flaschendrehen_app_googleplay_mobivention appsKapital schlagen mit Gerfried Tschinkel

Es muss immer alles in kleine Einheiten gepackt werden, deshalb ist Facebook so erfolgreich. Die Menschen lesen schon keine Zeitungen mehr (zumindest nicht von vorne bis hinten oder von hinten bis vorne), weil ihnen die Nachrichten in kleinen Portionen gereicht werden. Ein bisschen von da und ein bisschen von dort. Und immer überlegen sie, was denn nun das eigentlich Interessante ist, über das man die Bedeutung der Weitschweifigkeit vergisst. Damit ist das Posting auf Facebook das perfekte Äquivalent zu den unzähligen praktischen Waren, die wir kaufen und anhäufen, alles in kleine Häppchen verpackt.

Warum dauert ein erfolgreicher Popsong nur etwas über drei Minuten, warum wird heute alles eingekastelt und eingezwängt in einen Laptop oder ein Smartphone? Menschen verwenden nicht nur Programme, die ein ganzes Tonstudio ersetzen, sie verwenden selbst ein Programm zum Flaschendrehen anstatt einfach eine gottverdammte Flasche dafür heranzuziehen. Wer heute eine App erfindet, die für viele nützlich ist oder zumindest einen eingebildeten Nutzen stiftet, kann das große Geld damit machen. Viele Bedürfnisse in einer Anwendung zusammengestaucht, auf eine leicht zu handhabende Bedienoberfläche.

Die Warenwelt schreit geradezu nach den handlichen Portionen: Das Seitenblickemagazin im Pocket-Format, die Leasingraten für das Auto, die Nespressokapsel für den vollen Kaffeegeschmack, die Bibliothek in der Jackentasche, das Traumhotel in der Geschenkebox bei Jollydays, eine Million Serien dank TV-Stick, Ritter Sport Schokolade in der Miniausgabe, quadratisch praktisch gut, die Versprechungen des schönen Lebens wohldosiert. Neuerdings sind auch Minihäuser schwer im Kommen, als Antwort auf die sogenannte „Singularisierung“ der Gesellschaft, wo alles auf das Wesentliche beschränkt ist: Schlafen, essen, Internet nutzen.

Dem ist die Rolle des Menschen im Arbeitsprozess durchaus angepasst, der, wenn er seine Arbeit in acht Stunden erbringt, etwa für vier davon empfängt. So gesehen gibt er alles was er hat, das ganze Paket an Leistungen, bloß zahlt der Unternehmer nur ein Äquivalent für seine wesentlichen Bedürfnisse, seine Bedürfnisse beschränkt auf schlafen, essen, Internet nutzen. Die Ware Arbeitskraft als wertmehrendes Häppchen für den Unternehmer, sämtliche Dienste zusammengestaucht in einem Existenzlohn, der Arbeiter leicht zu kommandieren und auszupressen. Ein Mensch, beliebig austauschbar, ist auf ein paar Fähigkeiten reduziert. Nicht das große Ganze zählt, nicht die Fülle an Begabungen, man nimmt von ihm was man braucht, ein bisschen von da und ein bisschen von dort, je nachdem was den Käufer der Arbeitskraft gerade interessiert. Und immer ist der Arbeiter einseitig gefordert, oder in der Zerstückelung des Fertigungsprozesses von dem Gesamtergebnis entfremdet. Es habe zwar eine Verschiebung in der Arbeitswelt stattgefunden, so ein gewisser S. Wittke, doch nicht hin zum Ganzheitlichen, sondern bloß von den „Belastungen von körperlicher Schwerarbeit hin zu einseitigen Bewegungsabläufen sowie ungünstigen und verspannten Zwangshaltungen.“

Die Ausbeutung schrumpft uns zurecht und ist auf wenige unserer Fertigkeiten beschränkt. Dennoch rennt jeder dem Traumjob hinterher, der einen wirklich ausfüllt und den es nicht gibt. Die Würde des Menschen geht unter in der von ihm produzierten Masse an bedarfsgerechten Waren, die uns umgeben und zu denen unser Arbeitsvermögen zu lange schon gehört. Die Gegenstände beherrschen uns und reduzieren uns auf Miniaturausgaben unserer selbst. Deshalb immer auch die Rede von den kleinen Leuten. Aber wir sind nur so lange klein, solange wir vor ihnen auf den Knien rutschen.

Gerfried Tschinkel ist Ökonom. Er lebt zwischen Wien und Kottingbrunn.

Fotos: Flaschendrehen (mobivention apps; play.google.com) ; Titelbild: Shredded Mushrooms (pixabay.com; public domain)

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