Dass die Habsburgermonarchie keine koloniale Großmacht wurde ist das Ergebnis von politischen Zufällen und hat nichts mit dem Mythos der „Insel der Seligen“ oder einem besonderen humanistisch-religiös geprägten Menschenbild zu tun.
Sonntag ist Büchertag von Sabine Fuchs
Bis vor ein paar Jahren hat man an Österreichs Schulen noch gelernt, die österreichisch-ungarische Monarchie war keine Kolonialmacht, also gab es dort auch keinen Kolonialismus. Das ist natürlich offensichtlicher Unsinn, trotzdem blieb die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema ein schmales Feld – die fast schon absurde Erfolglosigkeit kolonialer Bemühungen der Habsburgermonarchie ließen eine Aufarbeitung als zu unspektakulär erscheinen. Der österreichische Historiker Simon Loidl hat diese Lücke nun gefüllt.
Loidl hat sich in erster Linie mit den Kolonialdebatten in der Habsburgermonarchie beschäftigt, die die durchaus vorhandenen protokolonialen Aktivitäten wie Forschungsexpeditionen, Missionstätigkeiten und mehr oder weniger politisch motivierten Privatreisen während des gesamten 19. und frühen 20. Jahrhundert begleitete. Bis jetzt wurde diese Debatte nie untersucht, weil sie eben nicht in der Gründung eines Kolonialreichs mündete, tatsächlich verlaufen Aktivitäten wie Argumentationsmuster aber genau gleich wie in den großen Kolonialmächten England, Frankreich, Deutschland oder Belgien. Und sie mündeten 1894 in der Gründung der „Österreichisch-Ungarischen Kolonialgesellschaft“ und zehn Jahre später in der des „Flottenvereins“, wo die Debatten über Überbevölkerung und Auswanderung, Außenhandel und – immer radikaler während des Ersten Weltkriegs – einem rassistisch motivierten Überlegenheitsdiskurs weitergeführt wurden.
Obwohl diese Debatten keinen ernsthaften Versuch zum Erwerb von Kolonien mehr nach sich zogen (zu viele Kräfte waren in der erfolgversprechenderen Balkanpolitik gebunden) zeigt Loidl, dass der Kolonialismus als Dispositiv in der Habsburgermonarchie ebenso selbstverständlich war wie in kolonialen Großmächten; tatsächlich war und ist er immer noch ein häufig vorhandener Bestandteil des politischen Denkens in Österreich. Dass die Habsburgermonarchie keine koloniale Großmacht wurde ist das Ergebnis von politischen Zufällen und hat nichts mit dem Mythos der „Insel der Seligen“ oder einem besonderen humanistisch-religiös geprägten Menschenbild zu tun.
Und nach dem Ende der Habsburgermonarchie existierte der kolonialistisch-rassistische Diskurs ungebrochen weiter, wie Loidl am Beispiel des 1878 geborenen Mediziners Robert Stigler zeigt. Der nahm 1910/1911 an einer Uganda-Expedition teil, um dort mit rassenphysiologischen Untersuchungen an Schwarzen die „Überlegenheit des weißen Mannes“ zu beweisen. Anfang der 30er Jahre trat er in die damals in Österreich noch illegale NSDAP ein, wurde 1938 in Wien Universitätsprofessor und hielt Vorlesungen über „Rassenhygiene“. Nach 1945 wurde ein Entnazifizierungsverfahren gegen ihn eingeleitet, das aber ohne Konsequenzen blieb: Er wurde 1947 zwar ein Jahr früher als gesetzlich vorgesehen in den Ruhestand geschickt, konnte aber ungehindert weiter publizieren.
Loidls Untersuchung beschränkt sich zwar auf den historischen Sachverhalt, trotzdem macht seine Arbeit deutlich, wieso das kolonialistische Denken in Österreich auch heute noch so anschlussfähig ist. Nicht zuletzt zeigt das auch das Beispiel Robert Stigler: In seinem Geburtsort Steyr war bis ins Jahr 2010 eine Straße nach dem Rassenforscher benannt.
Simon Loidl,
„Europa ist zu enge geworden“.
Kolonialpropaganda in Österreich-Ungarn 1885 bis 1918.
Promedia Verlag,
Wien 2017,
25 Euro.
Titelbild: „Der erste Elefant“ – Franz Ferdinand vor einem erlegten Elefanten, während seiner Weltreise 1893 in Kalawewa, Ceylon, Fotoaufnahme von Eduard Hodek junior (gemeinfrei)