[3K – Massenmedien am Montag: Folge 76]
Terrorgruppen, Putsche oder Jugendbanden stehen auf der Agenda. Und Sie wissen nicht, wer sich als Studiogast eignet? Sie wollen unbedingt einen Experten interviewen, doch kurzfristig findet sich nichts passgenaues? Vielleicht bietet sich jemand an, der ein wenig Street Credibility ausstrahlt, leicht verrucht, aber cool und geläutert daherkommt? Ein Selbstdarsteller gar?
Wie wäre es mit Kenan Güngör? Er ist „deutschsprachiger Europäer mit kurdisch-türkischen Wurzeln“ und Inhaber des im Wiener Museumsquartier ansässigen „Beratungs- und Forschungsbüros“ think.difference. Güngör lässt sich gerne in österreichische Fernsehsender einladen, um vor der Brust das Label „Soziologe“ eingeblendet zu bekommen. Offiziell bietet sein Büro sozialwissenschaftliche Studien und Vorträge aus einem bunten Themenstrauß. Von Diversität bis Radikalisierung ist alles dabei. In einschlägigen Datenbanken (u:search, sowiport) und Suchmaschinen (Google Scholar) finden sich jedoch kaum aktuelle Beiträge Güngörs. think.difference führt auch keine Publikationsliste, wie es bei ForscherInnen üblich ist. Das schließt tatsächliche Publikationen nicht aus, stinkt aber.
Herr Güngör, der gerne betont, dass sein schwarzer Karate-Gürtel Kids auf der Straße beeindruckt, ihm Respekt verschafft, redet nicht allein zu Multikulti-Themen. Am Freitag war Kenan Karate – heuer mit Vollbart unterwegs – spontan bei der ZiB 24 zu Gast. Es ging um den blutigen Putschversuch in seinem Herkunftsland. Dabei hat er wissenschaftlich das letzte Mal vor gut 15 Jahren dazu gearbeitet, am Wuppertaler Zentrum für Türkei-Studien. Und am Nachmittag analysierte Güngör schon in Heute Leben bei Wolfram Pirchner die Todesfahrt von Nizza, am Vortag bei Heute in Österreich das Urteil gegen Mirsad O.
Und nicht falsch verstehen: Ein Migrant, eine Migrantin kann (!) gute Expertisen zum Herkunftsland abgeben, gegebenenfalls auch zur Côte d’Azur. Vorausgesetzt, sie fußen auf dauerhafter Beschäftigung damit, nicht auf der Rolle als rot-grüner Quotenkanake. Herkunft allein ist kein Kriterium.
Hervorragende Beispiele für türkeistämmige Türkei-ExpertInnen unserer Zunge sind Kerem Schamberger, Deniz Yücel und Özlem Topçu. Sogar der ORF hat einen FM4-Kollegen mit besten Türkei-Kenntnissen: Ali Cem Deniz bringt im Herbst ein Buch über Erdoğans Regime heraus. Deniz‘ Hintergrund-Artikel zum Coup vom Samstag lässt erahnen, wie gut der Band wird.
Kanaken im Kanal sind also willkommen; nicht der Quote, des Karates und der Kopfhaare, sondern der Kenntnisse wegen – wie Weißbrote auch. Womit wir bei Thomas Schmidinger sind. Der Antinationale ist immerhin nachweislich aktiver Wissenschafter. Doch reicht das für ein Nizza-Interview in der Güngör-ZiB? Reicht es, um im Kurier den Putsch zu besprechen? Ist es gar zu viel? Welche Redaktion glaubt, dass einer den Durchblick bei so vielen Links behält? Wie Peter Filzmaier, der den Tag wohl verschlief, erscheinen Kenan Karate und Co. als Männer für alle Fälle.
Screenshot: ORF TVThek (ZiB 24, Freitag, 15.7.2016).