Von Elfie Resch
Langsam schiebt sie den Einkaufswagen zwischen den Regalen des Supermarktes hindurch. Außer einem Paket Milch, einem Sack Erdäpfel und Nudeln liegt nichts im Korb. 2 Euro 67 Cent hat sie mitgerechnet. In ihrer Geldbörse sind 5 Euro und ein paar Cent. Mehr hat sie für die nächsten Tage nicht zur Verfügung. Sieben Euro pro Woche, mehr bleibt nach Bezahlung von Miete, Strom und Gas nicht mehr. Damit muss sie auskommen und das will sie schaffen.
Sie überlegt, dass sie mit einer Dose Paradeismark, einer Zwiebel und etwas Knoblauch eine Sauce zu den Nudeln kochen kann. Die Dose kostet 29 Cent. Dazu braucht sie Käse. Parmesan wäre viel zu teuer. Die Packung Reibkäse kostet 1 Euro 29.
Im Moment hält sie 4 Euro und 46 Cent. Sie kramt ihre Börse aus der Tasche und zählt die Münzen. Es sind 97 Cent. Wenn sie die Erdäpfel gegen Toast austauscht, kann sie mit dem Rest des Käses das Frühstück ein paar Tage aufbessern.
Sie geht zum Gemüseregal und legt die Erdäpfel zurück und nimmt eine Knolle Knoblauch 25 Cent. Sie geht zum Brotregal und holt den Toast. Die Packung Toast kostet 79 Cent. Da hat sie 20 Cent eingespart und die reichen um ein Paket Salz zu kaufen. Das Paradeismark und das Salz findet sie im Regal auf dem Weg zur Kasse. In der Schlange stehend, steigt ihr der Geruch von frischen Erdbeeren aus dem strategisch platzierten Regal in die Nase – 99 Cent, diesen Luxus will sie sich leisten. Sie nimmt den Korb aus dem Regal und stellte ihn umgehend wieder zurück. Nein, ein anderes Mal.
Sie legt ihren Einkauf auf das Band und bezahlt: 4 Euro 55 Cent.
In ihrer Börse bleiben 1 Euro 42 Cent. Die Nudeln reichten für ein paar Mahlzeiten und mit dem Knoblauch, der Paradeissauce und dem Käse wird’s auch nicht so eintönig. Sie muss sich die Portionen nur etwas einteilen, dann kann sie sich die restliche Woche satt essen. Die Briefmarke für eine Bewerbung auch noch drin.
Nächste Woche kauft sie sich eine Packung Kaffee. Die reicht für 3 Wochen. Ohne Kaffee das wär schlimm. Selbst wenn sie irgendeine Kaffeesorte im Angebot kaufte, kostete die Packung mindestens 3 Euro. Das ist fast ihr halbes Wochenbudget. Kaffee musste einfach sein.
In zwei Wochen bekommt sie auch wieder Geld und vielleicht findet sie ja auch in der Zwischenzeit einen Aushilfsjob für ein paar Tage. Damit würde es etwas leichter. Sie musste nur darauf achten, dass sie nicht angemeldet wurde, sonst verlor sie die Aufstockung.
Armsein hieß viel Zeit auf Ämtern zu verbringen. Sie war eine sehr genaue Person. Bestrebt sich umfassend zu Informieren und alle nötigen Unterlagen vorlegen. Doch sie hatte es bisher nicht geschafft. Jede/r Beamte/in verlangte andere Unterlagen. Meist musste sie erneut vorsprechen, etwas nachreichen. Offensichtlich gilt das Prinzip: Die Leute arbeiten nicht, also haben Zeit und damit ihnen nicht langweilig wird beschäftigen wir sie.
Als sie vor drei Jahren ihre Arbeit verlor, glaubte sie fest daran dass sie in kurzer Zeit wieder welche finden würde. Anfangs, mit dem Arbeitslosenbezug und ihren Ersparnissen, kam sie auch gut über die Runden. Doch im Laufe der Monate wurde ihre Zuversicht immer geringer. Als sie feststellte das der Notstandhilfenbezug geringer als der Mindestsicherungsbezug war und die Bedingung für die Aufstockung das Auflösen all ihre Reserven war, wurde ihr Angst und Bang. Noch war sie zu stolz um sich in die Kategorie der Almosenempfänger einzureihen. Als der Kühlschrank kaputt ging, verkaufte sie ihr Auto. Den Kühlschrank brauchte sie unbedingt. Viel blieb vom Verkauf nicht über, das Auto war uralt. Sie wusste, sie würde sich nie wieder ein Auto leisten können.
Die meisten Wege erledigt sie jetzt zu Fuß. Ein Rad hätte sie gerne, damit könnte sie kleine Ausflüge machen oder zum Schwimmen auf die Donauinsel fahren. Doch derzeit ist die Anschaffung eines Rades nicht leistbar.
Vor fünf Monaten schließlich musste sie um Aufstockung ansuchen, sonst hätte sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Dreitausend Euro hätte sie haben dürfen oder auch etwas mehr – sie hatte sich den Betrag nicht so genau gemerkt – doch auf ihrem Konto waren grad noch fünfhundert drauf. Einen Kulturpass sollte sie beantragen, der würde ihr ermöglichen manche Museen und Ausstellungen kostenlos zu besuchen. Um im Sozialmarkt einkaufen zu können brauchte sie einen Ausweis. Mit Foto natürlich und bei jedem dieser Märkte waren andere Voraussetzungen zu erfüllen. Da gab es Brot vom Vortag ohne Bezahlung und andere abgelaufenen Sachen auch. Nicht, dass sie zu Hause jedes Lebensmittel nach dem Ablaufdatum weg warf. Sie hatte nur immer ein komisches Gefühl, wenn etwas schon als „schlecht“ verkauft wurde. Und auch dort hinzugehen, vielleicht erkannt zu werden, das machte ihr Angst. Sie wollte so lange es ging vermeiden, dass ihre Nachbarn mitbekamen, dass sie inzwischen arm war. Und Produkte, die wirklich in Geld gingen – wie etwa Waschmittel oder Shampoos -, fand man dort sowieso nicht.
Auch vor ihren Freundinnen versuchte sie es zu verstecken. Sie war schon seit Monaten nicht mehr in einem Kaffeehaus. Im Kino war sie das letzte Mal vor fast einem Jahr. Da hat sie eine Freundin eingeladen. Seither haben sie sich auch nicht mehr gesehen. Sie schämte sich, dass sie sich bei ihren Freundinnen nicht revanchieren konnte. Nicht mit ins Theater gehen zu können oder auf ein Fest. Durch die Grundgebührenbefreiung konnte sie ihre Festnetznummer behalten und den schnellen Anruf für eine Terminvereinbarung machen. Ihren Handyvertrag hat sie schon vor mehr als einem Jahr gekündigt
Dass die AMS-Beraterin sie lobte, dass sie ihr Konto nicht überzogen hatte, fand sie eine Verhöhnung. Hat die Frau keine Ahnung davon, dass Arbeitslose ihr Konto gar nicht überziehen können? Na ja, damit musste sie jetzt leben. Manchmal wurde sie zweimal pro Woche aufs Amt bestellt. Ausgefragt wo sie sich den beworben hätte und diese Bewerbungsbriefe musste sie auch noch vorlegen. Anfangs hatte sie die Briefe noch ausgedruckt, jetzt brachte sie nur mehr den Speicherstick zum Termin mit. Beim ersten Mal hatte die Beraterin genörgelt, dass sie nicht kontrollieren könne ob die Bewerbungen auch wirklich abgeschickt waren. Als ob sie das von den Ausdrucken ablesen könnte. Sie hatte sich durchgesetzt. Übermorgen war der nächste Termin am Arbeitsamt. Ihr graute. Seit Wochen hatte sie keinerlei Vermittlungsvorschläge bekommen. Sie hatte sich auf vier Inserate aus der Zeitung beworben. Die Beraterin würde sie in den angedrohten Bewerbungskurs einweisen. Zwei davon hatte sie bereits – ohne Erfolg – absolviert.
Sie packt den Einkauf in ihren Rucksack und bringt den Wagen zurück. Da hat sie ja noch 50 Cent als Pfand stecken. Die Münze fällt auf den Boden. Sie sucht danach, zwischen den Wägen. Dazu muss sie sich hinknien. Neben den 50 Cent liegt ein Chip. Sie hebt ihn auf und probiert seine Funktion. Er passt. Heute war ein Glückstag. Sie bräuchte sich nie wieder vor einer Kassiererin genieren, weil sie nicht genügend Geld hat und den fehlenden Betrag mit der im Einkaufswagen befindlichen Münze zahlen muss.
Die 50 Cent noch immer in der Hand geht sie aus dem Geschäft. Die Freude über den Fund liegt auf ihrem Gesicht. An der Ecke steht die Augustin-Verkäuferin, der sie schon lange keine Zeitung mehr abkaufen konnte. Sie drückt ihr das Geldstück mit dem Kommentar: „Das hab ich grad gefunden“, in die Hand.
Dieser Beitrag ist bereits in Driesch – Zeitschrift für Literatur „Hunger“ Nr.11/2012 und in „Ausverkauf“ Linkes Wort am Volksstimmefest, Globus Verlag Wien 2013 erschienen.
Foto: Euro-Münzen in der Hand (Santeri Viinamäki; Lizenz: CC BY-SA 4.0); Titelbild: Einkaufswagen (pixabay.com; public domain)
„Dreitausend Euro hätte sie haben dürfen oder auch etwas mehr…“ Hier wird in Österreich immer das Fünffache des Sozialhilfe-Richtsatzes für Alleinstehende berechnet. Die Bürokraten freut dieses Guthaben, denn sie ersparen sich damit die Bezahlung eines Armenbegräbnisses…