Als ich noch ein wenig jünger und in der, sagen wir mal, hässlichen Phase der Pubertät steckte, hegte ich eine irrationale, furchtbare Angst vor Fußballvereinen. Alles an der Fußballkultur machte mir Angst: Das grobe Spiel am Feld, das wilde Gegröle Testosteron-gepumpter Männer und nicht zuletzt eine Sprache, die so voller Beleidigungen und verletzenden Witzen ist, dass einem schlecht wird. In meinem Fall Angst und Bange. Ich behaupte mal, dass man als homosexueller Jugendlicher besonders empfindlich und ablehnend gegenüber all jenen reagiert, von denen man das erwartet, mit dem man als homosexueller Mensch leider rechnen muss; nämlich, dass man verbal lächerlich gemacht und physisch angegriffen wird. Während sich all diese meist nicht dokumentierten Fälle von Homophobie in Einzelschicksale niederschlagen und manchmal sogar behandelt werden, scheint es keinerlei Interesse von kritisch denkenden Menschen zu geben, den Wald und nicht nur die Bäume zu sehen, die der Homophobie den perfekten Platz zum Gedeihen bieten – Den patriarchalen Kapitalismus.
Ich weiß – nicht wenige werden beim letzten Satz die Augen rollen. In einer Gesellschaft, in der mehrheitlich, auch in der Linken, das soziokulturelle Phänomen des Patriarchats und der gesellschaftliche Sexismus mit all seinen kleinen und großen Grausamkeiten weder verstanden werden noch auf großes Interesse stoßen, muss man sich nicht selten einen Rechtfertigungs-Marathon liefern, um genau diese Themen zu behandeln. Doch wenn man sich nicht dringendst mit den oben genannten Themen in all seinen Facetten auseinandersetzt, wird man niemals diese kapitalistische Gesellschaft überwinden noch in dem Rahmen, in denen wir leben und politisch arbeiten müssen, Verbesserungen erkämpfen.
Ein paar sehr politische Jahre später habe ich auf jeden Fall erkannt, dass doch nicht alle Fußballer und ihre Fans hirnlose Primitivlinge sind. Das zumindest beweisen fortschrittliche Fußballfans und Initiativen wie Fußballfans gegen Homophobie Österreich. Nichtsdestotrotz kann nicht geleugnet werden, dass in gewissen Milieus wie bei Fußballvereinen oder in der Hiphop-Szene, jene Männlichkeit zelebriert und kultiviert wird, die das Patriarchat am Leben hält. Was das Patriarchat so gefährlich macht, ist seine innere Logik, die sozusagen eine Hierarchie an Minderwertigkeiten aufstellt, die insbesondere für Schwule gewaltsame Konsequenzen bedeutet. Denn das Patriarchat und der Kapitalismus bedeuten unweigerlich Gewalt – in diesem Fall aber Gewalt gegen all jene, die in ihrer Andersartigkeit den heterosexuellen Mann irgendwie irritieren.
Während Lesben durch die Querverbindung zum Feminismus politisch gefestigter sind und sich einen kleinen, aber nicht streitig zu machenden Platz in der politischen Arena des Feminismus und der Linken erkämpft haben, schaut die politische Bilanz der Transgender-Menschen und vor allem Schwulen äußerst schlecht aus. Ohne zu weit auszuholen, meine ich, dass die Sache zweierlei Gründe hat: Auf der einen Seite haben einzig und allein bürgerliche Homosexuellenorganisationen sich dem Thema angenommen, ohne eine radikale Gesellschaftskritik auch nur ansatzweise zu bemühen und auf der anderen Seite hat die feministische Bewegung in Europa der Unterdrückung von Homo- und Transsexuellen kaum aufgegriffen, noch sich dem Konzept „Männlichkeit“ angenommen.
Männlichkeit geht immer mit gesellschaftlichen Privilegien und Unterdrückungsmöglichkeiten einher, die heterosexuellen Männern unabhängig ihrer sozialen Lage gegeben sind. Natürlich weiß ich, dass es hauptsächlich Frauen sind, die Opfer der Tyrannei dieser Privilegien sind – egal ob Hausarbeit, Kinderkriegen, Prostitution, Bildungsmöglichkeiten oder gar das Aussehen und die Ernährung. Frauenkörper werden durch den Kapitalismus im Sinne des Patriarchats quasi „vergesellschaftet“ und wie die Feministin Laurie Penny schreibt, marginalisiert. Aber Männer werden durch das Patriarchat dazu gezwungen, eine Geschlechterrolle anzunehmen, die sie dazu zwingt, dominant, kalt und emotionslos zu sein. Das Klischeebild eines Machos eben. Jeder Mann, der nicht in das Schema des patriarchalen Mannes passt oder gar nicht passen kann, wird sozusagen als „halber Mann“, als „Weichei“ und letztlich als „Schwuchtel“ gebrandmarkt. Das ist die andere Seite des Patriarchats, über die niemand spricht.
Homophobie ist nun mal auch ein Produkt eines ständigen Prozesses der männlichen Identitätsstiftung, deren Ziel es ist, als geschlossene Gruppe die männliche Dominanz über die Frau als unbezahltes Humankapital aufrechtzuerhalten. Menschen, wie Homosexuelle, die sich offen auf der Straße küssen, Transsexuelle, die durch Operationen ihr anatomisches Geschlecht kaufen und Intersexuelle, die durch ihre Biologie keinem Geschlecht zugeordnet werden können, kratzen am so teuer erworbenen, nach Moschus Parfüm duftenden, glatt polierten Bild des „echten Mannes“. Homosexualität und Transsexualität beinhalten ein unglaublich gefährliches politisches Potential, weil sie das prekäre Konstrukt von Patriarchat und Geschlecht in all ihrer destruktiven Existenz bloßstellen. Deshalb werden Homosexuelle zusammengeschlagen. Deshalb werden Transsexuelle sexuell missbraucht und ermordet. Und genau deshalb müssen alle Menschen, unabhängig von Geschlecht und Sexualität, kompromisslos das Patriarchat bekämpfen.
Das Patriarchat ist nun mal keine Erfindung postmoderner AkademikerInnen , sondern blanke Realität. Eine blanke Realität, mit der sich die Linke endlich ernsthaft beschäftigen muss. Dazu müssen aber heterosexuelle Linke, vor allem Hetero-Männer, kritisch über ihr Verhalten und Bewusstsein diesen Dingen gegenüber reflektieren. Nicht zuletzt heißt das, dass Frauen, Trans- und Homosexuelle auch selbstbewusst dafür kämpfen müssen, Sexismus und Patriarchat von der unsichtbaren Wartebank des Nebenwiderspruchs zu einem der Hauptwidersprüche des Kapitalismus zu erheben, auf den linke Machos mit Che Guevara-Leiberl sie schon zu lange verbannt haben.
Fotos: Eugen Sandow (Wellcome Library, London; Lizenz: CC BY 4.0); Titelbild: Alerta Network Actionday – Fight homophobia! (vimeo.com)