Wer an die finanzielle und/oder technische Durchführbarkeit einer Absicherung von rund 18.000 Kilometern europäischer Küstenlinie durch Schiffe oder Zäune glaubt, kommt demnächst wohl mit dem Vorschlag für den Bau einer Brücke zum Mond.
von Robert Manoutschehri
„Wissen und Bildung macht uns stärker“, sagen Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai und die 19-jährige Muzoon Almellehan, ein syrisches Flüchtlingsmädchen, das die gefährliche Mittelmeerroute selbst bereiste und am Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen zur UNICEF-Botschafterin ernannt wurde.
Wie richtig und wichtig Bildung auch hierzulande ist, zeigt sich beim populistischen Märchen über die Schließung des Mittelmeers: Das solle man dichtmachen, um Europa vor einem drohenden Flüchtlingsstrom zu schützen. Die Forderung ist absurd und in der Sache obszön.
Obwohl die sogenannte Flüchtlingswelle aus dem Nahen Osten seit ihrem Höhepunkt 2015 beständig rückläufig ist, sehen sich konservative (besser gesagt vorgestrige) und rechtsautoritäre Politiker noch immer oder schon wieder von weiterer Migration bedroht und überbieten sich nicht nur mit völlig falschen, sondern geradezu geistesgestörten Aussagen zu ihren „Lösungsvorschläge“.
Aktuell trommelt Österreichs Außenminister Sebastian Kurz besonders laut für die Unterbrechung der zentralen Mittelmeerroute von Nordafrika in Richtung Europa.
Das ist irreal. Dafür wäre eine Kooperation mit Libyen, dem wichtigsten Transitland für Migranten und Flüchtlinge, notwendig. Doch Libyen ist ein unsicherer Kantonist im dreckigen Spiel mit der Flucht. Viel zu weit ist das Land von innerer Stabilität entfernt. Nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi 2011, den die EU lange als Stabilitätsgaranten in der Region anerkannte, versank Libyen in einem jahrelangen Bürgerkrieg.
Dessen Folgen sind nicht überwunden. Das Land ist in zwei Machtblöcke gespalten, die erst im Dezember 2015 einen Friedensvertrag vereinbarten und sich auf die Durchführung gesamtlibyscher Parlamentswahlen im Jahr 2018 verständigten.
In das Machtvakuum drängte zudem die selbst ernannte Gegenregierung von Chalifa Mohamed al-Ghweil samt seiner Milizen und die Terrororganisationen Islamischer Staat und Al-Qaida. Erst im April unterzeichneten in Rom Stämme aus Südlibyen überhaupt einen Friedensvertrag.
Aber auch ohne diese instabilen Verhältnisse ist die Annahme gelinde gesagt weltfremd, man könne eine Wasserfläche von über 2,5 Millionen km² lückenlos überwachen und kontrollieren, also eine Fläche, die fast 32-mal so groß ist wie Österreich bzw. 7-mal so groß wie Deutschland.
Wer an die finanzielle und/oder technische Durchführbarkeit einer Absicherung von rund 18.000 Kilometern europäischer Küstenlinie durch Schiffe oder Zäune glaubt, kommt demnächst wohl mit dem Vorschlag für den Bau einer Brücke zum Mond.
Dabei würde der für die Schließung der Mittelmeerroute nötige finanzielle Aufwand vermutlich bereits ausreichen, um die Armut in Europa und Afrika so nachhaltig zu bekämpfen, dass niemand mehr flüchten muss – und schon gar nicht über das Mittelmeer.
Das einstige Paradies für alle Tiere und Menschen der mediterranen Hochkulturen, das innerhalb kurzer Zeit zum Massengrab der gescheiterten Politik der Weltgemeinschaft wurde, trennt nun Kontinente wie Kulturen voneinander – die sich selbst als zivilisiert ansehende Welt von den Entwicklungsländern. Und viele, die diese Kluft überbrücken wollten, starben dabei.
Seit der Jahrtausendwende haben weit über 30.000 Menschen ihr Leben verloren – die Außengrenze unseres Kontinents ist die tödlichste der Welt geworden.
Das Mittelmeer schließen? Da kann man auch fordern, dass die Sonne morgen im Norden aufgehen soll … Was hilft wirklich? Was bringt die Notwendigkeit und den Wunsch zur Migration tatsächlich zum Erliegen? Was schützt Europa?
Dazu gibt es schon recht alte und gut funktionierende Lösungen, sofern die Weltgemeinschaft auch als Gemeinschaft agiert: Sie nennen sich Not- und Entwicklungshilfe. Sie sichern Lebensmittelversorgung, Bildung und Gesundheitsvorsorge und senken die Armut. Damit ist viel gewonnen, denn wo es keinen Fluchtgrund gibt, da gibt es keine Flüchtenden.
Diese Formel ist nur bei sehr oberflächlicher Betrachtung die humanitäre Denke von sozialen Schöngeistern. Es ist die einzig funktionierende Selbstschutzmaßnahme zum Erhalt aller Zivilisationen, die erkennen müssen, dass die Kette der Menschheit nur so stark ist, wie ihr schwächstes Glied.
Mein altes Credo dazu: DeFence the world. Entzäunt euch. Die wahren Mauern sind im Kopf.
Robert Manoutschehri ist Fotograf, Journalist, Texter und Grafikdesigner aus Österreicher. Er lebt in Wien und engagiert sich ehrenamtlich für zahlreiche Bürgerinitiativen und NGO’s.
Der Beitrag erschien zuerst auf Neue Debatte, Kooperationspartner von Unsere Zeitung.
Titelbild: www.sea-watch.org