Global vereint für Klima und Gerechtigkeit – Ein kurzer Rückblick auf den „People’s Climate March“ am 29. April, der in zahlreichen Städten weltweit stattfand, mit anschließendem Gespräch mit der Klimaexpertin Helga Kromp-Kolb. Von Sonja Beier
„Über den Klimawandel wird oft zu abstrakt diskutiert, hauptsächlich über Zahlenwerte, die den meisten nichts sagen. Wir sollten eher darüber reden, dass weltweit fünfzig Prozent der Waldflächen gerodet sind, acht Männer soviel besitzen wie die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung, mehr Tierarten aussterben, als neu entdeckt werden, etwa sieben Millionen Menschen jährlich als Folge schlechter Luft sterben. Wir brauchen ein System für alle mit mehr BürgerInnenbeteiligung“ – Manuel Grebenjak von System Change, not Climate Change bei seiner Rede am Ende des „People’s Climate March“ in Wien.
Rund 2.500 überwiegend junge Menschen trafen sich vergangenen Samstag am frühen Nachmittag am Praterstern um gegen Globalisierung, Umweltzerstörung und Klimawandel ein Zeichen zu setzen. Über den zweiten Bezirk ging es weiter den Ring entlang bis hin zum Parlament. Zu den VeranstalterInnen gehörten die Organisationen System Change, not Climate Change, attac, Greenpeace, One Billion Rising Austria, Neue Linkswende, Plattform 20.000 Frauen und Plattform für eine menschliche Asylpolitik, doch es waren auch viele TeilnehmerInnen aus anderen Organisationen oder ganz unorganisierte vor Ort.
„Klima vor Profite“ war das Motto, welches man auch auf dem Fronttransparent lesen konnte. Die Stimmung gegen das Kapital war an vielen weiteren Transparenten und Schildern sowie dem bekannten Demonstrationsspruch „A Anti Antikapitalista“ nicht zu übersehen und überhören.
Die globalisierungskritische Organisation attac machte mit einer Aktion aus rotgekleideten AktivistInnen auf die rote Linie aufmerksam, die von Politik und Wirtschaft nicht überschritten werden dürfe. Ein zentrales Thema war auch der geplante Bau der dritten Piste am Flughafen Wien-Schwechat und das Verhalten der österreichischen Regierung, die Profitinteressen vor jene der Umwelt stellt.
Die Forderungen von attac ist eine demokratische Energiewende, die in Zusammenarbeit mit Klein- und Mittelunternehmen geschehen soll und eine kleinbäuerliche Agrargesellschaft vorsieht. Das bedeutet zwar einen Kampf gegen (Groß-)Konzerne, das Prinzip der kapitalistischen Produktionsweise wird dadurch aber nicht verändert.
Wien war bei weitem nicht die einzige Großstadt, in der demonstriert wurde. Wie es in der offiziellen Presseaussendung heißt, gingen Menschen in mehr als 370 Städten auf die Straße, unter anderem in Manila, Kyoto, London und Innsbruck. In Washington D.C. waren es beinahe eine viertel Million DemonstrantInnen, die vor allem auch hundert Tage Trump und seine katastrophale Klimapolitik anprangerten.
Interview mit Klimaforscherin Kromp-Kolb
Zu den TeilnehmerInnen der Demonstration in Wien gehörte auch Professor Helga Kromp-Kolb, sie ist österreichische Meteorologin und Klimaforscherin. Sie lehrt an der Universität für Bodenkultur und ist Leiterin des Zentrums für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit. Am „People’s Climate March Wien“ konnten wir ihr persönlich ein paar Fragen stellen.
Der Klimawandel wird von sehr vielen Menschen, besonders auch Politikern, noch immer geleugnet. Wie macht sich der Klimawandel in Österreich bereits bemerkbar und was wird sich in den kommenden Jahrzehnten vermutlich ändern?
Das Offenkundige ist, dass die Messungen zeigen, dass die Temperatur steigt, dass sich die Niederschlagsverhältnisse ändern; das ist es aber noch nicht eindeutig dem Klimawandel zuzuordnen. Aber alle unsere Modelle zeigen, dass sich das spätestens Mitte diesen Jahrhunderts ganz klar herausstellen wird. Wir merken es aber schon an der Natur, die Pflanzen treiben früher aus, wir haben verstärkt Extremereignisse. Es gibt viele viele Zeichen die mit dem Klimawandel zusammenhängen.
Merkt man das auch an der Länge der Jahreszeiten?
Der Frühling ist mehr oder weniger verschwunden, es geht vom Winter direkt in den Sommer. Man braucht oft gar keine Übergangskleidung mehr. Von der Winterjacke zum Sommerkleid.
Welche Energiequellen und Technologien sind Ihrer Meinung nach in der Lage, die fossilen Brennstoffe abzulösen?
In der Lage wären wahrscheinlich mehr, wünschenswert wäre für mich Solarenergie, thermische oder photovoltaische, je nachdem was man braucht, aber auch Windenergie, Biomasse als eine speicherfähige Energiequelle. Das ist eine große Stärke der Biomasse, die die anderen wetterabhängigen Energiequellen nicht haben. Außerdem werden wir die Wasserkraft, die schon da ist, nicht aufgeben.
Was für eine Meinung haben Sie zu nuklearer Energie (Kernenergie), also Kernspaltung und Kernfusion?
Kernfusion ist ein Zukunftstraum, der meines Erachtens nie realisiert wird. Ich glaube dafür sind einfach die Werkstoffe nicht geeignet. Kernspaltung passiert mittlerweile schon in vielen Ländern der Welt. Es ist eine risikoreiche Technologie, sie ist auch nicht in der Lage, die fossilen Brennstoffe zu ersetzen, weil sie auf Uran oder Thorium angewiesen ist. Uran geht auch irgendwann zur Neige, zumindest das leicht erhältliche und leicht umweltverträgliche gewinnbare Thorium ist in der Handhabung wahnsinnig schwierig. Das ist also alles keine nachhaltige Form der Energiequelle.
Kommen wir zu einer politischen Frage: Die Grüne Partei heftet sich auch nach Jahrzehnten das Thema Umweltschutz an die Fahnen. Wie denken Sie über die Politik des „grünen Teils“ der rot-grünen Stadtregierung? Merkt man da Veränderung im Vergleich zu vorher?
Man merkt natürlich Veränderungen, da gibt es zum Beispiel das 365 Euro Ticket, das finde ich ganz großartig. Aber es ist sehr schwer von außen zu sagen, wer welchen Einfluss hat oder hatte, weil man auch die Kräfteverhältnisse nicht abschätzen kann. Also wo gibt es starke Widerstände, wo weniger starke. Deswegen finde ich es auch immer sehr schwer zu beurteilen, ob etwas eine gute Leistung oder keine so gute Leistung ist. Das man sich in Wien mehr wünschen würde in Richtung insbesondere Stadtplanung und Gebäudebau ist gar keine Frage. Die Gebäude, die in Wien errichtet werden sind keinesfalls ein Muster von Nachhaltigkeit.
Sie sagten selbst in einem Vortrag, das gängige Wirtschaftssystem und Umweltschutz sind inkompatibel, da aufgrund von Profitmaximierung mit der Umwelt schonungslos umgegangen wird. Glauben Sie an einen steten Wandel des Kapitalismus oder an einen abrupten Umsturz?
Das ist sehr schwer vorherzusagen. Ich glaube eher, dass es in Schüben geschehen wird. An einen steten Wandel glaube ich nicht, es müssen relativ große Schritte jeweils sein. Ich glaube man muss für dies Schritte kämpfen, das heißt nicht, dass man Waffen verwenden muss. Aber man muss beharrlich, kontinuierlich und auch mit viel Strategie und Verständnis für das System, das zu verändern ist, vorgehen. Ich kann nur hoffen, dass das gelingt und hoffen, dass das gelingt ohne dass vorher das Auseinanderbrechen der Gesellschaft zu tatsächlich disruptiven Vorgängen führt.
Das mit den Bewegungen und Kämpfen für sozialen Fortschritt haben Sie vorhin bei ihrer Rede kurz angesprochen. Es bleibt die Frage wer und mit welchen Kräften ist tatsächlich in der Lage, den Kapitalismus zu stürzen?
Das kann aus meiner Sicht, wenn es eine erfolgreiche Veränderung hinzu etwas Besserem sein soll, nur von unten und auf demokratischen Weg kommen..
Normalerweise fürchten sich Kapitalisten am allermeisten vor streikenden Werktätigen, besonders zum Beispiel in Textilfabriken in Schwellenländern. Denken Sie, dass Arbeitskämpfe auch dazu gehören, den Kapitalismus zu stürzen?
Ich denke, wir müssen das gesamte Sozialsystem umstellen. Das Sozialsystem stammt von Bismarck und war lange Zeit gut geeignet, aber ist inzwischen nicht mehr tragfähig. Die Löhne sind inzwischen so niedrig, dass das was Bismarck vorgesehen hat, also einen Teil des Lohnes beiseite zu legen, um diejenigen zu unterstützen, die keine Arbeit haben oder eben für die eigene Pension vorzusorgen. Kapitalbesteuerung trägt auch dazu bei, das Sozialsystem zu erhalten, aber wir wissen, dass Kapital inzwischen kaum mehr besteuert wird. Wir wissen, dass die Gehälter so niedrig sind, dass man nichts mehr beiseite legen kann. Jedenfalls nicht genug, um das Sozialsystem zu schützen. Es muss also ein völlig neues System her. Das könnte das bedingungslose Grundeinkommen für alle sein, da gibt es sicher andere Möglichkeiten auch. Auf jeden Fall muss sich das System von Grund auf ändern. Damit ändern sich dann auch die Arbeitsverhältnisse, insbesondere auch die Unabhängigkeit der Arbeiterinnen und Arbeiter. Ein Streik in einem Land, in dem es viel mehr Arbeitslose als Arbeiter gibt, ist immer gefährlich für die Beteiligten, weil die Wahrscheinlichkeit, ihren Job zu verlieren immer groß ist. Wir sehen das auch in Ländern wie der Türkei, wo das im akademischen Bereich massiv passiert ist.
Das merkt man auch in Österreich. Beispielsweise, dass der Mateschitz eine Betriebsratsgründung verhindert hat. Zum Schluss aber noch eine Zusatzfrage, die bestimmt für unsere Leserinnen und Leser nützlich ist: Abgesehen von der großen gesellschaftlichen und politischen Verantwortung unserer Umwelt gegenüber, was kann jedeR einzelne von uns tun (oder nicht tun), um dem Klimawandel entgegenzuwirken?
Im Grunde genommen gibt es vier Kategorien, was man tun kann.
Das Erste ist, beim Einkaufen darauf achten, nur das zu kaufen was man wirklich braucht und darauf achten, dass die Produkte langlebig sind und einen geringen ökologischen Fußabdruck haben. Für Lebensmittel also lokal, saisonal, bio. Das geht in diesem Sinne auch für andere Produkte.
Der Zweite Bereich ist das Wohnen, wo es darum geht mit möglichst wenig Wärme auszukommen, ohne dass man deswegen frieren muss. Weiters so primitive Sachen, wie einen Deckel auf den Kochtopf geben wenn man Wasser kocht oder im Winter zuhause einfach wärmeres Gewand anziehen. Im Wohnbereich gehört es natürlich auch dazu, die Gebäude zu isolieren – gegen Kälte als auch Wärme – und erneuerbare Energien zu verwenden.
Der Dritte Bereich ist die Mobilität. Da ist es ganz offenkundig: mehr zu Fuß gehen, mit dem Rad fahren, öffentliche Verkehrsmittel verwenden, weniger Individualverkehr und nicht fliegen. Ich glaube, da ist viel zu tun und es kann jeder für sich entscheiden. Wenn es keinen öffentlichen Verkehr gibt, muss man sich dafür einsetzen, dass er ausgebaut wird.
Der letzte Bereich ist genau das, nämlich dass man darüber spricht, dass man Bewusstseinsbildung schafft, dass man versucht, das System zu verändern und nicht nur das eigene Verhalten. Denn letzten Endes haben wir dann Erfolg, wenn die Systeme so sind, dass das klimafreundliche und nachhaltige Verhalten das einfachere und logische ist und nicht immer etwas überwunden werden muss, damit man nachhaltig leben kann.
Demo-Fotos: System Change