Entwicklungshilfe, ein Wort, mit dem Bürgerinnen und Bürger in Österreich wohl eher Staaten in Afrika und Südasien assoziieren, aber nicht Länder in Europa. Doch auch auf diesem Kontinent gibt es Staaten, denen es wirtschaftlich miserabel geht, die in politischem Aufruhr sind oder von Korruption geplagt werden, weshalb sie von Österreich finanziell und durch Projekte unterstützt werden. Im heutigen Beitrag stellt Max Aurel ein Land vor, auf das all dies zutrifft: Moldawien. Ein kleines Land im Osten Europas, welches unter dem Einfluss interner und externer Machtinteressen zu leiden hat.
Exodus
Moldawien ist eines der Schwerpunktländer österreichischer Entwicklungshilfe. Im Jahr 2015 hat es rund 3 Millionen Euro durch die Agentur für österreichische Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) erhalten, das machte rund 3,8% der gesamten finanziellen Zuwendungen der OEZA aus. Und Hilfe hat das Land bitter nötig. Im Ranking für menschliche Entwicklung, dem Human Development Index der Vereinten Nationen, liegt Moldawien auf Rang 114 von 187 und ist damit das am schlechtesten platzierte Land Europas. Damit liegt es zwischen Botswana und Ägypten.
Moldawien hat seit längerer Zeit ein gravierendes Problem. Neben Bulgarien ist es das Land auf der Welt, welches am schnellsten schrumpft. Während die Bevölkerung auf der Welt durchschnittlich um 1,5% wächst, hat Moldawien (ohne die abtrünnige Provinz Transnistrien) von 2004 bis 2014 500.000 Einwohner verloren. Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen von externen bis zu internen Faktoren.
Interne Faktoren sind vor allem demographischer Natur. Die Bevölkerung Moldawiens ist überaltert, auf zu viele alte Menschen kommen zu wenig junge Menschen. Die Geburtenrate liegt bei 1,41 Geburten pro Frau, das liegt weit unter dem Wert, was eine nicht schrumpfende Bevölkerung garantieren würde (2,1 Geburten pro Frau).
Ein weiterer Grund ist Migration. Während einige Politiker in Österreich, Deutschland und andere europäische Staaten sich beklagen, dass zu viele Menschen in ihre Länder einwandern wollen, hat Moldawien das entgegengesetzte Problem: es wandern viel zu viele Menschen aus. Auf 1.000 Moldawier kommen 9 Menschen die das Land verlassen, diese Quote ist die höchste in Europa und eine der höchsten weltweit. Warum also verlassen so viele Menschen das Land? Wirtschaft, Außen- und Innenpolitik spielen dabei eine große Rolle.
Gründe für den Exodus
Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell zwar bei rund 6,3%, dennoch sind große Teile der Bevölkerung bitterarm. Rund 20% der Moldawier leben unterhalb der Armutsgrenze, was dem höchsten Wert in ganz Europa entspricht. Die Wirtschaft ist stark von der Landwirtschaft geprägt, welche immer noch rund 17% des Bruttoinlandsprodukts ausmacht (Zum Vergleich: in Österreich oder Deutschland ist der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt bei weniger als 4%). Dabei ist Moldawien sehr vom Export von landwirtschaftlichen Gütern abhängig, vor allem Wein, Früchte und Gemüse.
Gleichzeitig gehört Moldawien zu den korruptesten Staaten in Europa. Laut dem Corruption Perception Index belegt das Land den 123. Platz von 176. Diesen Platz teilt das Land mit Diktaturen wie Aserbaidschan oder Laos. Gleichzeitig scheint die politische Elite des Landes sich vollkommen von der Bevölkerung abgekapselt zu haben und nur noch in interne Machtkämpfe verwickelt zu sein. Der Think-Tank „The Fund for Peace“ gibt den Eliten des Landes ein „ärmliches Zeugnis“ in ihrem Indikator „Fractionalized Elites“, welcher Machtkämpfe, politische Konkurrenz und gefälschte Wahlen zusammenfasst. Moldawien bekommt dabei 8,3 von 10 Punkten (je höher, desto schlechter), denselben Wert den Venezuela, Äquatorialguinea oder Tadschikistan erreichen, drei Staaten mit völlig zerstrittenen Eliten, die stark in interne Machtkämpfe verwickelt sind.
Doch diese internen Faktoren, also die schlechte wirtschaftliche Lage, die Korruption und der Elitarismus, werden entscheidend von externen Faktoren bestimmt. Denn Moldawien ist ein Spielball zwischen den Interessen der EU und Russlands.
Ein Opfer des Ukraine-Konflikts
Die Ukraine ist der östliche Nachbar Moldawiens, doch Moldawien ist ein Spiegelbild der Situation in der Ukraine. Moldawien hat nämlich eine eigene, abtrünnige Provinz im Osten des Landes, welche von Russland unterstützt wird und in der pro-russische Politiker das Sagen haben: Transnistrien. In dieser schmalen Region östlich des Flusses Dnjestr ist der Einfluss der Zentralregierung minimal. Sie entzieht sich weitestgehend der Kontrolle der Regierung in Chisinau.
In Moldawien gibt es, allgemein gesagt, zwei politische Lager: pro-europäisch und pro-russisch. Jahrelang hatte das pro-europäische Lager in Chisinau die Macht und brachte das Land auf einen europäischen Kurs mit engeren Verbindungen zur Europäischen Union. 2014 wurde ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Moldawien abgeschlossen, also im selben Jahr wie das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine, welches der Auslöser für die “Maidan-Revolution” war, welche wiederum zum Konflikt in der Ostukraine führte.
Im Laufe der Ukraine Krise, der Aktivierung pro-russischer Separatisten in der Ostukraine und der nach Meinung vieler Wissenschaftler “völkerrechtswidrigen Annexion” der Halbinsel Krim erließ die Europäische Union Sanktionen gegen hochrangige Politiker aus Russland und Präsident Putins engsten Beraterkreis. Im Gegenzug erließ Russland Sanktionen, die den Import viele europäischer Waren beschränkten, Obst, Gemüse, Maschinen und ähnliches. Doch von diesen Importen war nicht nur die EU betroffen, sondern auch Moldawien. Wie schon erwähnt, das Land ist vom Export landwirtschaftlicher Güter abhängig, wobei Russland als zweitwichtigster Handelspartner enorm wichtig ist. Die Sanktionen hatten fürchterliche Auswirkungen auf die Republik Moldawien. Deshalb überraschte es umso mehr, dass der pro-russische Kandidat Igor Dodon im Herbst letzten Jahres zum Präsidenten gewählt wurde.
Durch die Wahl Dodons ist das Land noch stärker gespalten als ohnehin schon. Er selbst ist russlandfreundlich, doch der Premierminister, Pavel Filip, will das Land stärker an die Europäische Union binden. Konflikte und Streitereien in der Zukunft sind damit de facto vorprogrammiert. Doch Dodon könnte erhebliche Probleme dabei bekommen, Moldawien stärker an Russland zu binden. Da wären einerseits die Sanktionen, die die moldawische Wirtschaft ruinieren, andererseits ist Moldawien von der EU und dem IWF, dem Internationalen Währungsfonds, finanziell abhängig. Eine noch immer nicht gelöste Bankenkrise hat das Land in Zahlungsschwierigkeiten gebracht, woraufhin man die Hilfe der EU und des IWF ersuchte. Stellen diese die Zahlungen ein bzw. wollen diese die Kredite zurück haben, ist das Land de facto pleite.
Was muss geschehen?
Damit Moldawien sich entwickeln kann und in ein modernes Industrieland transformiert werden kann, muss die politische Elite in Moldawien reformiert werden. Es benötigt kollektive Aktionen, Gesetzesänderungen und stärkere Strafen für Korruption, Lobbying, Vetternwirtschaft und Veruntreuung. All dies kann verknüpft werden an die Zusage weiterer finanzieller Hilfsmittel.
Außerdem können Hilfsgelder verwendet werden, um die völlig zurückgebliebenen ländlichen Regionen zu entwickeln. Anstatt sich auf den Export von landwirtschaftlichen Produkten zu konzentrieren, sollte die Wirtschaft diversifiziert werden. Das Lohnniveau in Moldawien ist noch weitaus niedriger als in Rumänien oder der Ukraine, was ein Vorteil sein könnte um Industrie anzulocken. Wenn die politisch-institutionelle Rahmenbedingungen passen, werden sich auch Unternehmen ansiedeln. Eine Möglichkeit, damit nach Moldawien die Hoffnung zurückkehrt und die Bürger sich nicht gezwungen sehen, das Land zu verlassen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf maxaurel.wordpress.com
Titelbild: Zug in Moldawien (Markv from nl; Lizenz: CC-BY-SA-3.0)