Ein Kommentar von Wilfried Leisch (Gewerkschafterinnen gegen Atomenergie und Krieg)
Erst vor ein paar Tagen, am 26. Oktober, wurde wieder der Neutralität Österreichs gedacht. Die selbsterklärte immerwährende Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz wurde eben am 26. Oktober 1955 vom österreichischen Parlament erklärt. Sie war die Voraussetzung für den Abzug aller Soldaten der vier Mächte (USA, Frankreich, Sowjetunion, Großbritannien), die Österreich vom Hitlerfaschismus befreiten. Die Neutralitätserklärung bildet gemeinsam mit dem am 15. Mai 1955 unterzeichneten Staatsvertrag die Begründung des freien Österreichs und ist seither Kern und Grundlage der II. Republik. Auch bei EU-Beitritt 1995 wurde die Beibehaltung der Neutralität Österreichs von der Bundesregierung (SPÖ-Kanzler Vranitzky und ÖVP-Vizekanzler Busek) als mit der EU ausgehandelt und für garantiert erklärt.
Jetzt wurde bekannt, so der Kurier am 29.10.16: „Türkei rächt sich an Österreich und verhindert Teilnahme an NATO-Übungen“, weil Österreich den sofortigen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen gefordert hatte. Und wie rächt sich das NATO-Mitglied Türkei? Durch die Behinderung der Teilnahme österreichischer Soldaten am „Kooperationsprogramm mit der NATO“. Gemeint ist die NATO-„Partnership for Peace“ (PfP), der Österreich bereits seit Anfang 1995 angehört, was einem breiten Publikum kaum bekannt ist. Und was bedeutet das? Zum Beispiel, dass sich „das Bundesheer an Operationen der NATO (beteiligt). So ist Österreich der größte Truppensteller in der NATO-geführten Mission im Kosovo. Auch in Afghanistan waren und sind österreichische Soldaten engagiert“, schreibt der Kurier. Und SPÖ-Verteidigungsminister Doskozil will mit dem jüngst enorm aufgestockten Heeresbudget in den nächsten Jahren die Zahl der Berufssoldaten verdoppeln und die Auslandeinsätze verstärken.
War da nicht etwas? Gab es da nicht 2013 eine Volksbefragung, bei der 60% Nein zu einem Berufsheer sagten? Trotzdem will Doskozil ein Bundesheer mit noch mehr Berufssoldaten. Und was sollen die tun? Eben. Auslandseinsätze. Das widerspricht der Verfassung, das widerspricht der Neutralität, das widerspricht dem Berufsheer-Nein. Applaus bekommt Doskozil von der ÖVP und der FPÖ. Gerade letztere spielt sich gerne als einzig wahrer „Neutralitäts-Verteidiger“ auf. Doch – und nicht nur da – sitzen Regierung und Opposition (auch die Grünen waren und sind für ein Berufsheer) in einem Boot und wollen der Bevölkerung ein X für ein U vormachen. Vor allem werden dafür Milliarden an Steuergeldern eingesetzt, die bei der Bekämpfung von Armut, Mindestsicherung und Arbeitslosigkeit vorenthalten werden.
Eigentlich eine Schande, dass ein Autokrat und Undemokrat wie Erdogan Österreich „neutralisiert“, nämlich Österreichs Entscheidungsträger dazu zwingen will, was Österreich eigentlich tun sollte: nicht an fremden Militärbündnissen teilnehmen, nicht mit diesen gemeinsame Übungen abhalten oder gar in Einsätzen mit ihnen sein – sei es in Österreich oder im Ausland. Denn diese Einsätze haben mit den früheren UNO-Mandaten, bei denen z.B. auf Zypern oder auf dem Golan Pufferzonen passiv überwacht wurden, nichts mehr zu tun. Doch fälschlicherweise wird genau das gerne berichtet und damit die immer aktivere Teilnahme Österreichs in Krisen- und Kriegsgebieten entgegen der Neutralität durchgeführt.
Was sonst noch so an wundersamen, neutralitätswidrigen Aktivitäten – abgesehen von immer wieder stattfindenden NATO-Überflügen, Panzer-Transit-Transporten auf der Bahn – in Österreich durch Innen- und Verteidigungsministerium gesetzt werden, wurde nur durch einen Panzerunfall publik. Ein deutscher Bundeswehr-Panzer verunglückte in Tirol.
Die Lehre aus zwei Weltkriegen, an denen Österreich beteiligt war, ist die Neutralitätserklärung Österreichs gewesen: Nie wieder Kriegsteilnahme. Seit Jahren und jetzt immer mehr geschieht das gerade Gegenteil unter dem schönfärberischen Namen der „friedenserhaltenden Maßnahmen“.
Bild: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich 1955 (Scan der Original-Buchvorlage, gemeinfrei); Titelbild: Radpanzer Pandur (böhringer friedrich; Lizenz: CC BY-SA 2.5)