[3K – Massenmedien am Montag: Folge 63]
Engels schrieb 1880 in Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft: „Der bisherige [utopische, Anm.] Sozialismus kritisierte zwar die bestehende kapitalistische Produktionsweise und ihre Folgen, konnte sie aber nicht erklären, also auch nicht mit ihr fertig werden; er konnte sie nur einfach als schlecht verwerfen.“ (S.208-209)
Er ergänzte, der durch Marx enthüllte Mehrwert und die „materialistische Geschichtsauffassung“ (S.210) könnten jene Erklärung liefern. Engels schloss einen ausladenden Marx-Crashkurs an, um zum Fazit zu kommen, wie es Brecht im Einheitsfrontlied sinngemäß wiedergab: „Es kann die Befreiung der Arbeiter nur / das Werk der Arbeiter sein.“
Das heißt: Nicht TheoretikerInnen, nicht JournalistInnen werden die „Wurzeln beseitigen“, die der „internationale Finanzterrorismus“ geschlagen hat. Genauso wenig der geschätzte Denker und Theatermacher Tibor Zenker, dessen Panama Papers-Kommentar vom Mittwoch diese treffenden Worte entnommen sind. Wieso eröffnet er dann so? „Für diese 08/15-Einsichten hätt’s kein neues Datenleck gebraucht.“
Seit wann sind Linke dermaßen zynisch? War Victor Adlers verdeckte Recherche überflüssig, durch welche er die erschreckende Lage der Wienerberger Ziegelarbeiter dokumentierte? Hatten Noricum, Lucona und die Hypo etwa keinen Einfluss auf die Zweite Republik?
Der bisherige investigative Journalismus kritisierte solche Einzelfälle, deckte Auswüchse auf. Die Panama Papers und ähnliche Leaks bergen das Potenzial, nicht nur Symptome, sondern entscheidende Mechanismen im modernen Kapitalismus greifbar zu machen – selbst im Mainstream. Linke müssten (bei aller berechtigten Medienkritik, wie sie Zenker einbringt) frohlocken über jeden Beleg, der da nach und nach eintrudelt; etwa über den Wiener Investmentbanker Heinrich Pecina, über Siemens und andere Konzerne.
Stattdessen werden gar integre JournalistInnen zu „Handlangern“ des Kapitals (Zenker). Dass es die gibt, steht außer Frage, aber hier wirkt das unangebracht. Zuvor übersetzten die NachDenkSeiten einen Kommentar von Craig Murray, ohne nachzudenken. Murray geißelte am Abend der Bekanntmachung (!) der Papers reflexartig deren Russlandfokus. Da war im Falter schon klar, dass ein britischer Ölriese Uganda um 300 Mio. Dollar Steuergeld prellte. Die Poroschenkonnection wurde zeitgleich publik, ebenso jene nach Riad und Rejkyavík. Aber Murray interessiert das nicht. Und viele Linke teilten emsig seine Analyse, weil Assad, Putin und Konsorten gebasht wurden. Zenker merkt richtig an, eine massenmediale CIA-Verschwörung sei, freundlich gesagt, „weit hergeholt“.
So, who the heck is Craig Murray?, fragt der geneigte Engels-Leser. Craig Murray vertrat laut seiner Website ab 1986 (unter Thatcher) in Westafrika britische Wirtschaftsinteressen und leistete Entwicklungshilfe. Wenn das kein Kapitalismuskritiker ist! Ist ja auch egal: Die Berichte abzuwarten für einen fundierten Kommentar würde keine Likes noch Reichweite bringen.
Bilder: Holger Wirth – ohne Titel (Lizenz: CC BY-SA 2.0); Screenshot (https://www.craigmurray.org.uk/)