Wer den Preis der Schuhe bezahlt

Sie gelten als Erfolge serbischer Wirtschaftspolitik: Produktionsstätten ausländischer Investoren im Land. Wie es den Arbeitern dort geht, interessiert weniger. Eine Reportage des serbischen Magazins Mašina zeigt gravierende Missstände in der Fabrik des italienischen Schuhherstellers Geox in Vranje auf: Druck mittels befristeter Arbeitsverträge, Mobbing und beinahe tägliche Rettungseinsätze im Werk.

Von Saša Dragojlo

Die italienische Firma Geox hat Niederlassungen in 114 Ländern. Ihre Produkte werden bei 10.000 Händlern verkauft, Geox selbst hat 1.200 Geschäfte, die ausschließlich Geox-Schuhe verkaufen. Mehr als 70 Prozent des Umsatzes werden im Export gemacht, 2014 erwirtschaftete die Firma 824,2 Millionen Euro. Geox hat 30.000 Beschäftigte und Zulieferer mit Fertigungsstätten in China, Vietnam, Indonesien, Südkorea, Brasilien, Mazedonien und Serbien.

So präsentieren Medien normalerweise große Firmen und ihre Investitionen, die die Wirtschaft – angeblich – retten. „Auf neutrale Art“ und in Zahlen.

Geox ist seit 2013 in Serbien. Die offizielle Eröffnung fand allerdings erst am 31. Jänner 2016 statt. Damit Geox in Serbien investierte, griff die Regierung tief in die Tasche: 11,25 Millionen Euro oder 9.000 Euro für jeden neuen Arbeitsplatz. Die Regierung gab der Stadt Vranje auch 100 Millionen Dinar um die Grundstücke in der Freien Zone (Sonderwirtschaftszone, Anm.) zu erschließen – eine Bedingung, um mit den Bauarbeiten für die Fabrik zu beginnen.

Wenn wir mit der imposanten Konzern-Numerologie konfrontiert werden, verlieren wir allerdings oft das aus den Augen, was im Wirtschaftssprech „Humanressourcen“ genannt wird – die Arbeiter in den Eingeweiden der Fertigungshallen, die mit ihrer Arbeit und ihrer Zeit den Mehrwert für die Besitzer schaffen. Ein Mehrwert, ohne den dieses beeindruckende Geschäftsimperium nicht existieren würde.

Bei Geox haben diese Arbeiter keine Namen. Sie sind Ziffern. Fortsätze der Maschinen. Werkzeuge, denen man verboten hat zu sprechen. Nach langen Verhandlungen haben sich mehrere ehemalige und aktuelle Beschäftigte von Geox, die Angst haben ihren Arbeitsplatz zu verlieren und um die Sicherheit ihrer Familien fürchten in einer Kleinstadt, in der jeder jeden kennt, bereit erklärt mit den Reportern von Mašina über ihre Erfahrungen und Beobachtungen zu sprechen. Die Namen der Arbeiter wurden zu ihrem Schutz geändert.

Arbeitsverträge als Erpressungsinstrumente

Für 150 Euro wirst du Eigentümer einer Person. Wenn du durch die Fabrikstore gehst, bist du nicht länger ein Mensch, nur eine Zahl. Sie nennen dich nicht mal beim Namen. – Gabrijela Krstić

Bis vor wenigen Monaten wurden – mit Ausnahme der Beschäftigten mit Erfahrung in der Schuhherstellungen – alle Arbeiter mit befristeten Verträgen eingestellt. Dauer: ein bis fünf Monate. Geox-Beschäftigte, mit denen wir gesprochen haben, sagen, dass sie oft mehrere Monate ohne Vertrag gearbeitet haben, dass man ihnen einen Arbeitsvertrag oft erst nach Monaten angeboten hat – rückdatiert. Die Situation hat sich erst vor einigen Monaten gebessert.

Ich habe zuerst einen Vertrag für ein Monat unterschrieben, dann einen über zwei Monate, und dann noch einen für fünf Monate. Den letzten haben sie mir aber erst im Mai zum Unterschreiben gegeben und gesagt: Der gilt für fünf Monate, aber diese fünf Monate waren schon in einem Monat vorbei. – Marija 622

Stefan 748 arbeitete elf Monate lang bei Geox. Nur während acht dieser elf Monate hatte er einen Arbeitsvertrag. Der letzte Fünf-Monats-Vertrag, den man ihm anbot, lief drei Tage nach der Unterschrift bereits aus.

Als ich eingestellt wurde, habe ich einen Ein-Monats-Vertrag unterschrieben, dann einen über zwei Monate. Alles vollkommen normal. Der nächste Vertrag wurde nicht rechtzeitig ausgefertigt. Ab Jahresbeginn 2016 arbeitete ich ohne Vertrag. Eine Zeit lang hielt ich still und wartete. Als ich die Werksleitung fragte, was los sei, sagte man mir, der Vertrag würde vorbereitet und man bemühe sich, dass ich ihn so schnell wie möglich bekommen würde. Am letzten Tag vor den Sommerferien, im August, rief mich einer der Anwälte der Firma an und sagte mir, man habe meinen Vertrag „gefunden“. Er gab mir einen Fünf-Monats-Vertrag, den ich rückwirkend unterschreiben sollte. Der Vertrag galt von 15. März bis 15. August. Wir hatten den 12. August. Ich überlegte, was ich tun sollte: Wenn ich unterschreibe, gäbe es eine Chance auf Verlängerung. Wenn ich ihn nicht unterschreibe, könnte ich gleich meine Sachen packen. – Stefan 748

Dieses Verhalten der Geschäftsführung ist vor dem Hintergrund der sehr hohen Arbeitslosigkeit im Bezirk Pčinja zu sehen und den niedrigen Gehältern, die in den Firmen gezahlt werden, die nicht das Privileg staatlicher Subventionierung haben.

Der Fall von Gabrijela Krstić hat breitere mediale Aufmerksamkeit bekommen. Die Beschäftigte wurde gefeuert, nachdem sie bei einem öffentlichen Protest mit mehreren hundert Beschäftigten die Geschäftsführung kritisiert hatte. Der Fall ist vom arbeitsrechtlichen Standpunkt her vielsagend.

Die Proteste fanden am 5. September 2016 statt. Gabrijela wurde am nächsten Tag entlassen. Als Kündigungsdatum wurde der 31. August angegeben, als ihr Arbeitsvertrag offiziell auslief. Es stellt sich die Frage, wie jemand, der offiziell gar nicht in einer Firma arbeitet, streiken und wegen des Streiks gekündigt werden kann.

Ich sagte ihnen, dass sie die Bestimmungen des Arbeitsvertrags verletzten. Der Arbeitgeber ist nämlich verpflichtet, die Beschäftigten sieben Tage im voraus zu informieren, wenn die Dienstpläne oder die Anzahl der Arbeitsstunden verändert werden. Das ist in den zehn Monaten, die ich dort gearbeitet habe, nie passiert. Als ich das ansprach, sagte eine Vorgesetzte: „Geh woanders hin um deine Komplexe behandeln zu lassen“. Das war’s für mich. Ich wurde am nächsten Tag gekündigt. – Gabrijela Krstić

Arbeiter sind ersetzbar. Bricht einer zusammen, kommt der nächste

Arbeitnehmerrechte und Arbeitnehmerschutz scheinen keine übergeordnete Priorität für Geox zu besitzen. Vranje ist mit seiner hohen Arbeitslosigkeit voll von Menschen, die nur auf einen Job warten. Wie schlimm die Situation in der Fabrik ist, schildert Slađan Stanisavljević, Leiter der Notfallmedizin in Vranje im Interview.

Wie häufig sind Notrufe aus der Geox-Fabrik?

S.S.: Seitdem die Fabrik geöffnet hat, sind sie ziemlich regelmäßig. Manchmal sind es mehrere pro Tag. Eine Zeit lang gab es weniger, dann wurden sie wieder mehr. Ich war den ganzen Tag beruflich in Niš, daher hab ich die Zahlen für heute nicht. Aber gestern gab es mehrere Notrufe von Geox.

Was sind die häufigsten Gründe, die Einsätze notwendig machen?

S.S.: Meistens geht es um Schwindel oder Kreislaufkollaps. Auch wenn natürlich jeder Patient ein eigener Fall ist.

Außer Geox gibt es in Vranje ja auch noch Alf Plam, Simko und Jumko, die zur Zeit ihre Kapazitäten reduziert haben. Bekommt ihr von denen auch regelmäßige Notrufe?

S.S.: Das ist eine gute Frage. Nein, nur von Geox, was symptomatisch ist. Aus den anderen Fabriken bekommen wir nicht so viele Notrufe.

Auf Basis des Gesetzes über Informationen im öffentlichen Interesse haben die Reporter von Mašina um Herausgabe der Berichte über die notfallmedizinischen Einsätze bei Geox angesucht. Wir haben keine Antwort erhalten.

Geox-Beschäftigte sagen, dass das nicht das vollständige Bild sei. Häufig würde die Werksleitung Notrufe untersagen, die sie nicht vorher genehmigt hätten.

Die Managerin hat es untersagt, den Notruf zu wählen, wenn es jemandem nicht gut geht, jemand das Bewusstsein verliert oder aus sonst irgendeinem Grund. Man muss zuerst sie anrufen und sie sieht sich dann den betreffenden Arbeiter an, wie es ihm oder ihr geht, und sie entscheidet dann, ob der oder die Betreffende noch arbeiten kann. – Gabrijela

Die Beschäftigen sagen auch, dass sie nur selten Schutzkleidung bekommen, sofern sie das nicht explizit und hartnäckig verlangen. Das Ergebnis ist, dass sich mehrere Beschäftigte bei der Arbeit verletzt haben. In der Nähabteilung etwa erlitt Marija Verbrennungen an den Händen. Sie hatte keine Schutzhandschuhe.

Sie haben uns keine Schutzausrichtung gegeben. Ich hab danach gefragt, weil ich Angst vor Verbrennungen hatte. Die Temperatur der Maschinen liegt bei 200 Grad. Es hat zwei Tage gedauert. Am dritten Tag hab ich Brennen in meinen Handflächen gespürt. Zwei oder drei Mal hab ich der Vorarbeiterin gesagt, dass meine Handflächen geschwollen sind, aber niemand hat reagiert. Als sich am dritten Tag die Verbrennungen gezeigt habe, begleitet von Ausfluss, haben sie befürchtet, dass ich mich bei der Managerin beschwere. – Marija

Ein weiteres Problem ist die Krankenversicherung. Erst nach mehreren Monaten hartnäckigen Nachfragens haben Gabrijela, Marija und Jelena 633 ihre Krankenscheine bekommen, die sie brauchen, damit ihre Versicherungskarten gültig sind.

Jemand aus der Geschäftsführung hat mich gefragt: Bist du krank? Ich hab gesagt: Nein, muss ich krank sein, um meinen Krankenschein zu bekommen? Er hat gesagt: Ich sehe, du bist gesund, warum brauchst du einen Krankenschein? – Gabrijela

Psychisch krank durch Mobbing

Mehrere Geox-Beschäftigte haben sich über Mobbing und Arbeitsrechtsverletzungen beklagt. Die Fälle von Marija und Jelena sind besonders drastisch. Sie sind in psychiatrischer Behandlung, nachdem sie Monate lang verletzender und beleidigender Behandlung durch ihre Vorgesetzten ausgesetzt waren.

Marija, die Verbrennungen an den Händen erlitten hatte, wurde in die so genannte Vorbereitungsabteilung verletzt. Sie nennt besonders das Verhalten ihrer früheren Vorgesetzten, der Italienerin Tiziana Cecconi, über das auch Medien schon berichtet hatten.

Tizianas Verhalten war die Hölle. Sie hat da Schuhe aufgeschnitten, uns dort mit Schuhen beworfen, wenn die nicht ordentlich gemacht waren, hat uns getreten und ist mitten in der Kantine auf einen Tisch gestiegen und hat uns zurechtgewiesen, als wir frühstückten. – Marija.

Die Italienerin hat Geox wegen Mobbing verlassen. Arbeiter haben ausgesagt, dass sie sie als „serbische Zigeuner“ bezeichnet hat, denen es „freistünde, nach Bunuševac (einem Friedhof in Vranje, Anm.) zu gehen“, sobald Geox Serbien verlasse.

Auch nachdem Tiziana gegangen war, wurde es für Marija nicht besser. Sie hatte mehrere Aufträge gleichzeitig abzuarbeiten und wurde von der Human Ressources Managerin bedroht und beschimpft. „Wer sich beschwert hat, wurde zum Ziel“, sagt Marija. Einheimische Vorgesetzte seien schlimmer gewesen als die ausländischen.

Jemand hat Klebstoff am Boden ausgeschüttet. Meine Vorgesetzte sagte mir: Deine Kollegin muss was erledigen, also musst du das wegwischen. Der Boden muss glänzen. Als ich fertig war und zurück an meinem Arbeitsplatz, sagte sie mir: Es ist ausgeschlossen, dass du dein Arbeitssoll erfüllst. Die Stunde, die ich auf meinen Knien den Boden geschrubbt hatte, zählte nicht. – Marija

Ihre Beschäftigung bei Geox brachte Marija an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Auf Rat ihrer Ärztin suchte sie einen Psychologen auf und wandte sich an eine Organisation, die sich mit der Beobachtung und Prävention von Mobbing beschäftigt.

Ich war psychischen Qualen ausgesetzt. Mein Blutdruck stieg auf 190/100. Jetzt bin ich regelmäßig bei einem Psychologen, damit sich das normalisiert. Es war nicht mehr auszuhalten. Ich habe geschwiegen, aber ich konnte nicht mehr. Ich habe den Druck nicht mehr ausgehalten. Meine Gesundheit hat während des Jahrs bei Geox mehr gelitten als in meinem gesamten Leben davor. – Marija

Geox hat noch nicht auf die Anfragen der Anti-Mobbing-Organisation reagiert. Marija arbeitet immer noch bei Geox und ist besorgt, wie sich ihre Situation entwickeln könnte.

Jelena, eine Fachfrau für Lederbearbeitung, fing Mitte September 2015 bei Geox an – „über Verbindungen“ wie sie sagt. Während ihrer Zeit bei Geox wurde die Verbindung gekappt, wie sie sagt. Jelena beteiligte sich nicht an einer Sammlungsaktion, um Schmuck für die Vorarbeiterin zu kaufen, die sie eingestellt hatte.

Dann begann das tägliche Mobbing. Beschimpfungen und Misshandlungen führten dazu, dass sie nach nur zwei Monaten in Krankenstand ging und einen Psychiater aufsuchte.

Weil ich mich nicht beim Schmuckkauf beteiligt habe, wurde ich jeden Tag beschimpft. Ich kann das nicht mal wiedergeben. Als ich mich beschwerte, haben sie mich ins Lager geschickt. Dort sollte ich bei extremer Kälte arbeiten. Sie haben mir nicht mal Handschuhe oder eine warme Jacke gegeben – weil laut den Regeln hat man einen dünnen Mantel getragen. Ich habe mich in die Psychiatrie begeben, ich nehme Medikamente, ich habe Albträume, ich bin traumatisiert und habe Angst, was mich an einem neuen Arbeitsplatz erwartet. Das kannst du nicht vergessen, das bleibt in deinem Gedächtnis eingeschrieben.

Jelena, mit zitternder Stimme.

Das ist kein Einzelfall. Es gibt viele Geschichten wie diese. Die Leute leiden unter der Armut, also arbeiten sie dort. Jede Frau nimmt Beruhigungsmittel. Jede Frau weint, wenn sie von der Arbeit heimkommt. – Jelena

Faber fabro lupus est?

Solidarität unter Arbeitern schadet transnationalen Konzernen mehr, als sie ihnen nützt. Also reduzieren sie Arbeiter zu atomisierten Individuen. Am Arbeitsplatz sind sie keine Kollegen sondern Konkurrenten. Wenn man die Arbeitsbedingungen unerträglich findet, steht es einem frei, zu kündigen. Es gibt andere, die bereit sind, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Irgendjemand ist immer hungriger oder billiger als man selbst.

 

Du gehst zur Arbeit wie zu deiner Exekution. Niemand lacht. Alle sind fertig. Es gibt keinen Spaß, keine Kommunikation, nicht mal mit denen, die am Fließband neben dir stehen. Dauerstress. Die Leute schauen aus wie Zombies. – Stefan

Was die Leute in den Fertigungshallen hält, ist einzig die schreckliche Gewissheit, dass sie überwacht werden. Sie müssen arbeiten, sonst werden sie gekündigt. Täglich können sie sehen, wie Leute gehen und neue kommen. Wie auf einem Fließband.

Und dann gibt’s das Fließband, das die Waren transportiert. Bis die Norm erfüllt ist, darf man nicht nachhause gehen.

Die Arbeiter brechen nicht so sehr wegen Überarbeitung zusammen sondern wegen des Stress. Über dir ticken die Uhren, der Druck ist enorm. Es gibt die und die Norm zu erfüllen. Wenn du sie erfüllt hast, heißt es: „Ah, du kannst es doch. Du willst nur nicht.“ Also wird die Norm erhöht, die Uhren ticken weiter. Es gibt dauernde Beschwerden, dauernden Druck, die Leute sind extrem nervös und so entstehen Streitereien zwischen den Arbeitern selbst. – Marija

Die tatsächlichen Löhne bei Geox liegen laut den Recherchen von Mašina zwischen 200 und 300 Euro. Die Zahlen sind schwer zu überprüfen. Es ist den Beschäftigten verboten, sich über ihre Gehälter auszutauschen.

Wie uns die weiblichen Beschäftigten sagen, bekommen Arbeiter oft unterschiedliche Löhne für die gleiche Arbeit. Die Geschäftsführung rechtfertigt das mit formalen Notwendigkeiten.

Als ich im März 200 Euro verdient habe, haben alle anderen 250 bekommen. Ich habe mich darüber beschwert und gefragt, wo das Problem ist. Meine Vorgesetzte hat in ihrem Computer geschaut und mir mitgeteilt, dass ich mich an keinem der Samstage eingestempelt hatte. Ich sagte, das sei unmöglich. Daraufhin hat sie mir gesagt, ich solle eine Bestätigung vom Vorarbeiter bringen, dass ich an den Samstagen gearbeitet habe. Als ich mit der Bestätigung kam, meinte sie: „Was soll dieser Brief?“ Ich hab ihr gesagt, darum habe sie doch gebeten. Sie hat nur gemeint: Sie ist der Chef und bestimmt, wer wie viel verdient. – Jelena

Bei Geox gilt strenge Disziplin in der Fabrik. Sie wird mit strenger Messbarkeit effizient durchgesetzt. Wie eine Arbeiterin schildert, gibt es Noten für die Qualität der Arbeit, Pünktlichkeit und Verhalten.

Es gibt bei Geox nur eine Pause bei einer Schichte von mindestens acht Stunden. Die Arbeiter treten diese Pausen schichtweise an, um maximale Produktivität sicherzustellen – und um zu vermeiden, dass sie miteinander kommunizieren. Außerhalb dieser Pausen darf man nur auf die Toilette, wenn es ein Vorgesetzter erlaubt. Oder, wie Stefan sagt, wenn man „den Trick“ drauf hat.

Wenn du auf’s Klo willst, musst du so schnell sein wie Usain Bolt und das Fließband überholen. In der Firma nennen wir das „den Trick drauf haben“. Man arbeitet so schnell, dass man nicht aus dem Takt gerät, wenn man aufs Klo rennt. Das war praktisch unmöglich, als ich dort gearbeitet habe. Wenn man’s nicht schafft, und du hast niemanden, der für dich einspringt, kannst du nicht gehen. Wenn dir das Fließband davonrennt, gibt’s Chaos und die Vorgesetzten schreien dich an. – Stefan

Damit es keine Missverständnisse gibt, gibt es schriftliche Anweisungen durch die Werksleitung von Geox.

Zwischen zwei Gruppen, die auf Pause gehen, soll es einen Abstand von fünf Minuten geben. Jeder Beschäftigte, der länger als eine halbe Stunde in der Kantine bleibt, wird bestraft.

Jeder, der während der Arbeitszeiten außerhalb des Arbeitsplatzes angetroffen wird oder der vor Arbeitsende in der Nähe der Stempelmaschine ist, verliert die Bezahlung für eine Stunde Arbeitszeit.

Platz und (Frei-)Zeit zu reduzieren, Gespräche zu verbieten und die Beschäftigten mit Nummern statt mit Namen anzusprechen, sind klassische Instrumente der Entmenschlichung von Arbeitern. Man schläft besser, wenn man Nummern misshandelt statt Menschen aus Fleisch und Blut.

Sie kennen weder die Vor- noch die Nachnamen der Arbeiter. Also ziehen sie sie am Mantel. Ich habe gesehen, wie sie Kinder mit Schuhformen geschlagen haben, die für ein Praktikum in die Fabrik gekommen sind. Das war eine furchtbare Misshandlung. Du darfst nicht aufs Klo, du darfst nicht aufschauen, du darfst nicht reden. Nur eine Peitsche hatten sie nicht. – Jelena

Die Redaktion von Mašina hat dem Bürgermeister von Vranje Fragen zur Situation bei Geox geschickt. Uns wurden Antworten versprochen. Bis zum Druck des Texts sind keine Antworten bei uns eingetroffen.

Geox als Musterbeispiel

Man kann die Praktiken des italienischen Schuhherstellers Geox in Vranje als Musterbeispiel für die Vorstellung einer florierenden Wirtschaft in Ländern sehen, die sich im ökonomischen und politischen Wandel befinden. Im Wesentlichen besteht sie daraus, ausländische Investoren an Land zu ziehen. Mit Subventionen, Sonderwirtschaftszonen, wo das Recht oft ausgesetzt wird, und mit der Aussicht auf billige Arbeitskräfte.

In der kapitalistischen (Semi-)Peripherie investieren multinationale Konzerne in der Regel in relativ einfache Produktion, die aus Wiederholung besteht und die Arbeitskraft der Beschäftigten erschöpft. Dabei benützt man leicht transportierbare Maschinen, die leicht von einem Land ins andere gebracht werden können. Typischerweise investiert man auch in Orte, in denen es Erfahrung mit der Art von Produktion gibt, die man dort aufbauen will. So kann man auf billige und gut ausgebildete Arbeitskräfte zurückgreifen.

Geoxs‘ Vorgangsweise ist wie aus dem Lehrbuch des globalen Kapitalismus. Die der serbischen Regierung – als „authorisierter“ Agentur zur Bestechung ausländischer Investoren und zur Vermietung der eigenen Bürger – ebenso.

Und die Arbeiter? Wie hat es der serbische Premierminister Aleksandar Vučić an einem Sonntagnachmittag bei der Eröffnung der Geox-Fabrik vor finster dreinschauenden Arbeitern superzynisch gesagt hat: „Wenn sie durch die Großstädte fremder Länder gehen, werden sie die Erzeugnisse ihrer Hände in den Auslagen sehen.“ Wollen wir hoffen, dass sie auf ihrem Gang, Schatten gleich, gleichzeitig auch die Bourgeoisie erschrecken werden.

Reportage für Mašina: Saša Dragojlo
Mitarbeit: Bojana Tamindžija und Marko Miletić
Titelfoto: Marko Miletić

Im Original erschien der Text Ende 2016. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Mašina und unter der Creative Commons Lizenz CC-BY-SA 3.0 in einer Übersetzung aus dem Englischen von Christoph Baumgarten (Balkan Stories).

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1 Kommentar

  1. DIESE UNGLAUBLICH SCHLECHTE BEHANDLUNG DER MITARBEITER ERSTRECKT SICH OFFENBAR AUCH AUF DIE KUNDEN!
    HABE VOR ZWEI WOCHEN ZWEI PAAR SCHUHE IN EINEM WIENER GEOX-LADEN GEKAUFT, DIE MIR VON DEN MITARBEITERN ALS „EXTREM BEQUEM“ BESCHRIEBEN WURDEN.
    DAS WAREN SIE NACH DEM KAUF UND KURZEM TEST IN MEINER WOHNUNG ABER NICHT!

    ANDERS ALS DIE MEISTEN SCHUHGESCHÄFTE, BEKOMMT MAN BEI RÜCKGABE LEDIGLICH EINEN GUTSCHEIN – AUSSER, MAN WENDET SICH SCHRIFTLICH AN DEN SOG. „CUSTOMER SERVICE“, SCHICKT FOTOS, RECHNUNG UND PERSÖNLICHE KONTAKTDATEN, UND BEANTRAGT EINE RÜCKGABE GEGEN ERSTATTUNG.
    DIES HABE ICH VOR ZWEI WOCHEN GEMACHT!
    HABE – TROTZ DREI ERINNERUNGEN – NACH ZWEI WOCHEN IMMER NOCH KEINE NACHRICHT!

    SO EIN SCHLECHTER KUNDENSERVICE VERÄRGERT!
    ICH WERDE NIE WIEDER DORT SCHUHE KAUFEN, UND MEINE ERFAHRUNGEN ÜBERALL BEI MEINEN FREUNDEN UND BEKANNTEN WEITERVERBREITEN. VIELLEICHT MACHEN ANDERE BESSERE ERFAHRUNGEN.
    MIR GEGENÜBER WAR DIESE FIRMA ABSOLUT NICHT KUNDENFREUNDLICH!
    UND BEQUEM SIND DIESE SCHUHE LEIDER AUCH NICHT MEHR!

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