Neue Abgasgrenzwerte sollten in Europa den Übergang zum Elektroauto einleiten, aber die EU-Kommission knickte ein. Eine konsequente Dekarbonisierung des Verkehrs ist nicht auszumachen.
Von Robert Manoutschehri
Die Automobilindustrie darf durchatmen. Während bei der 23. Weltklimakonferenz in Bonn über die existenziell wichtigen Weltklimaziele verhandelt wird, hat die EU-Kommission die Hoffnungen auf eine rasche Mobilitätswende und der damit einhergehenden Dekarbonisierung des Verkehrs zerstört. Das sogenannte „Paket für saubere Mobilität“ entpuppt sich als Dreckschleuder.
Statt bisheriger verbindlicher CO2-Grenzwerte, sollen nur noch relative Absenkungen vorgeschrieben werden. Bis 2025 sollen Neuwagen 15 Prozent weniger, und bis 2030 sogar 30 Prozent weniger CO2 ausstoßen – im Vergleich zum Niveau des Jahres 2021. Wie das ausfallen wird, steht in den Sternen.
Zur Basisberechnung wird voraussichtlich ein Ausstoß von 95 Gramm CO2 pro Kilometer bei PKWs und 147 Gramm bei leichten Nutzfahrzeugen herangezogen werden. Was sich nach einem Fortschritt beim Umweltschutz anhört, spielt vor allem der Automobilindustrie in Deutschland in die Hände.
Der Anteil von Elektrofahrzeugen bei Neuanmeldungen soll bis 2030 auf 30 Prozent steigen. Dafür soll ein Anreiz- und Anrechnungssystem geschaffen werden: Halten sich die Hersteller an die stufenweise Steigerung verkaufter Elektromobile, werden sie mit geringeren CO2-Grenzwerten (bis maximal fünf Prozent) für ihre übrige Flotte belohnt.
Autohersteller dürfen mit ihrer gesamten Verbrennerflotte also mehr Kohlendioxid ausstoßen, wenn sie im Gegenzug auch Elektroautos auf den Markt bringen.
Und solange keine neuen Verfahren zur Bestimmung des CO2-Ausstoßes eingeführt sind, wird man sich auf die Testergebnisse verlassen müssen, die aus dem Labor kommen, aber mit dem Realbetrieb kaum etwas zu tun haben. Wie weit Tür und Tor für Manipulationen noch geöffnet, ist unklar. Die VW-Abgasaffäre hat aber gezeigt, was alles möglich ist.
Die positiven Teile des Beschlusses umfassen Investitionen zur Förderung der Elektromobilität in Höhe von 800 Millionen Euro und 200 Millionen für die Batterieforschung und Entwicklung sowie in Infrastruktur unter anderem zum Betanken alternativer Antriebe.
Fraglich ist, ob sich das im Rahmen der Pariser Klimaziele von der EU gesteckte Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2030 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, mit den nun genannten Maßnahmen erreichen lässt.
Umweltschützer bemängeln nicht nur das Fehlen konkreter CO2-Grenzwerte. Das Ziel von 30 Prozent Reduktion des Kohlendioxidausstoßes im Straßenverkehr bis 2030 sei viel zu gering. Selbst das deutsche Umweltbundesamt plädierte für eine viel deutlichere Reduktion. Benzin, Diesel und andere fossile Kraftstoffe sollten bis zum Jahr 2050 komplett durch Strom aus Erneuerbaren Energien ersetzt werden, um die deutschen Klimaschutzziele zu erreichen.
Neue Abgasgrenzwerte sollten in der EU den Übergang zum Elektroauto einleiten, aber in Berlin, wo man sich mit Haut und Haaren den Interessen der Wirtschaft unterworfen hat, wurde offenbar scharf gebremst. SPIEGEL Online berichtete, dass die Bundesregierung die deutsche Autoindustrie schützen will. Eine Light-Version vom „Paket für saubere Mobilität“ käme gelegen.
Der österreichische Standard schrieb von einem Kniefall der Kommission und titelte: „Wie die Autolobby die Klimaziele drückte“.
Ob mit oder ohne Autolobby: Die Interessen der Wirtschaft, dies dürfte mittlerweile unstrittig sein, werden von der Politik auf nationaler und europäischer Eben höher angesiedelt, als der Umweltschutz, selbst dann, wenn Natur und Mensch auf der Strecke bleiben.
Jüngst hatte der Report der „Lancet Commission on Pollution and Health“ aufhorchen lassen. Die Verschmutzung durch Industrie- und Autoabgase und Emissionen, die bei der Verbrennung von Kohle und Holz entstehen, seien hauptsächlich verantwortlich für weltweit rund 9 Millionen frühzeitige Todesfälle.
Robert Manoutschehri ist Fotograf, Journalist, Texter und Grafikdesigner aus Österreicher. Er lebt in Wien und engagiert sich ehrenamtlich für zahlreiche Bürgerinitiativen und NGO’s.
Der Beitrag erschien zuerst auf Neue Debatte, Kooperationspartner von Unsere Zeitung.
Titelbild: Igor Ovsyannykov; Unsplash.com