Dokumentiert: „Wo werden wir unsere eigenen Knochen vergraben können?“ – Erklärung der Schweigenden Mehrheit zum Angriff auf ihre Arbeit
Vergangenen Donnerstag hat eine Gruppe von Rechtsextremen im Audimax der Universität Wien die Theateraufführung des Jelinek-Stücks „Die Schutzbefohlenen“ gestürmt, das von Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak dargeboten wurde. Die sogenannten „Identitären“ entrollten Transparente und Fahnen, warfen Flugblätter mit dem Text „Multikulti tötet“ ins Publikum und verspritzten Kunstblut. Wir dokumentieren dazu eine Stellungnahme des Künstler-Kollektivs „Die schweigende Mehrheit sagt JA“ (16.4.2016):
Eine Handvoll Rechtsextremer hat während unserer Aufführung von „Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene“ im vollbesetzten Audimax der Universität Wien die Flüchtlinge auf der Bühne und das Publikum attackiert, mit Blut bespritzt, geschlagen und in Panik versetzt.
Circa 30 „Identitäre“ haben die Schauspieler*innen in die Alpträume zurückversetzt, denen sie im Irak, in Syrien, in Afghanistan entkommen sind.
Die Schläger haben versucht, Menschen, die aus Weltgegenden geflohen sind, in denen man nicht sagen darf, was man denkt, in denen politische Konflikte mit brutaler Gewalt ausgetragen werden, und die geglaubt haben, in Österreich endlich im Frieden und in der Demokratie angekommen zu sein, vom Gegenteil zu überzeugen.
Das Publikum hat sie verjagt und den schutzbefohlenen SchauspielerInnen mit minutenlangen Standing Ovations dafür gedankt, dass sie sich entschlossen haben, – mit zitternden Knien – weiterzuspielen.
Dass Geflüchtete in dem Land, in dem sie sich endlich in Sicherheit gewähnt haben, auf einer Theaterbühne von rechtsextremen Schlägertypen angerempelt, geschlagen und mit Blut bespritzt werden, ist ein Wahrheitsbeweis von Elfriede Jelineks Worten über die grauslichsten Seiten der pseudoheimatliebenden Österreich-Fundamentalisten, wie wir als Theaterleute ihn nicht zustande gebracht hätten.
Eigentlich mögen wir es, wenn das Theater weh tut, die Grenzen der Repräsentation überschreitet, plötzlich politische Wirklichkeit wird. Eigentlich könnten wir den Angriff der Rechtsradikalen auf unsere Aufführung als Zeichen dafür lesen, dass unsere Arbeiten mit den Schutzbefohlenen auf dem richtigen Weg sind. Offensichtlich werden wir angegriffen, gerade weil wir darauf hinarbeiten, dass Flüchtlinge möglichst bald keine mehr sein werden, dass sie bald angekommen sein werden in Österreich und hier weder mehr als Flüchtlinge wahrgenommen werden, noch sich selbst mehr als solche fühlen. Dass sie möglichst bald irgendwelche Leute sein werden, die in Österreich leben und ihre Flucht wird nur noch eine Geschichte aus bösen, aber zum Glück vergangenen Zeiten sein.
Das erbost die Verfechter des reingehaltenen österreichischen Blutes. Weil sie Angst vor Fremden haben. Weil sie Gemeinschaft, Gesellschaft sich nicht als etwas vorstellen wollen, das die verschiedensten Menschen untereinander herstellen können, wenn sie einander nur ein bisschen wohlwollend begegnen, sondern nur als hysterische Beschwörung gemeinsamer Geschichte und gemeinsamer Herkunft.
Dass solche Leute uns angreifen, hätten wir als Herausforderung angenommen.
Wenn da nicht Tara und Iman, die vor den IS-Monstern aus Mossul geflüchtet sind, mit zitternden Knien und weinend von der Bühne gegangen wären. Wenn da nicht Nadia und Hanan aus Syrien die haltlos weinenden Kinder zu beruhigen versucht hätten. Wenn da nicht Johnny und Sallar feststellen hätten müssen: „Der Unterschied zwischen dem Anschlag auf das Konzert im Bataclan und dem Angriff der Nazis auf unsere Aufführung von „Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene“ ist, dass die Nazis keine geladenen Waffen dabei hatten.“
„Die Schweigende Mehrheit“ wird weiterspielen. Wir freuen uns sehr über die Einladung von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou und Bürgermeister Michael Häupl, „Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene“ im Rathaus zu spielen. Und wir danken den vielen Menschen, die uns Mut gemacht haben, unsere Arbeit fortzusetzen.
Im besten Fall ist das Theater ein Ort, an dem die dringendsten Konflikte verhandelt, ausgetragen, auf die Spitze getrieben werden. Die Konflikte weißer männlicher Jugendlicher mit deutscher Muttersprache und nur ganz entferntem Migrationshintergrund, die sich verloren, vergessen, benachteiligt und von der Globalisierung überfahren vorkommen und militante Nazis werden, ebenso wie die Konflikte nichtweißer männlicher Jugendlicher mit näherem Migrationshintergrund, die sich verloren, vergessen, benachteiligt und von der Globalisierung überfahren vorkommen und militante Islamisten werden.
Die Phänomene ähneln sich. Junge Männer, die Frustration und Minderwertigkeitskomplexe kompensieren und damit denjenigen auf den Leim gehen, die nichts lieber sehen, als wenn die armen Leute sich gegenseitig an die Gurgel gehen, statt gemeinsam für eine gerechtere Welt zu kämpfen.
Auch darum wird’s in unserer nächsten Produktion „Traiskirchen. Das Musical“ gehen.
Stimmen zum Angriff:
„Wir sind aus unserem Land geflüchtet und unser Land ist zerstört nur wegen solcher radikaler Leute, die den anderen nicht akzeptieren. Sie akzeptieren andere Kulturen oder Religionen nicht. Ich habe hier in Österreich noch nicht solch rassistische Ereignisse erlebt oder solche Leute getroffen. Bis gestern. Und das war mein erster Schock, dass es in Wien solchen Rassismus gibt.“
Johnny Mhanna, Neu-Wiener. Davor Schauspieler in Damaskus und Beirut.
„Ich habe Angst um meine Kinder gehabt und gedacht: Das ist die Ende, sie werden uns jetzt töten. Lina und Yusef haben gestern Albträume bekommen. Aber ihr habt uns ermutigt weiter zu spielen und wir wollen weiter spielen.“
Inas, aus dem Irak geflüchtet und ihre Kinder
„Ich habe vieles in meinem Leben erlebt. Ich empfinde die Leute in unserer Gruppe wie meine eigene Kinder. Ich war schockiert, dass diese Aktion in der Universität passiert ist. Ich habe immer gedacht, zur Uni kommen intelligente und offene, unkomplizierte Menschen. Wir waren sehr glücklich über dieses große Publikum. Als es passiert ist, hatten wir Angst. Wir haben gemerkt, diese Leute wollen uns Angst machen und aus Österreich wegschicken. Aber andere Österreicher haben uns bereit sehr geholfen und wir werden diese Hilfe nie vergessen. Es waren schreckliche Momente aus Angst und Unsicherheit. In dem Moment, als wir von Tina und Bernhard gehört haben: „Bitte habt keine Angst!“, da fühlten uns ich und meine 4 Kindern sofort sicherer und es war mir klar: Österreich ist und bleibt das Land der Sicherheit und der Menschlichkeit.“
Basima, mit ihrer Familie vor dem Krieg im Irak geflohen
„At first glance I thought what happened being part of the play or a terrorist attack. They entered the theater from all doors eerily. which made me fear, then the fake blood and the screams of children, women. It was a tense night for me, especially when someone turned to us and started shouting in our faces and we didn’t understand what he says.“
Ahmad Alian, Wirtschaftsstudent aus Syrien
“Ich saß in der ersten Reihe, neben mir mein Mann und eine andere Frau. Ich weiß nicht ganz genau, wer mich erwischt hat. Kunstblutfarbe wurde von der vor der Bühne sich aufbauenden Personengruppe auf die ersten Reihen gespritzt und ich habe viel Farbe abbekommen. Ich versuchte, rauszulaufen und bekam einen harten Schlag in den Bauch. Ich weiß nicht, ob es die Faust, ein Ellbogen oder ein Gegenstand war. Dann liefen mein Mann und ich Hand in Hand aus dem Saal raus. Ich habe bei der Polizei eine Aussage gemacht und wurde dann ins Krankenhaus gebracht und blieb zur Beobachtung über Nacht im Spital, weil ich schwanger bin und Schmerzen verspürte. Ich hatte Angst und wollte eigentlich nicht ins Krankenhaus, aber die Polizei hat gesagt, dass ich gehen muss.“
Kurdin aus dem Irak, im 5.Monat schwanger
„Das war ein Überfall um in anderen das Gefühl von Terror auszulösen. Die Rechtsextremen sind auf die Schutzbefohlenen zugestürmt, haben sie zurückgedrängt, angeschrien und alles gemacht, um sie einzuschüchtern. Die Bande musste von Beginn an Gewalt anwenden, zumindest um vom Nebeneingang in den Saal und auf die Bühne zu kommen. Sonst wären sie nicht an mir und anderen dort vorbeigekommen. Ich stand auf der Treppe und habe ihnen nicht gerade den Weg freigemacht. Und manche von denen haben auch unten im Zuschauerraum auf das Publikum eingeschlagen, das sie rausdrängen wollte.“
Christian, Mitorganisator der Schweigenden Mehrheit
Hintergrund:
- „Viele haben geglaubt, die Aktion gehöre zur Inszenierung“ – Interview mit Regisseurin Tina Leisch (Süddeutsche Zeitung)
- Gedächtnisprotokolle Audimax
Fotos: (c) Armin Rudelstorfer