„Völlig verkürztes Verständnis von nachhaltiger Entwicklung“

Offener Brief österreichischer Universitätsprofessoren betreffend Klima- und Umweltschutz

Über 50 Professorinnen und Professoren u.a. der Universitäten Wien, Graz, Klagenfurt, Linz und Innsbruck, der Wirtschaftsuniversität Wien, Universität für Bodenkultur Wien und vom Institut für Höhere Studien, unterzeichneten am Sonntag einen Appell an die österreichische Politik und kritisieren darin die Bundesregierung unter Christian Kern, die in der Verfassung verankerten Klima- und Umweltschutzziele zu Gunsten von „Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ verwässern zu wollen.

Hier der offene Brief im Wortlaut:

Wien, 21.5.2017
 
Betreff: Beantragte Änderung des Bundesverfassungsgesetzes für Nachhaltigkeit,Tierschutz, umfassender Umweltschutz, Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und Forschung
 
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin,
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
Sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister,
Sehr geehrter Herr Umweltminister,
Sehr geehrter Herr Sozialminister,
Sehr geehrte Clubobleute,
 
Mit Sorge verfolgen wir das Einbringen des Antrags auf Änderung der Staatsziele in der Bundesverfassung hinsichtlich der geplanten Erweiterung des Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und

Lebensmittelversorgung und die Forschung (BGBl. I Nr. 111/2013) um einen Paragraphen zu Wachstum, Beschäftigung und einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort. Insbesondere beanstanden wir an diesem Antrag zweierlei: Die Außenwirkung, welche als Anlassgesetzgebung interpretiert werden kann, sowie das in diesem Antrag zum Ausdruck kommende völlig verkürzte Verständnis von nachhaltiger Entwicklung, welches gegen Wettbewerbsfähigkeit ausgespielt wird.

Der Antrag wurde medial als Reaktion auf den Gerichtsentscheid gegen die dritte Piste des Flughafens Wien dargestellt. Dadurch entsteht der Eindruck, dass aktiver Klimaschutz, sobald er nicht mehr bloße Rhetorik ist, sondern zu handfesten und auch kontroversiellen Entscheidungen führt, in Frage gestellt wird. Ein Verwässern des Klimaschutzes durch die Aufwertung eng und kurzfristig definierter wirtschaftlicher Interessen gefährdet eine innovative und zukunftsorientierte Neupositionierung Österreichs auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen und in einer Zeit steigender Ungleichheit, und konterkariert gleichzeitig auch die von der Bundesregierung selbst geplante Klima- und Energiestrategie.
 
Rechtzeitiges Handeln ermöglicht, Vorteile in Form der österreichischen Marktführerschaft in Zukunftsindustrien zu sichern und teure Klimaanpassungsmaßnahmen zu verhindern. Seit 25 Jahren herrscht Einigkeit unter Klimawissenschaftler_innen über die dringende Notwendigkeit des Klimaschutzes. Das Pariser Klimaabkommen hat diese Erkenntnisse mit Beteiligung Österreichs aufgenommen und mit der Zielsetzung, die Klimaerwärmung auf 1.5°/ 2° C zu beschränken, einen wichtigen Schritt gesetzt, um dem globalen Klimawandel entgegenzutreten. Österreich hat sich mit der Ratifikation des Pariser Vertrags dazu bekannt zur Erreichung des Klimaschutzziels beizutragen.
 
In Zusammenarbeit mit Ökonom_innen wurden in den letzten Jahren wirtschaftlich attraktive Wege für den Umbau der österreichischen Volkswirtschaft innerhalb knapper Klimabudgets aufgezeigt (wie auch z.B. in dem österreichischen Sachstandsbericht Klimawandel 2014 aufgeführt) , aber die Bedingungen dafür bislang von der Politik nur unzureichend geschaffen (z.B. fehlende öko-soziale Steuerreform für Klimaschutz und Beschäftigung).
 
Dennoch verändern sich Wirtschaftsstrukturen und Schlüsselsektoren weltweit. So titelte ein Artikel in der Financial Times am 18. Mai 2017, “The Big Green Bang: how renewable energy became unstoppable“. Darin werden Wirtschaftskapitäne mit Aussagen wie „die Transition zu einer kohlenstoffarmen Ökonomie ist nicht mehr aufzuhalten” zitiert. Nachfrageänderungen und veränderte Erwartungen drohen rückwärtsgerichtete Wirtschaftspolitik zu bestrafen. Es ist dringend erforderlich, die Bedingungen zu schaffen, die es wirtschaftlichen Akteuren in Österreich ermöglichen, Vorreiter und Nutznießer technologischer und sozialer Innovationen zu sein, gute und sinnstiftende Arbeit zu schaffen, Ungleichheit zu verringern und die Wohlfahrt der Menschen auf diese Weise zu steigern.
 
Im Kontrast zu den auch von Österreich unterschriebenen und verpflichtenden Sustainable Development Goals der UN droht die im Antrag auf eine Änderung des BVG Umweltschutz zu eng gefasste Festlegung auf Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und BIP-Wachstum eine sozial-ökologische Transformation unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems bedeutend zu erschweren, wenn nicht sogar zu verunmöglichen, da wirksame Anreize für innovative, kohlenstoffarme und zukunftsfähige Entwicklungspfade für Österreich fehlen würden.
 
Basierend auf diesen Argumenten sowie den genannten internationalen Vereinbarungen und völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs sind wir der Auffassung, dass die beantragte Änderung des BVG Umweltschutz dringend überdacht und ein Antrag in dieser Form die vielfältigen Bemühungen auch der Bundesregierung und des österreichischen Parlamentes konterkarieren würden.
 
Mit freundlichen Grüßen
  • Univ.-Prof. Dr. Sigrid Stagl (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Verena Madner (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Assoz. Prof. Dr. Daniel Ennöckl (Universität Wien)
  • a.o. Univ.-Prof. Dr. Andreas Novy (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Dr. Reinhard Mechler (IIASA und Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Michael Getzner (Technische Universität Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Ulrich Brand (Universität Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Helga Kromp-Kolb (Universität für Bodenkultur)
  • a.o. Univ.-Prof. Dr. Karin Heitzmann (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Eva Schulev-Steindl (Karl-Franzens-Universität Graz)
  • Univ.-Prof. Dr. Verena Winiwarter (Universität Klagenfurt)
  • Univ.-Prof. Dr. Kerstin Neumann (Universität Innsbruck)
  • Univ.-Prof. Dr. Georg Kaser (Universität Innsbruck)
  • Dr. Renate Christ (Director of the IPCC Secretariat, bis Mai 2015)
  • Univ.-Prof. Dr. Günter Stahl (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Alexia Fürnkranz-Prskawetz (Technische Universität Wien)
  • Assoc. Prof. Dr. Herbert Formayer (Universität für Bodenkultur)
  • Assoz.-Prof. Mag. Dr. Martin Schmid (Universität Klagenfurt)
  • Univ.-Doz. Dr. Wilfried Winiwarter (IIASA)
  • Univ.- Prof. Dr. Rupert J. Baumgartner (Karl-Franzens-Universität Graz)
  • a.o. Univ.-Prof. Dr. Karl W. Steininger (Karl-Franzens-Universität Graz)
  • Univ.-Prof. Dr. Giuseppe Delmestri (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • PD Dr. Michael Jonas (Institut für Höhere Studien)
  • Univ.-Prof. Dr. Heribert Insam (Universität Innsbruck)
  • a.o. Univ.-Prof. Dr. Barbara Hinterstoisser (Universität für Bodenkultur)
  • a.o. Univ.-Prof. Dr. Johanna Hofbauer (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Assoc. Prof. Dr. Armon Rezai (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Claus Lamm (Universität Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Lutz (IIASA, Akademie der Wissenschaften und Wirtschaftsuniversität)
  • a.o. Univ.-Prof. Dr. Wilfried Altzinger (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Dr. Keywan Riahi (IIASA)
  • Univ.-Prof. Dr. Erika Wagner (Johannes Kepler Universität Linz)
  • Univ.-Prof. Dr. Gottfried Kirchengast (Karl-Franzens-Universität Graz)
  • Univ.-Prof. Dr. Michael Müller-Camen (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Vis.-Prof. Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Kerschner (Johannes Kepler Universität Linz)
  • Priv.Doz. Dr. Ena Smidt (Universität für Bodenkultur)
  • Univ.-Prof. Dr. Ingolfur Blühdorn (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Sarah Spiekermann-Hoff (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Univ.-Doz. Dr. Beate Littig (Institut für Höhere Studien)
  • Univ.-Prof. Dr. Tobias Pröll (Universität für Bodenkultur)
  • Dr. Thomas Schinko (IIASA)
  • Univ.-Prof. Dr. Christoph Görg (Universität Klagenfurt)
  • Univ.-Prof. Dr. Marina Fischer-Kowalski (Universität Klagenfurt)
  • Univ.-Prof. Dr. Regine Bendl (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Helmut Haberl (Universität Klagenfurt)
  • Univ.-Doz. Dr. Michael Nentwich (Österreichische Akademie der Wissenschaften)
  • Univ.-Prof. Dr. Markus Lampe (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • a.o.Univ.-Prof. i.R. Dr. Brigitte Klug (Universität für Bodenkultur)
  • Univ.-Prof. Dr. Jürgen Essletzbichler (Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Assoz. Prof. Dr. Nina Eisenmenger (Universität Klagenfurt)
  • a.o.Univ.-Prof.Dr. Günter Emberger (Technische Universität Wien)

Titelbild: pixabay.com (public domain)

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1 Kommentar

  1. Robert Manoutschehri

    Auch alle relevanten Umweltorganisationen halten die Verfassungsänderung für höchst bedenklich: Hier der offene Brief von Ökobüro, Global 2000, Greenpeace, Forum Wissenschaft und Umwelt, Klimabündnis Österreich, Naturschutzbund, VCÖ und WWF: http://www.oekobuero.at/images/doku/brief_verfassungsausschuss_final.pdf

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