„Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“ – Von Max Aurel
Letzte Woche machte die Meldung der NGO Oxfam weltweit Schlagzeilen, dass die acht reichsten Männer der Welt so viel Vermögen besitzen wie die ärmsten 3,5 Milliarden Menschen dieses Planeten.465 Milliarden US-Dollar an Vermögen sollen diese 8 Männer angehäuft haben, womit sie alleine alle Produkte und Dienstleistungen, die in Österreich produziert werden, aufkaufen können (das BIP von Österreich entspricht …. US-Dollar) Eine beinahe nicht vorzustellende ökonomische Macht, die sich in den Händen einiger weniger konzentriert. Nun ist die Studie von Oxfam ein wenig übertrieben, und auch ihre Methodik ist ein wenig fragwürdig (ein Durchschnittsösterreicher besitzt laut dieser Berechnung mehr Vermögen als die ärmsten 30% der Weltbevölkerung), doch die Problematik ist keine neue. Steigende Vermögensungleichheit gibt es in der westlichen Welt etwa seit den 70er Jahren, und spätestens seit Thomas Pikettys Bestseller „Kapital im 21. Jahrhundert“ ist sie auch einer breiteren Öffentlichkeit als Problem bekannt.
Dass die Meldung nicht nur auf Zustimmung stoßen wird, war logisch. In Österreich „kritisierten“ vor allem die NZZ.at und die Agenda Austria, ein neoliberaler „Think-Tank“, welcher von Industrie und vermögenden Privatpersonen finanziert wird (“Denkfabrik der Millionäre”) die Erkenntnisse der Studie. Sie konzentrieren ihre Kritik darauf, dass die wachsende ökonomische Ungleichheit nicht mit dem Wachstum der allergrößten Vermögen zu tun hat, sondern dass die Armen schlichtweg “zu arm” sind. Dabei blenden sie viele fatale Konsequenzen aus. Zu große ökonomische Ungleichheit kann fürchterliche gesellschaftliche Folgen haben. So sind ungleichere Gesellschaften mit höheren Kriminalitätsraten belastet, wie auch die europäische Statistikbehörde Eurostat festgestellt hat. Des weiteren führt ökonomische Ungleichheit zu einem Teufelskreislauf, in dem eine kleine, wohlhabende Elite immer größeren Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen kann. Der Politikwissenschaftler Martin Gilens belegt in seinem Buch “Affluence and Influence” eindrucksvoll den Zusammenhang zwischen ökonomischer Ungleichheit und politischer Einflussnahme.
Doch NZZ.at und die Agenda Austria fokussieren ihre Argumentation nicht auf das reiche Ende der Vermögensschere, sondern auf das ärmere. Ihr Argument: Die Vermögensungleichheit ist nur so groß, weil die Armen kein Vermögen aufgebaut haben. Genial. Gib einfach jedem Arbeitslosen eine Eigentumswohnung und das Problem der Vermögensungleichheit ist gelöst. Also zumindest statistisch. Dass 300.000 Österreicherinnen und Österreicher trotz Arbeit in Armut leben, wird daran nichts ändern. Auch die Tatsache, dass prekäre, atypische und unsichere Beschäftigungsverhältnisse, welche Hauptgründe für Einkommensungleichheit sind, die wiederum zu größerer Vermögensungleichheit führt, in den letzten Jahren rasant gestiegen ist, wird vernachlässigt. Frauen sind von solchen Beschäftigungsverhältnissen besonders betroffen, in der Liste der reichsten 8 Personen sucht man sie hingegen vergeblich.
Die vorgeschlagene Politik der Vergrößerung des Vermögens ärmerer Haushalte hat allerdings noch einen weiteren, fatalen Fehler in sich. In ihren theoretischen Überlegungen gehen die Autoren davon aus, dass sie das Vermögen der ärmeren Haushalte vergrößern, dadurch schließt sich die Schere zwischen Arm und Reich. Aber nur ceteris paribus. Ceteris paribus bedeutet, dass alle anderen Effekte und Umstände gleich bleiben müssen, damit das Modell stimmt. Heißt also, dass der Plan der neoliberalen Autoren nur aufgeht, wenn die Vermögen der Reichen gleich groß bleiben. Was sie nicht tun. Sie wachsen stärker als die Vermögen der restlichen Bevölkerung, und das seit Jahrzehnten. Nichts deutet auf eine Trendumkehr hin.
Ein weiterer Fehler in dieser neoliberalen Denkweise ist mathematischer Natur. Man geht davon aus, dass der gesamtwirtschaftliche Kuchen größer wird, wodurch alle profitieren. Vermögensungleichheit betrifft aber nicht die Größe des Kuchens, sondern die Größe der einzelnen Stücke. Und relativ gesehen können diese Stücke kleiner werden, auch wenn der Kuchen an sich größer wird. Hierzu ein kleines Rechenbeispiel:
Angenommen Robert und Erich besitzen einen Apfelbaum. Von diesem Apfelbaum pflücken sie 10 Äpfel, wobei Robert 4 bekommt und Erich 6. Das entspricht einem Verhältnis von 40% zu 60%. Ein paar Tage später wollen die beiden wieder Äpfel pflücken gehen, dieses mal sollen es 20 sein. Robert bekommt 5, Erich bekommt 15, was wiederum einem Verhältnis von 25% zu 75% entspricht. Wird das Problem offensichtlicher? Sowohl Robert und Erich haben am Ende des Tages mehr Äpfel bekommen, aber Erichs Anteil ist viel größer geworden. Wenn Robert jetzt ein Repräsentant der unteren 99% ist und Erich des oberen 1% haben wir genau die Situation von heute. Der gesamtwirtschaftliche Kuchen ist insgesamt ein wenig größer geworden, während das Stück des oberen 1% um ein Vielfaches gewachsen ist.
Der Vorschlag der Neoliberalen führt, wenn überhaupt, nur zu statistischer Kosmetik, von denen sich die von Armut Betroffenen letzten Endes nichts kaufen können. Es gibt jedoch einen fundamentalen Logikfehler, der von der NZZ und der Agenda Austria nicht bedacht wird. Woher sollen die Mittel für die Kapitalaneignung der unteren Klassen stammen? Der Vorschlag der Agenda Austria, vermehrt auf Mietkäufe zu setzen, führt erstens ins Leere. Dafür bräuchte es das Einverständnis beider Vertragspartner, Mieter und Vermieter, und das ist mehr als unwahrscheinlich, verliert der Vermieter ja durch den Mietkauf einen Vermögensgegenstand. Und Menschen hassen Verluste, vor allem in finanzieller Form. Verluste finanzieller Form können zu Stresssymptomen führen und schwerwiegende Schäden hinterlassen. Faktisch sind finanzielle Verluste enger mit Suizidgedanken korreliert als niedriges Einkommen an sich. Zweitens ist er ideologisch inkonsistent. NZZ und Agenda Austria argumentieren, dass es starke, durchsetzbare Eigentumsrechte geben soll. Halt nur nicht für Vermieter, die zum Wohle der statistischen Kosmetik ihr Eigentum aufgeben sollen. Rational ist das nicht.
Woher soll das Geld also kommen? Von höheren Löhnen für Niedrigverdiener, die die Einkommensungleichheit wirklich verringern? Geht nicht, das würgt die Wirtschaft ab. Verstehe. Dass Aktienrückkäufe von Unternehmen und Dividendenausschüttungen wieder Vorkrisenniveau erreicht haben, Kapital, das direkt zu den Aktionären zurückfließt und im Unternehmen nicht reinvestiert werden kann, scheint die Wirtschaft nicht abzuwürgen (vor allem wenn man sich die Entwicklung der privaten Investitionen ansieht). Denn der Reichtum der mehrheitlich sehr wohlhabenden Aktionäre tropft ja bis nach unten durch (Trickle-Down Economics), so die Theorie. Die Aktionäre denken aber nicht daran, ihre hart verdiente Dividende, die sie eigentlich nur bekommen, weil sie schon vor dem Aktienkauf ausreichend mit Kapital ausgestattet waren (der Teufel scheißt bekanntlich immer auf den größten Haufen), an ärmere Bevölkerungsteile abzugeben. Menschen hassen finanzielle Verluste, aber das hatten wir ja schon.
Alternative Vorschläge zur Kapitalakkumulation bekommt man sowohl von der NZZ.at, als auch von der Agenda Austria nicht zu hören. Dabei gibt es generell zwei Wege, seinen persönlichen Kapitalstock zu vergrößern. Entweder man wandelt Arbeit in Kapital um, oder Kapital an sich vermehrt sich. Ersteres ist der primäre Weg, wie Normalsterbliche ein größeres Vermögen anhäufen können, indem sie einen Lohn für ihre körperliche und geistige Arbeit bekommen. Zweiteres die Methode der Superreichen und Wohlhabenden, die allein von den Zinsen ihres Vermögens und vom Wertzuwachs ihrer Aktienportfolios leben können. Die Gegenvorschläge, progressive Steuersätze, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Finanztransaktionssteuer oder die Schließung von Steuerschlupflöchern, also Maßnahmen die mehrheitlich die Kapitalakkumulation zweiter Art betreffen würden, fallen der NZZ und der Agenda Austria nicht ein.
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Foto: Oxfam; Titelbild: maxaurel.wordpress.com
Die Umverteilung läuft ja aktuell bestens in Venezuela.