[3K – Massenmedien am Montag: Folge 83]
Seit dem Putsch am 15. Juli stehen türkische Medien verstärkt unter Beschuss. Am Mittwoch berichtete die liberale NGO P24 auf ihrer Homepage, dass derzeit 108 JournalistInnen landesweit im Gefängnis säßen. Nicht einberechnet sind 36 gleichsam inhaftierte KollegInnen des staatlichen Fernsehens TRT. Zahlreiche MedienarbeiterInnen flohen, ihre Angehörigen werden schikaniert.
Dutzende Organisationen wurden geschlossen. Darunter fallen drei Nachrichtenagenturen, 16 TV-Kanäle, 16 Magazine, 23 Radiosender, 27 Verlage sowie 48 Zeitungen. Die einzige kurdischsprachige Tageszeitung der Türkei, Azadiya Welat, traf es besonders hart: Sonntag vor einer Woche stürmte die Polizei die Redaktion in Diyarbakır. Bei der stundenlangen Razzia konfiszierten Beamte Festplatten, Stand-PCs, Laptops und „62 verbotene Bücher“ (P24). Alle anwesenden 27 KollegInnen wurden verhaftet, die Frauen gefesselt abgeführt, das Blatt verboten. Der Grund: Azadiya Welat betreibe terroristische Propaganda für die PKK.
Pressefreiheit und Pressefoyer
Diese Vorgänge sind überall bekannt. Dennoch war sich die vereinte Journalismus-Lobby Österreichs nicht zu blöd, in einer Aussendung vom Dienstag den Verlust eines Stücks Pressefreiheit hierzulande zu betrauern. Gemeint ist kein Cobra-Einsatz beim FALTER, kein Schauprozess gegen den STANDARD, kein Anschlag auf das Druckzentrum Inzersdorf, keine Säuberung am Küniglberg, nicht mal das ganz reale Ende des WirtschaftsBlatts. Die Rede ist vom Pressefoyer nach dem Ministerrat.
Bundeskanzler Christian Kern hat vor Medien und auf YouTube angekündigt, dieses Podium künftig so nicht mehr fortführen zu wollen. Er habe „die Erfahrung gemacht“, dass man „von der ursprünglichen Idee Bruno Kreiskys, Politik zu erklären, (…) mittlerweile sehr weit weg gekommen“ sei. Jetzt sollen „Hintergrundgespräche“, ein Blog inklusive Fragemöglichkeit, darüber hinaus „Debriefings“ mit MinisterInnen stattfinden. Kern nannte Reinhold Mitterlehner im Clip als Unterstützer des Vorhabens. Der Vize ruderte später zurück: „Wir werden weiterhin jede Woche zur Verfügung stehen.“
Der ÖJC, der Presseclub Concordia, der ORF-Redakteursrat, die Parlamentsredakteure und die Journalismus-Gewerkschaft fürchten, einer Möglichkeit beraubt worden zu sein, die Regierungsspitze direkt zu befragen. Dies sei für Medien wesentlich, nicht die „unhinterfragte Verbreitung vorgefertigter Statements“.
Dass Dinge wie das Foyer und Debriefings von der Politik kommen und maßgeblich von ihr geleitet, vorgefertigte Statements im Sinne von Aussendungen und Pressemappen dankbar aufgenommen werden – Schwamm drüber. Nur ist es angesichts der türkischen Verhältnisse dreist, hier einen Verlust der Pressefreiheit zu orten. Heimische Medien könnten ja zur Abwechslung eigene ständige Foren entwickeln und Eliten zu deren Teilnahme verpflichten. Pressefreiheit fordert von der Journaille, diese aktiv wahrzunehmen und nicht bequem zu sudern, wenn ein 45 Jahre altes Sofa, Pardon, Forum ausgetauscht wird.
Foto: Rasande Tyskar – no words erdogan dictator (Lizenz: CC BY 2.0)