Hanno Wisiak über das Fressen, die Moral, die neue Regierung und die Linke mit und ohne Anführungszeichen
„FPÖ-Wähler stehen ökonomisch weiter links als die Partei“, titelt der Standard. Nun ist empirisch belegt, was eigentlich als Binsenweisheit gelten sollte. Endlich. Vielen Menschen geht es darum, sich das Wohnen leisten oder sich auf ein gutes Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssystem verlassen zu können und darum, ein Einkommen zum Auskommen zu haben.
Die Sozialdemokratie in fast allen Staaten EUropas wurde in den letzten Jahren bei Wahlen dafür bestraft, dass sie – trotz steigender wirtschaftlicher Produktivität und explodierender Konzerngewinne – ein Programm umgesetzt hat, das die Lebensbedingungen der Menschen massiv und rapide verschlechtert hat. Eine Steilvorlage für all jene, die den von der „Linken“ enttäuschten Wählern und Wählerinnen einreden wollen, die „anderen“ seien schuld. (Als Beispiel am Rande sei betont: Wer die gestiegenen Kosten des Asylwesens denen aufbürdet, die ohnehin schon wirtschaftlich straucheln, und nicht etwa die Gewinne auf Waffenexporte besteuert, gießt Öl ins Feuer.)
Da hilft es dann auch nicht zu „warnen“ und zu glauben, man müsse dem vermeintlich dumpfen und dummen Wahlvolk nur oft genug erklären, dass Rassismus rassistisch und Sexismus sexistisch ist – oder es gar dafür verdammen wollen, dass es das par tout nicht einsehen will.
Das heißt jetzt nicht Rassismus und Sexismus sollten uns wurscht sein. Solang sie aber das Steckenpferd der „Linken“ sind und das einzige, das die Mehrheit der Bevölkerung von der „Linken“ mitbekommt, braucht es nicht zu verwundern, dass sie sich gesellschaftlich marginalisiert. Auch die gesellschaftspolitischen Fortschritte und Öffnungen in der Kreisky-Ära waren nur vor dem Hintergrund des steigenden Lebensstandards breitester Bevölkerungsschichten möglich.
Die einzige Hoffnung bleibt, dass die Linke (ohne Anführungszeichen) zur Vernunft kommt – und zur Einsicht, dass das ökonomische und gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt. Bertolt Brecht hat das in der Dreigroschenoper mit „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ auf den Punkt gebracht.
Der Aufschrei über den 12-Stunden-Tag von jenen, die die FPÖ gewählt haben, verdeutlicht das. Das Pendel wird deswegen jedoch nicht automatisch wieder in die andere Richtung ausschlagen. Schon gar nicht, wenn es nicht gelingt, die ökonomischen Bruchlinien zu nutzen. Ein Aufschrei über einen ultra-rechten als Kommunikationschef des Innenministeriums und dergleichen bringt vielleicht ein paar Likes im Facebook-Freundeskreis, aber keinen politischen Umschwung. Diese Postenbesetzung ist zwar widerwärtig und gefährlich, das Echauffieren darüber macht aber die Wohnung nicht leistbarer. Der Schluss, der – endlich – gezogen werden sollte, ist es, dass Schlussstriche gezogen werden sollten – unter den erhobenen Zeigefinger, die Moralinsäure, die Besserwisserei und die Selbstgerechtigkeit.
Es braucht eine Bewegung, die die soziale Frage in den Mittelpunkt stellt.
Hanno Wisiak ist Bezirksvorsteher-Stellvertreter in Graz-Geidorf und Mitglied des Landessekretariats der KPÖ Steiermark.
Titelbild: Arikel in „Der Standard“ vom 21. Dezember 2017 – Online: FPÖ-Wähler stehen ökonomisch weiter links als die Partei