Wer nicht hören kann, muss fühlen.Von Oliver Suchanek

Musik ist viel mehr als nur ein schönes Vergnügen und Mittel zur Entspannung. Bei manchen Menschen ist Musik auch eine Art Ventil, das auszudrücken, was sie sonst nicht so gut zeigen können. Sie verbindet viel mehr in unserem alltäglichen Leben, als man es für möglich hält und diese Verbindung hält lange an. Ältere Menschen erinnern sich gerne an die Musik aus ihrer Jugendzeit.

Musik kann einen wieder aufbauen, wenn es einem schlecht geht, genauso kann sie einen manchmal noch weiter runter ziehen; man kann sich in ihr verlieren.

Dann gibt es Menschen, die sich mit der Musik identifizieren wollen, so wie ich.

Seit meiner Geburt bin ich gehörlos, habe mit zwei Jahren meine erste Operation bekommen, wo mir auf der rechten Kopfseite ein Implantat eingesetzt wurde – das Cochlea-Implantat. Rund fünf Jahre später bekam ich auf der linken Kopfseite mein zweites Implantat. Kurz erklärt ist das Cochlea-Implantat eine Hörprothese für Gehörlose und Menschen mit schwerer bis hochgradiger Schallempfindungsschwerhörigkeit, deren Hörnerv noch funktionsfähig ist. Das Ganze besteht aus zwei Teilen: dem Audioprozessor, welches extern hinter dem Ohr (sogar frei vom Ohr) getragen wird, und dem Implantat, welches operativ eingesetzt wird. Wenn ich mein Hörgerät ablege, höre ich absolut nichts. Also wenn das nicht die besten Voraussetzungen sind, um über den Sommer auf zwei Musikfestivals (Nova Rock in Nickelsdorf und FM4-Frequency in St. Pölten) zu gehen! Wer könnte besser als ich um 3 Uhr nachts im Zelt seelenruhig schlafen ohne Ohrstöpseln verwenden zu müssen?

Sehr früh habe ich meine Leidenschaft und Liebe zur Musik entdeckt, lernte diverse Musikinstrumente spielen und es vergeht kein Tag, wo ich mir keine Kopfhörer aufsetze. Für mich ist Musik so ein wichtiger Bestandteil meines Lebens, dass ich endlich meine Lieblingsbands live sehen wollte.

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Gerade die hörenden Menschen, die sich stark mit Musik identifizieren wollen, hegen eine Neugierde, wie gehörlose Menschen Musik wahrnehmen. Wer nicht hören kann, muss fühlen – Töne und Klang wahrzunehmen hängt nicht alleine vom Gehör ab. Es ist ein bereichernder Nebeneffekt, aber um die Musik vollkommen zu erleben, brauche ich sowohl mein Hörgerät als auch meine Gehörlosigkeit. Letzteres ermöglicht es mir, die Musik bewusster über den Körper aufzunehmen. Der Körper, die Augen und das Fühlen ersetzen sozusagen meine Ohren und ich bin in der Lage, die Schwingungen der Musik zu spüren, zu visualisieren und zu fühlen; zum Beispiel, wenn ich mein Hörgerät ausschaltete, wusste ich sofort durch ein Ziehen von den Fingerspitzen zum Ellbogen, dass gerade eine E-Gitarre eingesetzt wurde, oder dass meine Füße beim Schlagzeugspiel vibrieren und beim Bass mein Bauch, und manchmal mein Hals, brummt. Ich wusste von klein auf, dass ich Schall anders wahrnehmen kann, aber die bewusste Kenntnis erhielt ich erst auf meinem ersten Festival. Und lass es mich einmal gesagt haben: Es ist einfach geil!

Das Richtmikrofon in meinem Außenprozessor fokussiert sich auf die Geräusche und Gespräche, die von vorne kommen und schwächt gleichzeitig die Hintergrundgeräusche ab. Sehr praktisch für mich, wenn ich in einem Café draußen mit Rücken zur Straße sitze und mich mit meinem Gesprächspartner mir gegenüber sitzend unterhalten will. Oder bei der Schlange beim Getränke-Stand auf dem Festival-Gelände, wo ich meinen Freunden zuhören konnte, ohne von den lauten Leuten hinter mir zu sehr gestört zu werden. Beim Konzert von Rise Against – dessen Auftritt ein großartiger Abschluss des Festivals war – war davon nichts zu bemerken, weil jeder lautstark mitsang, aber das störte mich hier nicht. Meine Freunde und ich sangen genauso lautstark mit.

Auch wenn auf dem Festival das Wetter recht angenehm – zu heiß am letzten Tag –  und kaum windig war, habe ich zusätzlich einen Windgeräusch-Unterdrücker in meinem Gerät, der dafür, dass das stetige Rauschen des Windes ausgeblendet wird. Durchaus von Vorteil, wenn ich mit meinem Fahrrad wieder auf Fotografie-Tour unterwegs bin und meine Musik klar hören will.

Vielleicht ist es jemanden in Kinos, Theatern oder auch Konzertsälen schon einmal kleine Hinweisschilder, wo ein Ohr/eine Spule abgebildet ist, aufgefallen? Das bedeutet, dass sich dort eine induktive Höranlage befindet und diese kann Signale (Musik, Sprache etc.) zu meinem CI losschicken. Es wird ein elektromagnetisches Feld erzeugt und das CI empfängt dieses. Also, zum Beispiel, in einem Kino kann der Ton direkt auf mein CI übertragen werden und ich werde weniger von den Nebengeräuschen (der weiteren Besuchern) gestört.

Man merkt, es gibt viele positive Vorzüge ein gehörloser CI-Träger zu sein. Der wichtigste Vorteil ist für mich jedoch, Musik endlos und laut genießen zu können und mir keinen Kopf um mein Gehör machen zu müssen, denn ich hab’ ja keines.

Alle Fotos: © Oliver Suchanek

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