlandküste, über 9.500 km verteilen sich auf mehr als 3.000 griechische Inseln. Schwierig zu schützen. Diese Inseln sind zwar naturgemäß von einer größeren Menge an Wasser umgeben, aber spärlich bewohnt, und ihre Infrastruktur zerstören EU und Troika ohnedies schon seit Jahren mit Präzision und Beharrlichkeit. Und die griechischen Inselbewohner? Sind keine Hilfe beim Grenzschutz, da sie lieber Menschenleben schützen als den Schengenraum. Die holen mit ihren Fischkuttern die Flüchtlingsboote sogar an Land und ziehen um ihr Leben schwimmende oder zumindest strampelnde Kinder aus dem Wasser, anstatt ihnen den Rückweg an die türkische Küste oder zum Meeresboden zu weisen. Natürlich ist man da in Brüssel, Wien, Budapest und Kopenhagen empört, denn so kann man in der EU nicht arbeiten!

Weiß die österreichische Regierung eigentlich noch, was sie tut? Wie krank das ist? Ja, eh – von der ÖVP braucht man sich nichts erwarten, denn die ist offenkundig ja sowieso nur noch die FPÖ für Besserverdienende und für jene Katholiken, die die Caritas für linksradikal halten. Nur bei der SPÖ tappt man immer wieder in deren Falle: „Sozialdemokratie“ – das hat doch irgendwas mit Menschenrecht und Humanismus zu tun, nicht? Oder wenigstens mit Positionen innerhalb des Verfassungsbogens? Na, nix, wieder reingefallen! Die SPÖ macht (mit terminologischen Behübschungsversuchen) tatsächlich FPÖ-Realpolitik, die von Strache schon lange vorher eingefordert wurde. Der organisierte und unorganisierte fremdenfeindliche Mob, der Asylquartiere angreift, der empörte, angebliche „Normalbürger“, der den Schutz von Leib und Leben für ein Gastrecht hält, und die medialen Lügenkonzerne, die aus Opfern schamlos Täter machen – sie alle erhalten nun Unterstützung „von oben“, von der Regierung.

Es sind gezielte Antiflüchtlingsmaßnahmen, menschenfeindliche Abschreckungsmaßnahmen, die SPÖ und ÖVP ankündigen und umsetzen. Die Regierung betreibt gegenüber schutzbedürftigen Menschen Asylterror, wo es Asyl vor Terror bräuchte. Das verstößt wohl gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, gegen die österreichische Verfassung und gegen jeden menschlichen, zivilisatorischen Anstand. Gegen den Verstand sowieso, denn es ist obergrenzdebil – und das auch noch mit voller Absicht. Aber viel mehr noch: Es ist offene Mittäterschaft, wenn Menschen im Nahen Osten ermordet werden, wenn sie im Mittelmeer ertrinken, wenn sie auf der Balkanroute erfrieren. So weit hat es ein sozialdemokratischer Ballhausplatz gebracht. Es wird für Strache gar nicht so einfach werden, das während seiner Kanzlerschaft noch zu toppen.

Foto: Flüchtlinge auf dem Bahnstück Röszke–Horgoš, August 2015 (Gémes Sándor/SzomSzed; Lizenz: CC BY-SA 3.0)

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1 Kommentar

  1. top, nur in LKWs ersticken wurde vergessen.

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