Armut: Die größte Bedrohung der Menschheit

Die Armut schleicht durch Europa. Sie klopft immer öfter an die Türen. Auch in Österreich. Nichtregierungsorganisationen forderten den Kampf gegen materielle Not und Überschuldung aufzunehmen. Radikale Kritik am Wirtschaftssystem blieb aus. Ein Bericht von Robert Manoutschehri

Ein gleichberechtigter Zugang zu Bildung, kostenfreie Gesundheitsfürsorge sowie ausreichender und bezahlbarer Wohnraum für alle seien nötig, um Armut zu überwinden. Echte gesellschaftliche Teilhabe und gleiche Chancen auf Erwerbstätigkeit, für alle Bürger zu schaffen, sei eine der vordringlichsten Aufgaben jedes zivilisierten Landes, hieß es seitens der Caritas.

Armut ist ein Skandal

„Immer mehr Menschen leiden unter Armut in Europa. Die wachsende Ungleichheit zerstört das Vertrauen in die Demokratie. Armut ist ein Skandal“, sagte der EU-Abgeordnete und ehemalige Präsident der österreichischen Volkshilfe Josef Weidenholzer (SPÖ) am Internationalen Tag gegen Armut und Ausgrenzung.

„Es ist bedrückend, dass in der EU mehr als 80 Millionen Menschen armutsgefährdet sind. 39 Millionen Menschen sind nur teilzeitbeschäftigt und 18 Millionen leben als sogenannte working poor“. Fast zehn Prozent aller Europäer leben in Verhältnissen, in denen sie sich keine Waschmaschine, kein Auto, Telefon oder Heizmaterial leisten können.

Die Strategie „Europa 2020“ und ihre Ziele zur Armutsverringerung seien lobenswert aber unerreichbar, wenn in den Mitgliedstaaten bei Wachstum und Sozialausgaben gespart wird. „Die Sparpolitik der vergangenen Jahre hat uns nur tiefer in die Krise geführt. Wir brauchen Investitionen in den Sozialstaat und in soziale Dienstleistungen, in höhere Sozialstandards und eine gerechte Besteuerung von Vermögen“, so Weidenholzer.

Absurde Reichtumsverteilung auch in Österreich

Eine Steuerreform zur Armutsbekämpfung fordert die Volkshilfe Österreich. Direktor Erich Fenninger sagte: „Armut ist oft unsichtbar. Denn von Armut betroffen ist nicht nur, wer kein Dach über dem Kopf hat. Es sind jene Menschen, die von einem in Österreich üblichen und angemessenen Lebensstandard ausgeschlossen werden.“

Laut Erhebungen der Arbeiterkammer ballt sich Reichtum in Österreich noch massiver in einer Oberschicht an, als bisher angenommen. So soll das reichste Prozent der Bevölkerung 40,5 Prozent des gesamten Nettovermögens besitzen.

„Diese Entwicklung stellt eine der größten Bedrohungen der Menschheit dar. Immer mehr Menschen können kein gutes Leben mehr leben und werden durch Armut, niedrige Löhne, Mehrfachjobs und unsichere Arbeitsverhältnisse prekarisiert, um andere reich zu machen“, so Fenninger. 1,5 Millionen Menschen in Österreich sind armutsgefährdet. Mehr als 16 Prozent davon sind Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren.

Rund 80 Prozent der Kinder in Haushalten mit hohem Einkommen besuchen die Unterstufe einer allgemeinbildenden höheren Schule. Kinder aus Haushalten mit niedrigem Einkommen tun dies nur zu 19 Prozent. Armut schwächt somit laut Statistik auch den Bildungsgrad kommender Generationen.

Als notwendigen Schritt für mehr Gerechtigkeit fordert die Volkshilfe die Einführung von vermögensbezogenen Steuern: „Während Nettoarbeitseinkommen in Österreich seit den 1980ern kontinuierlich fallen, steigen Einkünfte aus Vermögen. Gleichzeitig ist die Belastung auf Arbeitseinkommen im Verhältnis zu Vermögenseinkommen hoch. Das muss sich ändern.“

So könnte eine steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit über vermögensbezogene Steuern gegenfinanziert, und damit die umverteilende Wirkung des Steuersystems verbessert werden.

Armutskonferenz erinnert an UN-Sozialpakt

Gleichen Zugang zum Recht für alle – egal, ob arm oder reich. Das fordert die Armutskonferenz in einer Pressemitteilung. Sozialstaatliche Maßnahmen wie Arbeitslosengeld und Familienbeihilfe würden einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion von Armut leisten und dürften nicht gekürzt, sondern müssen ausgebaut werden.

Durch die Kürzung im unteren sozialen Netz entstehen äußerst prekäre Fälle: Menschen, die in ständiger Angst leben, ihre Miete nicht mehr bezahlen zu können, bei der Ernährung sparen müssen und mittelfristig ihre Gesundheit damit beeinträchtigen, während sich immer weitere Schulden anhäufen.

Die Armutskonferenz erinnert die politisch Verantwortlichen in Österreich daran, dass das Zusatzprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) noch immer nicht ratifiziert wurde.

Das Protokoll ermöglicht der Bevölkerung, auch auf internationaler Ebene Beschwerden gegen Verletzungen der im Pakt verfassten Rechte einzulegen. 22 EU-Staaten haben bereits unterzeichnet.

Papst fordert Wandel im Lebensstil

Auch das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche mahnte den Kampf gegen die Armut an. Papst Franziskus erinnerte bei einem Besuch der Welternährungsorganisation (FAO) in Rom daran, dass Armut nicht nur im eigenen Land, sondern international bekämpft werden müsse.

Armut gehöre neben dem Klimawandel mit zu den Ursachen der derzeit oftmals unverstandenen Migrationsbewegungen. Ausdrücklich forderte Franziskus einen Wandel im Lebensstil sowie im Ressourcengebrauch und bei Produktion und Konsum. Armut und Flucht ließen sich durch Entwicklung verhindern, unterstrich Franziskus. Prävention verursache weitaus weniger Kosten als die Folgen von Umweltzerstörung und Landraub.

Kaum Kritik am Wirtschaftssystem

Die Armut als Symptom wurde kritisiert, aber die Ursache nicht offen beim Namen genannt. Das kapitalistische Wirtschaftssystem, das bedingt durch eine krasse Ungleichverteilung von Gütern, Besitz und Kapital, und befeuert durch den Zwang zur beständigen Abschöpfung der arbeitenden und besitzlosen Schichten, auf der ganzen Welt Armut hervorbingen muss, stand nicht zur Debatte.

Und während die Prekarisierung immer größere Bevölkerungsteile erreicht, was auf politischer Ebene Gegenmaßnahmen hervorrufen sollte, bleibt es dem Papst überlassen, Systemkritik „nach linkem Vorbild“ zu üben.

Dabei wäre die Forderung nach einem radikalen Systemwechsel die einzig noch verbleibende Option, damit die sich alljährlich wiederholende triviale Armutskritik auf ein substanzielles Niveau gehoben wird.


Robert Manoutschehri ist Fotograf, Journalist, Texter und Grafikdesigner aus Österreicher. Er lebt in Wien und engagiert sich ehrenamtlich für zahlreiche Bürgerinitiativen und NGO’s.


Der Beitrag erschien zuerst auf Neue DebatteKooperationspartner von Unsere Zeitung.

Titelbild: Poverty (pixabay.com, public domain)

 

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