Ene mene mu und drauß bist du!

Schule ohne Noten – Was in Montessorischulen und anderen privaten Schulinitiativen seit langem selbstverständlich ist, soll auch im öffentlichen Schulwesen Einzug halten. Maria Lodjn Stefanek, Lehrerin an einer Neuen Mittelschule, hat sich Gedanken gemacht, warum eine Leistungsbeurteilung ohne Noten in jedem Fall Zukunft haben kann.

Von der Belohnung zur Notengebung

Mitte des sechszehnten Jahrhunderts gab es für gute Leistungen Semmeln oder Obst. Im Laufe der nachfolgenden Jahrhunderte wurde die Beurteilung mit Hilfe von Zahlen zwischen 1 und 10, abhängig vom jeweiligen Staat, eingeführt. In Österreich kam es in den früheren 1980er Jahren zu einem Wandel im Bereich der Volksschule. Statt sich am System der fünf Noten zu verbeißen, wurden Pensenbuch und schriftliche, verbale Beurteilung eingesetzt. Wer meint, dass das reibungslos von statten ging, irrt gewaltig. Es kam zu Protesten von Seiten der Eltern, die Angst hatten, dass ein Zeugnis ohne Noten der Zukunft ihrer Kinder nachhaltig schaden könnte.

Notengebung aus der Sicht einer Lehrerin

Vor einer Woche habe ich mich wieder in die Mühlen und Mühen des Alltags begeben. Die Mühen beziehen sich in erster Linie auf das Aufstehen am Morgen und nicht auf meinen Beruf an sich. Da saßen sie also wieder alle vor mir. 18 Kinder, die schön langsam zu Jugendlichen werden. 18 verschiedene Persönlichkeiten.  Zwei Mädchen mit schwerer Sehbeeinträchtigung, ein autistischer Junge, zwei Kinder mit schweren Lernbeeinträchtigungen und der Rest der coolen Meute. Kein Kind gleicht dem anderem, jedes ist auf seine Weise wunderbar und einzigartig.  Dennoch muss ich ihre Leistungen am Ende des Schuljahres mit Noten zwischen eins und fünf bewerten.

Sehr gute Leistungen, befriedigende Leistungen und nicht genügende Leistungen. Ein kurzer Comic fällt mir ein. Sieben völlig unterschiedliche Tiere sollen, so lautet die Vorgabe, auf einen Baum klettern. Nur das Tier, das den Baum erklimmt, wird bewertet. Unter den Tieren befinden sich ein Affe, ein Elefant und ein Seehund.

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Entnommen aus: „The Australian National Curriculum TOK Presentation“ von Laura Schnerring

Leistungsbeurteilung, der Begriff an sich macht mir nicht wahnsinnig zu schaffen. Kinder freuen sich über Feedback jeder Art und ich gebe es gerne, spare damit nicht. Ins Schwitzen gerate ich dann, wenn ich mich, wie vorgeschrieben, im Zahlenraum von eins bis fünf bewegen muss.

Was soll ich beurteilen?

Leila hat es geschafft vier von fünf Tagen pünktlich in der Schule anzukommen. Ahmed bricht nicht mehr in Tränen aus, sobald das Wort Hausübung ausgesprochen wird. Imre schreibt ganz alleine, ohne Hilfe, fünf Sätze zu einem vorgegebenen Thema in Deutsch. Klar, es waren ein bis zwei Seiten gefordert. Aber, Imre kann sich nur sehr schlecht konzentrieren. Seine Muttersprache ist nun mal nicht Deutsch, von zuhause hat er wenig Unterstützung, weil seine Eltern von einer Überforderung in die nächste fallen. Weil sie eben keiner Bildungselite angehören und oft nicht wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen. Faruk kann die Malreihen von 2 bis 10 endlich perfekt, nach vielen Monaten Training.

Alle von mir erwähnten erbringen Leistungen, die unser eins vermutlich nicht nachvollziehen kann. Leistungen, die ich mit ruhigem Gewissen mit einem lupenreinem Sehr gut beurteilen kann. De facto aber, stehen sie alle in dem einen oder anderen Gegenstand auf Nichtgenügend. Weil ein Aufsatz nun mal nicht aus fünf Zeilen besteht. Weil Mathematik mehr ist als die erwähnten Malreihen. Weil Pünktlichkeit keine Leistung, sondern Selbstverständlichkeit ist. So besagt es zumindest das Notensystem.

Die Wirtschaft will es so

Gerade der Bereich der Sekundarstufe eins ordnet sich beharrlich seit Jahren den Forderungen und Vorstellungen der Wirtschaft unter. Nicht der Erwerb der Bildung, sondern die Abschlusszensuren entscheiden.  Denn würde ich Fatih ein Gut in Mathematik geben, hätte er damit eine Chance auf eine Lehrstelle, zumindest eine marginale. Spätestens beim Eignungstest würden die Rufe nach der sogenannten Notenwahrheit laut werden. Zahlreichen AbgängerInnen von NMS wurde und wird vorgeworfen, dass sie nicht sinnerfassend lesen können. Es wundert mich nicht, denn wir haben keine Zeit dafür. Wir prüfen, überprüfen und benoten im Dienste der Wirtschaft.

Schule ohne Noten

Gleich vorweg, Schule ohne Noten würde uns LehrerInnen nicht einen Haufen Arbeit ersparen. Im Gegenteil, es bedeutet einen deutlichen Mehraufwand. Denn wir wären gezwungen uns wirklich über jeden einzelnen unserer SchülerInnen nachhaltig den Kopf zu zerbrechen. Ich mache mir nicht die Illusion, dass Kinder und Jugendliche in einer notenfreien Schule nur mehr für sich lernen würden. Auch glaube ich nicht, dass Schule durch diese Maßnahme zum Ort der Freude und Begegnung mutiert. Aber ein großer Teil des, meines Erachtens, unnötigen Drucks würde wegfallen.  Ich verzichte schon seit längerer Zeit auf Tests in Fächern wie Geographie und Biologie. Warum? Weil ich wenig davon halte, unnützes Wissen einer Generation, die mit Internet und diversen Suchmaschinen groß wird, zu überprüfen. Ich lasse die SchülerInnen Kapiteln aus den Schulbüchern suchen, die sie interessieren könnten. Diese erarbeiten sie sich, jeder in seiner Art, natürlich mit meiner Unterstützung selbst. Und plötzlich ist sie da die Basis der individuellen Leistungsbeurteilung. Dass ich am Ende des Jahres wieder auf den Zahlenraum von eins bis fünf zurückgreifen muss, schmerzt. Aber zumindest hat meine Klasse ein Jahr lang Geographie geliebt. Nur das zählt unterm Strich.

Schule ohne Noten würde die der Schule nicht den letzten Atem nehmen, sondern vielmehr neuen einhauchen.

Titelbild: pixabay.com; Lizenz: CC0 Public Domain (bearbeitet durch UZ)

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2 Kommentare

  1. Eh lieb. Aber die Schule krankt an ganz anderen Sachen als Noten. Die Notengebung ist maximal ein kleines Detail. Weg damit – stimmte ich zu – es wird nur nichts ändern.

    Dass man Modelle aus Privatschulen nimmt und versucht diese 1:1 auf öffentliche umzumünzen wird nicht funktionieren. Die soziale Zusammensetzung in Privatschulen ist eine ganz andere als in Öffentlichen.

    Als erstes müssen in öffentlichen Schulen mehr Lehrer her – mehr Förderung für (sozial) schwache. Die Schulgebäude an moderne Gegebenheiten angepasst werden, Gesamtschule, Ganztagsschule, …..

    Dann kann man auch über Notengebung diskutieren. Aber vorher ist das vergebene Mühe fürchte ich.

  2. Ein Argument fehlt noch:
    In einer Zeit, wo eh immer weniger Menschen immer weniger Erwerbsarbeit finden werden, ist Schule sowieso Luxus.

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