Ein Coming Out beim Redewettbewerb. – Von Oliver Suchanek
“Ladies and Gentlemen” ist eine recht häufig genutzte Grußformel um ein Publikum anzusprechen – doch wie können 3 Worte alleine so erdrückend für eine ganze Gruppe an Menschen sein?
Hi, ich bin Oliver und ich bin transgender.
– Lasst mich ein paar Gedanken erraten, die euch gerade durch die Köpfe schießen; „Transgender? Warte, heißt das, der ist jetzt ein Mann oder eine Frau? Ahh…nimmt er Hormone? Hat er sich schon operieren lassen? oh, oh, jetzt schaue ich auf seinen Schritt. Eine Freundin ist transgender, ich wette, die kennen sich! Oh my gosh, er ist so mutig, ich unterstütze ihn total. Oh wait, wie benutzt er die Toilette? Wie hat er Sex?“ Okay, okay, lassen wir diese hypothetischen Fragen, bevor es zu persönlich wird.
Die Welt ist wunderbar vielfältig. Wissenschaftler wie Biologen und Soziologen nutzen ihre Methoden, um diese Vielfalt bei der Erforschung von Geschlecht und sexueller Identität zu verstehen. Sie kommen endlich zur Erkenntnis, dass sexuelle und geschlechtliche Identität ein Spektrum ist. Immer wurde gedacht, es gäbe nur 2 Möglichkeiten, männlich und weiblich, Mann und Frau. Falsch gedacht!
Lange genug hielt man das Geschlecht für die Geschlechtsidentität. Also umgangssprachlich gesagt: Das was man in der Hose hat, oder? Heute verwenden wir verschiedene Begriffe. Geschlecht – oder im Englischen: Sex – ist biologisch. Gender, also die Geschlechtsidentität, ist, wie man sich selbst einordnet, also quasi das, was zwischen den Ohren sitzt. Es gibt Menschen, deren Sex und Gender nicht übereinstimmen.
Jeder ist auf einem Spektrum, wenn es um sexuelle Identität geht. Manche Leute sind schwul oder bisexuell, manche sind asexuell. Wir sitzen alle im selben Boot, wo liegt das Problem? Wieso ist es schwieriger zu akzeptieren, wenn jemand sagt, „Du, ich habe „er/ihm“-Pronomen und möchte als Mann wahrgenommen werden!“ als wenn es heißt „Du, ich bin bisexuell/schwul/sonst was!“? Denn beides hat eine Gemeinsamkeit: es betrifft dich nicht. Es geht nicht um dich.
Beziehen wir das auf die Gesellschaft, dann ist das Geschlecht nicht, wie wir uns fühlen, sondern wie wir aussehen. Ergo: warum man von mir erwarten würde, mich femininer zu kleiden, zB. ein Kleid zu tragen. Es ist uns von einem Doktor, aufgrund dessen was sich zum Zeitpunkt der Geburt zwischen unseren Beinen befindet, zugeschrieben worden. Dieses Konzept muss sich in unseren Köpfen ändern.
Wie wäre es mit folgender Situation. Ihr seht einen wirklich süßen Hund auf euch zukommen, manche machen vielleicht einen Abstand oder gehen einfach vorbei, aber ein paar von euch knien sich hin und streicheln den Hund, sofern der nicht bedrohlich wirkt, oder? „Oh, wie süß, wie heißt er denn?“ – „Es ist eine sie, und ihr Name ist Susi“ – „Aw, sorry, sie ist süß!“. So einfach geht das bei Tieren – also bitte, warum ist das bei Menschen so schwierig? Vor allem amüsant ist es bei Eltern, die ein Kind erwarten – es heißt, das Geschlecht sei egal, Hauptsache das Kind ist gesund und wir können ein Leben mit es starten. Dann komme ich her, 15 Jahre später, zu meiner Mum und sage ihr „Stop, mein Name ist Oliver“. Weg sind diese ersten Gedanken – jetzt zählt nur noch eines: wie werde ich dieses Kind so schnell wie möglich aus meinem Haus los? Spoiler: 3 Jahre später war ich weg.
Ich habe gelernt, dass das Leben nicht in einer Blase gelebt werden kann, und dass außerhalb dieser Blase eine ganze Welt voller fremden Menschen existiert, die meine Identität nicht mitbekommen haben; dass sie von meiner rechtlichen Namens- und Geschlechtsänderung nichts wissen. Für sie sehe ich aus wie eine „sie“ und höre mich vielleicht an wie eine Frau. Ich weiß, dass Hormone zu nehmen, der einzige Weg sein würde, damit die Welt begreift, dass ich keine Frau bin. Aber das sehe ich nicht ein. Wieso muss der Körper der gesellschaftliche Maßstab der eigenen Gender-Identity sein, damit wir jemanden so annehmen, wie er angenommen werden will?
Uns wurde schon recht früh eingetrichtert, uns selbst in 2 Boxen einzusortieren; aber warum muss das sein? Ist das ganze Einsortieren wirklich so notwendig? Nein, lass es mich anders sagen. Ist es wirklich so notwendig, dass wir das Einsortieren dennoch strikt weiterführen, sobald jemand sich traut zu sagen „Auf mich trifft das nicht zu!“?
Ob man es glaubt oder nicht, selbst innerhalb der trans-community gibt es einen Teil, die noch im „Man muss sich in 2 Boxen einsortieren“-Denken drinnen sind. Also Menschen, die sich „eigentlich“ nicht zuordnen wollen/können, sich trotzdem dem Geschlecht anpassen – also mit Hormonen, Operationen – welches sie eher zugehörig fühlen, anstatt zu sagen, „Nein, ich breche aus dem System heraus!“. Ich habe über die Jahre hinweg auch Ablehnung von transgender-Menschen bekommen, weil ich meine Persönlichkeit nicht über meine Genitalien definiere.
Ich bin keine Frau, aber auch kein Mann. Und das ist okay! Es ist okay, dass ich für mich beschlossen habe, rechtlich gesehen als Mann zu leben und wahrgenommen zu werden, aber genauso okay, dass ich eine feminine Seite habe.
Viele der Lehrpersonen beginnen den Unterricht gerne mit „Meine Damen und Herren“ oder verwenden generell diese Phrase. Selbst, wenn ich rechtlich als Mann lebe, fühle ich mich nicht angesprochen oder inkludiert. Aber gut, das tue ich auch nicht, wenn es heißt „Hört’s her!“, nachdem ich eh gehörlos bin. Ich habe es gehasst, wenn es in meiner Unterstufe „Buben-Mädchen-getrennt-Stunden“ gab. Oder es simpel hieß, „die Mädchen gehen auf die linke Seite der Klasse und die Buben auf die rechte“. So harmlos ist es nicht, wie es erst scheinen mag. Eine folgende klischeehafte Aussage, die leider passt: Ich dachte lange, irgendetwas sei mit mir richtig falsch. Ich ging früher nie in der Pause auf die Toilette, sondern stets mitten in der Stunde, weil es mich innerlich zerriss, die „für mich falsche“ Toilette zu benutzen, wenn es jeder mitbekommen konnte. Ich wurde in der Unterstufe nicht nur so zusammengeschlagen, dass ich behandelt werden musste, nur, weil ich nicht in die Norm passe.
Ich erzähle euch davon nicht, damit ich Mitleid bekomme, oder um mich als arm darzustellen. Ich erzähle euch das, um bewusst zu machen, dass es nicht einfach ist, zu sich selbst zu stehen und es genug Menschen gibt, die sich aus Sicherheitsgründen oder aus Angst noch verstecken. Deswegen, wenn sich jemand endlich traut, aus dem berühmten „Schrank“ herauszutreten, heißt sie willkommen. Sie sind auch nur Menschen, wie wir alle, die versuchen in dieser Welt zurechtzukommen.
In diesem Sinne, meine Damen, Herren und nicht-binären Gäste, dankeschön!
Titelbild: Oliver Suchanek