Kapital schlagen mit Gerfried Tschinkel
Spätestens seit der Krise, die 2007 begann, ist offensichtlich, dass die da oben nicht wissen was sie tun. Sie handeln nach den Interessen des Kapitals, aber das alleine schafft die Krise nicht aus der Welt. Ein weltweites Wirtschaftswachstum von etwa drei Prozent ist selbst für kapitalistische Verhältnisse wenig. Und genau genommen schwächt sich das Wachstum seit 2011 wieder ab. Der Karren ist so leicht nicht flott zu kriegen. Und jede Handlung in die eine Richtung scheint eine unerwünschte Wirkung in die anderen Richtung zu verursachen. Die Bankenrettungen führten zu hohen Staatsschulden. Die Spardiktate bremsten das Wachstum. Und das Pumpen von Geld in die Wirtschaft führt zu einer höheren Störanfälligkeit der Finanzmärkte. Was bedeutet, dass die Absichten mit dem Resultat nicht übereinstimmen, oder aber die gesellschaftliche Entwicklung eigenen Gesetzten folgt und die Versuche der Regulierung des Kapitalismus selbst ein Teil des Problems sind.
Die Gesellschaft wird von ökonomischen Gesetzmäßigkeiten beherrscht, die ganz unabhängig davon sind, welche Vorstellungen wir uns von ihr machen. Marx war geneigt, im Zusammenhang mit dem Austausch der Arbeitsprodukte gemäß der für ihre Herstellung angewandten gesellschaftlich notwendigen Arbeit, von einem regelnden Naturgesetz zu sprechen, das sich gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt.
Aber wie sollen sich diese Gesetze geltend machen? Die Zwecke unserer Handlungen sind gewollt. Und für das Individuum betrachtet, mag es in einem gewissen Rahmen auch stimmen, dass das, was man sich in den Kopf setzt, auch umgesetzt werden kann. Aber sobald andere Menschen mit unterschiedlichen Interessen im Spiel sind, ist die Sache schon schwieriger, zumal sie darüber mitentscheiden, was mit dem passiert, was man sich in den Kopf gesetzt hat. Im Wirtschaftsleben aber durchkreuzen sich die Interessen der am Produktions- und Austauschprozess Beteiligen ständig. Zwar sind durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung alle Glieder der Produktion voneinander abhängig, das Eigentum ist aber zersplittert und die verschiedenen Produzenten treten sich nur als Käufer und Verkäufer von Waren gegenüber. Und so ist das Wirtschaftstreiben anarchisch. Das Großunternehmen konzentriert zwar das Kapital und organisiert die Arbeit nach dem Stand der Wissenschaft, aber dennoch beherrscht es nicht den Vorgang, der zwischen den Großunternehmen vor sich geht, die sich in erbittertem Wettstreit miteinander befinden. Zwar kalkuliert das einzelne Unternehmen, aber die gesellschaftlichen Bedingungen zwingen es zu Schritten, die nicht selbst vorgegeben sind. Die Krise schließlich muss die Proportionen wertmäßig und stofflich wieder herstellen, die einzuhalten die Einzelunternehmen nicht im Stande waren.
Die Zwecke die gesellschaftlich verfolgt werden sind gewollt, aber die eigentlichen Resultate sind es nicht. Und so scheint der Zufall zu regieren. Wo aber auf der Oberfläche der Zufall sein Spiel treibt, so Friedrich Engels, da wird er stets durch innere verborgene Gesetze beherrscht.
Wie viele Ökonomen haben mit der gegenwärtigen Krise gerechnet? Die meisten vertrauten doch blind in den Markt und die Stabilität der Wirtschaft. Wie oft wurden seit Ausbruch der Wirtschaftskrise Wachstumsprognosen vorgelegt, die nicht im geringsten die eigentliche Entwicklung vorwegnahmen? Die Zentralbanker fühlen sich als mächtige Männer, die gegen den Sturm der Krise ankämpfen, in Wirklichkeit vollziehen sie nur die Entwicklungen nach, die der Geldmarkt vorgibt, und passen die Leitzinssätze an diejenigen an, die sich längst im Zuge der Krise frei herausgebildet haben. Ihre Vorstellungen von der Regulierungsfähigkeit des Kapitalismus sind notwendigerweise falsches Bewusstsein. Sie sind nur Vollstrecker einer hinterrücks wirkenden Macht, der vielbeschworenen unsichtbaren Hand. Es ist nicht so, dass der Staat gar nichts regulieren kann, aber er kann nur Entwicklungen fördern, abschwächen oder verstärken. Keinesfalls kann er die allgemeinen Entwicklungen aufhalten oder gar Krisen verhindern. Hatte nicht das Bürgertum vom Kapitalismus seit jeher ganz eigentümliche Vorstellungen, die Vorstellung von der Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit. Je weiter das falsche Bewusstsein entfernt ist von den tatsächlichen gesellschaftlichen Beziehungen, desto klarer ist, dass in Wirklichkeit ökonomische Gesetze wirken, die nicht beherrscht werden können. Die bisher fremden Mächte zu kennen und unter gesellschaftliche Kontrolle zu bringen, indem gesellschaftlich produziert und verteilt werde, gemäß einem Plan, das wird die Aufgabe für die Zukunft bleiben.
Gerfried Tschinkel ist Ökonom und lebt in Kottingbrunn.
Bisher in „Kapital schlagen“:
- Kleine Häppchen
- Sozialismus für Reiche
- Tritt man ihn, stürzt er
- Die gefühllose Isolierung
- Holt mich hier raus!
- Arme Unternehmer
Fotos: Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main (ArcCan; Lizenz: CC BY-SA 3.0); Titelbild: Frankfurt Bankenviertel (Epizentrum, Lizenz: CC BY-SA 3.0)