Von Stefan Kastél
Seit 28 Jahren lebe ich in dieser wunderschönen Stadt. Geboren in der Semmelweis-Frauenklinik, so gut wie jede andere Wienerin oder jeder andere Wiener in meiner Generation. Aufgewachsen in Simmering, gleich gegenüber vom Zentralfriedhof. Das Morbide wurde mir also schon in die Wiege gelegt.
Sachertorte und Kaffee, kamen gleich nach der Muttermilch.
Ich kenne diese Stadt wie meine eigenen vier Wände und nach bald drei Jahrzehnten, auch deren Einwohner.
Die Wiener Seele ist eine Mischung aus Grant, Neid und gespielter Höflichkeit. Wir sind nur freundlich, wenn es unbedingt sein muss. Vor allem Touristen helfen wir sehr gerne, weil sie die ganze Pracht und Herrlichkeit unserer Stadt kennenlernen möchten. Obdachlose hingegen werden mit Nichtachtung bestraft, da wir die Schattenseiten unserer Metropole so gut es geht verdrängen. Trotzdem haben wir uns eh alle lieb.
Wir haben grundsätzlich immer eine Meinung, egal zu welchem Thema. Wir lehnen uns nicht zurück, denken in Ruhe über einen bestimmten Sachverhalt nach, sondern überstrahlen jeden Stammtisch mit den eigens gezüchteten Lebensweisheiten, ergänzt durch die neuesten Neuigkeiten aus Qualitätsmedien wie Krone, Heute und Österreich. Bestätigung bekommen wir durch höchst reflektierte und kritische Antworten unseres Gegenübers. „Des seh i a so“ oder „Völlig richtig“, gehören zu den beliebtesten Rückmeldungen innerhalb einer Diskussion.
Wir lieben es einfach zu kommunizieren. Dabei ist es vollkommen egal, ob man überhaupt weiß worum es geht. Ein „Ich weiß es nicht“ oder „keine Ahnung“, wird einem Wiener nie über die Lippen kommen.
Wir können alles, wissen alles und sind sowieso der Mittelpunkt des Universums.
Jedes Wochenende saufen wir uns diese Stadt schiach (hässlich) und verdrängen dabei wie gut es uns eigentlich geht. Zwischen „Ich bekomm noch ein Krügerl“ und „Das war schon immer so“, verfallen wir in Depression und schlurfen irgendwann traurig Richtung heimwärts. Doch am nächsten Tag ist alles besser. Wir sind fröhlich, lachen, singen, tanzen und dann wachen wir auf.
Geteilt wird diese Stadt von einem der längsten Flüsse Europas, der Donau. Und ebenso gespalten ist die Gesellschaft. Jene Leute, die in den östlichen Gefilden über der Donau wohnen, sind grundsätzlich merkwürdig. Das muss ich sagen, weil ich dort noch nie gewohnt habe und dieses Wissen „der Anderen“, über Generationen weitergegeben wird. Ich bezeichne es gerne als Schattenland. Also jenes Land, das nicht von der Sonne bedeckt ist.
Im Übrigen ist das nicht ganz unrichtig. Sobald eine Gewitterfront aufzieht, spaltet die Donau auch das Wetter.
Das Zentrum von Wien ist der 1. Bezirk, mit dem Stephansdom als Hauptwahrzeichen. Hier fühlt man sich wie ein kleiner Mozart und verspürt den ungewöhnlichen Drang eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Zumindest bis man wieder in der U-Bahn sitzt.
Wir glauben übrigens fest daran, dass jedes öffentliche Verkehrsmittel uns gehört und aussteigende Personen der Feind sind. Nichts geht über einen Fensterplatz in Bim (Straßenbahn), Bus oder U-Bahn.
Die Arbeit ist unser Lieblingsort. Als Faustregel gilt: Arbeite klug, nicht hart. Wien ist ein Ort der Effektivität und des Pragmatismus. Hier werden sicherheitshalber vier Leute eingestellt, um die Arbeit eines Einzelnen zu verrichten. Nur um ganz sicher zu gehen, dass nach einem Fehler keiner Schuld ist. Überhaupt lieben wir es die Schwächen bei anderen zu suchen. Es würde dem Wiener nicht im Traum einfallen, sein Wesen zu hinterfragen. Das käme einer Abdankung als Kaiser gleich.
Wien bedeutet immer „Hassliebe“. Man kann uns also mögen oder nicht. Wien bleibt Wien.
Titelbild: Café Central, Wien (Andreas Praefcke; Lizenz: CC BY 3.0)