In seinem neuesten Werk („Materialismus“) setzt sich der bekannte britische Autor und Denker Terry Eagleton mit dem Verhältnis von Philosophie und Alltagserfahrung auseinander. – Sonntag ist Büchertag
„Der Materialismus ist ein äußerst umfassender Begriff. Er erstreckt sich vom Leib-Seele-Problem bis hin zur Frage, ob der Staat vor allem dazu besteht, das private Eigentum zu verteidigen. Er kann für die Gottesleugnung stehen, für den Glauben daran, dass die Chinesische Mauer und Clint Eastwoods Knöchel auf geheime Weise zusammenhängen oder für das Beharren darauf, dass die Golden-Gate-Brücke zu existieren aufhört, wenn niemand auf sie schaut. Aber er besitzt auch eine alltägliche Bedeutung, die überhaupt nicht philosophisch ist. Materialismus bedeutet für die meisten Leute eine übermäßige Wertschätzung von materiellen Gütern.“
In seinem neuesten Werk setzt sich der bekannte britische Autor und Denker Terry Eagleton mit dem Verhältnis von Philosophie und Alltagserfahrung auseinander. Er bietet eine humanistische, für das praktische Zusammenleben der Menschen taugliche Variante des Denkens. Angesichts einer Gesellschaft, deren Mitglieder sich weitgehend als „materialistisch“ definieren und eines von emanzipatorischen Inhalten befreiten „New Materialism“ an den Universitäten hält Eagleton an einer „Politik der Materie“ fest, die für die Veränderung der Umstände eintritt. In einem Streifzug durch die Ideengeschichte des Materialismus, von Demokrit über Aristoteles bis hin zu Sigmund Freud, verteidigt der Autor die materialistische Gesinnung auch gegen aktuelle Trends der „Cultural Studies“ und postmoderner Strömungen.
Eagleton bringt in diesem Buch drei bekannte Materialisten und ihre Lehren zusammen: Friedrich Nietzsche, Ludwig Wittgenstein und Karl Marx. In einem eindrucksvollen Vergleich ihrer Theorien spannt er einen weiten Bogen, von der Sprache über die Geschichte, von der Ideologie zur Ethik, bis hin zu ästhetischen und politischen Fragen. All dies gelingt Eagleton mit viel Witz und Polemik, in lockerer Sprache, die jahrhundertealte philosophische Diskussionen auch einem damit nicht vertrauten Publikum näherbringt.
Für Eagleton ist es die „Anti-Philosophie“ und ihr bekanntester Exponent Karl Marx, die er als Ausdruck eines gelungenen materialistischen Weltbilds ansieht. Und so zitiert er in seinem Werk auch Marx’ Ausspruch: „Die Philosophie steht nicht außer der Welt, so wenig das Gehirn außer dem Menschen steht, weil es nicht im Magen liegt.“ In dieser Tradition des kritischen Denkens, dem Humor nicht fremd ist, schlägt Eagleton mit „Materialismus“ ein neues Kapitel auf.
Terry Eagleton, geboren 1943 in Salford (England), lehrt englische Literatur an der Universität von Lancaster. Zuvor unterrichtete er unter anderem in Oxford, Manchester, Duke und Yale. Seine marxistisch inspirierte Philosophie und Literaturtheorie legte er in über 40 Büchern nieder, von denen viele auch im deutschsprachigen Raum zu Bestsellern wurden, darunter „Einführung in die Literaturtheorie“ (1988), „Die Illusionen der Postmoderne“ (1997), „Der Sinn des Lebens“ (2008) und „Warum Marx recht hat“ (2012).
Eagleton, Terry:
Materialismus. Die Welt erfassen und verändern
Promedia 2018. 192 S.
ISBN: 978-3-85371-433-1.
Titelbild: Terry Eagleton no Fronteiras do Pensamento Porto Alegre 2010 (commons.wikimedia.org; Lizenz: CC BY-SA 2.0)
Danke für den tollen Beitrag es ist sehr sehr toll geschrieben. Es hat mich sehr gerührt das zu lesen.
mfg
Ricardo
Die Feder folgt dem Denken, oder folgt das Denken der Feder.
Hervorragender Beitrag.
Immer wieder besinnlich, solche Beiträge zu lesen.