Von Herbert Auinger
Eine Luftwaffe hat im Kriegsfall normalerweise den Auftrag der „Beherrschung des Luftraumes“: Den Schutz der eigenen Bodentruppen bzw. der sonstigen kriegswichtigen Einrichtungen vor feindlichen Luftangriffen, und komplementär den Angriff auf Einrichtungen des Gegners. Im Zuge der österreichischen Wiederbewaffnung unter Neutralitätsbedingungen wurde vor sehr, sehr langer Zeit so etwas „nach dem Vorbild der Schweiz“ skizziert: Mindestens 60 bis 80, besser 150 bis 180 Kampfflugzeuge wären erforderlich gewesen. (ÖMZ – Österreichische Militärische Zeitschrift 2/05: „Die Luftstreitkräfte der Republik Österreich“). Die Schweiz und Schweden kalkulieren ihre Luftstreitkräfte nach solchen Gesichtspunkten.
Zu einer Luftwaffe in diesem Sinn hat es Österreich nie gebracht; das österreichische Bundesheer war insofern immer eine Streitmacht ohne Lufthoheit im Kriegsfall. Die österreichische Luftwaffe hat eine andere, bescheidene Aufgabe, nämlich die der „Luftraumüberwachung“ – und zwar in Friedenszeiten. Die Eurofighter-Beschaffung unter der schwarz-blauen Regierung im Jahr 2002 schrieb diese Luftraumüberwachung fort; die vorherigen schwedischen Draken von Saab – in den 80er Jahren als Übergangslösung angeschafft – waren schlicht materiell verschlissen.
Vom Einstieg in eine europäische Luftwaffe …
Die Entscheidung für den „Eurofighter“ – Nomen est omen! – war der Anlauf zu einem zaghaften Schritt heraus aus dieser beschränkten militärischen Aufgabe. Ein früherer Verteidigungsminister hat das so formuliert: „Am Ende wird es eine Eurofighterflotte von 620 Flugzeugen in Europa geben. Die 18 Flugzeuge sind unser österreichischer Beitrag dazu.“ (Verteidigungsminister Platter, 14.3.04) Damit war gemeint, dass nicht nur 620 Flieger in Europa herumstehen, sondern dass es sich dabei um die Voraussetzung der Perspektive einer gesamteuropäischen Luftflotte handeln könnte, die im näheren und weiteren Umkreis für „Sicherheit und Ordnung“ nach europäischen Vorgaben sorgt, oder wenigstens ein entsprechendes Potential darstellt – aus heutiger Sicht vermutlich im „Krisenbogen“ zwischen der Ukraine über Syrien bis Libyen. Die damalige „Bundesheerreformkommission“ hat festgehalten: „Österreich ist als Mitglied der Europäischen Union zunehmend in die Strukturen des europäischen Krisenmanagements eingebunden. Neuen Gefahren kann gleichfalls nur in den internationalen Gemeinschaften und der Europäischen Union durch verstärkte internationale Kooperation begegnet werden.“ (Bundesheerreformkommission 2004) Die angesteuerte österreichische Mitsprache bei den militärischen Operationen eines „europäischen Krisenmanagements“ setzt eben die Teilnahme daran und entsprechende Waffensysteme voraus. Wer mit-reden will, muss auch mit-schießen.
Man muss sich vielleicht daran erinnern, dass Europa damals unter dem Eindruck einer militärischen Blamage am Balkan stand: Die Separatisten im Norden des ehemaligen Jugoslawien wurden aus „Europa“ ausdrücklich zur Zerlegung des früheren Vielvölkerstaates ermuntert. Die anfänglich gesamtjugoslawischen und später von Serbien unternommenen Versuche, dem Diktat der EU und den abspenstigen Teilvölkern mit militärischen Mitteln zu begegnen, wurden mit schärfsten Drohungen und ordentlichen Hasspredigten gerade aus Österreich quittiert – „kriegsgeiler Kiebitz“, so damals Rudolf Burger –, aber die militärische Entscheidung zugunsten der westlichen Teilungsanweisungen und gegen die Bedürfnisse der Kriegsparteien vor Ort, die wurde letztlich von der NATO bzw. von den USA herbeigeführt. Und das in einer Lage, die von Anfang an in Europa als eine genuin europäische Aufgabe definiert wurde; es sollte nun endlich die Kompetenz der EU nicht nur als Wirtschaftsblock, sondern auch als Ordnungsmacht praktisch werden. Daran war man gescheitert, Europa insgesamt entlarvte sich über weite Strecken als „kriegsgeiler Kiebitz“. Das zog damals eine Runde wechselseitiger Aufforderungen der europäischen Staaten nach sich, nun endlich zu mehr Vergemeinschaftung auch in Sachen Aufrüstung und Militäreinsatz zu kommen, also die militärische Emanzipation von den USA voranzutreiben. Das Szenario erinnert an die aktuellen Bestrebungen, dem globalen Paradigmenwechsel der USA unter Donald Trump mit mehr europäischer militärischer Zusammenarbeit begegnen zu wollen.
Die Typenentscheidung für den Eurofighter bedeutete jedenfalls, dass damit auch das damalige Gemeinschaftsprojekt des seinerzeit in Europa ins Auge gefassten militärisch-industriellen Komplexes angeschafft wurde, ein Gemeinschaftsunternehmen von Deutschland, England, Italien, Spanien; der Eurofighter also eine Absage an die diesbezüglichen Alternativen. Nachdem so eine Beschaffungsaktion nicht mit dem einmaligen Akt des Ankaufs erledigt ist, sondern eine längerfristige Zusammenarbeit impliziert, sowohl mit dem Rüstungskonzern, bezüglich Wartung, Logistik und Ersatzteilbeschaffung, als auch und vor allem eine Zusammenarbeit mit anderen Streitkräften bei Ausbildung und Training der Piloten, war damit die bisherige militärische Zusammenarbeit mit Schweden beendet. Eine langjährige Kooperation mit den Konnotationen „neutral“ und insofern womöglich „alternativ-außenpolitisch“, ev. sogar mit „sozialdemokratisch“ oder „solidarisch-friedlich“ war vorbei. Umgekehrt begann damit eine militärische Zusammenarbeit mit dem NATO-Kernland Deutschland. Weiter darf man vermuten, dass Österreich damit einen großen Zeh in der Tür dieses zukünftigen militärisch-industriellen Komplexes untergebracht haben wollte: Unter Umständen durften sich eventuell die paar in Frage kommende österreichische Firmen um Ausschreibungen bemühen, die die beteiligten Staaten bisher unter sich verteilt hatten.
… über die Unwägbarkeiten des Projekts …
Die über die Luftraumüberwachung hinausgehenden Ambitionen in Richtung eines Beitrags zu einer „Eurofighterflotte von 620 Flugzeugen in Europa“ erhielten allerdings mit der Kürzung der ursprünglichen Beschaffung von 24 auf letztlich 15 Stück einen gehörigen Dämpfer: „Fest steht mit der Reduktion auf 15 Flugzeuge und deren abgespeckter Leistungsfähigkeit, dass sich die kleine österreichische Luftwaffe auf ihre tatsächliche Aufgabe der Luftraumüberwachung über den eigenen Staat beschränkt. Von den ursprünglich bestellten 24 Mehrzweck-Kampfflugzeugen waren 6 für Auslandseinsätze vorgesehen gewesen.“ (Peter Rabl, Kurier 15.7.07)
Die SPÖ, als damalige Oppositionspartei zur kritischen Sichtung aller Regierungsbeschlüsse verpflichtet, hatte die Kosten der Eurofighter thematisiert und ins Verhältnis zu anderen Staatsauf- und also Staatsausgaben gesetzt, und diesen Gesichtspunkt hatte schon Kanzler Schüssel ausdrücklich ins Recht gesetzt: Nach dem Hochwasser im Sommer 2002 wurde die Eurofighter-Bestellung von 24 auf 18 Maschinen gekürzt, weil der Staat die Mittel für die Hochwasserschaden-Beseitigung brauche. Die SPÖ hat das Aufrechnen der Flieger-Kosten mit anderen Staatsausgaben im Wahlkampf 2006 erst recht thematisiert und nach ihrem Regierungseintritt mit der nochmaligen Kürzung der Bestellung auf 15 Exemplare mit schlechterer Ausstattung zu Ende gebracht. Nach ihrem Wahlerfolg 2006 war sie es ihrer Glaubwürdigkeit schuldig, ihre Einwände gegen die Flieger durch eine Modifikation des Vertrags praktisch umzusetzen, der damalige Verteidigungsminister Darabos durfte sich dieser undankbaren Aufgabe stellen: Bei den nach einer Neuverhandlung des Vertrages letztlich verbleibenden 15 Stück handelte es sich SPÖ-amtlich nun endlich um brave „Neutralitätsverteidiger“, während die ursprünglichen, besser ausgerüsteten 18 Stück NATO-verdächtige „Kampfbomber“ gewesen wären. Die von Peter Pilz vertretene These, die SPÖ sei von der ÖVP „gezwungen“ worden, von einer generellen Stornierung, von einem Rücktritt vom Kauf abzusehen, ist haltlos. Als einer staatstragenden Partei war und ist auch für die SPÖ die prinzipielle Notwendigkeit der Luftraumüberwachung gegeben; daran hat sich nichts geändert, auch wenn Kurzzeit-Minister Doskozil diese speziellen Flieger endgültig loswerden wollte.
Der generelle Haken der seinerzeitigen gesamteuropäischen Interventions-Perspektive war schon seinerzeit weit jenseits der Kostenfrage gegeben: „Niemand kann derzeit sagen, wie die europäische Luftraumverteidigung künftig gestaltet wird.“ (SPÖ-Wehrsprecher Gaal, im Jahr 2003) Zweifel bestanden auch woanders am Zustandekommen, dem Modus sowie der Zusammensetzung der künftigen europäischen Luftwaffe. Der Ausstieg Frankreichs zugunsten der Entwicklung des eigenen Rafale-Fliegers als Konkurrenz zum Eurofighter; Ankaufsreduktionen durch Großbritannien und Deutschland; die nicht unerheblichen diplomatischen Interventionen der USA gegen das Eurofighter-Projekt insgesamt – militärpolitische Anhaltspunkte für die Distanz der SPÖ zum ganzen Projekt gab es genug. Die Nachbarstaaten Tschechien und Ungarn hatten sich für je 14 Stück des britisch-schwedischen Konkurrenzprodukts Gripen entschieden; die Raketen dafür kommen aus den USA. Polen wiederum hat gleich alles bei Lockheed in Amerika geordert; schon damals setzte die Führung in Polen mehr auf die Anbindung an und nicht auf mehr Unabhängigkeit von Amerika. Von einer gesamteuropäischen Luftwaffen-Perspektive war und ist bis heute also wenig zu entdecken – und jeder österreichische Anspruch auf einen Beitrag dazu war und ist unkalkulierbar.
… zurück an den Start
Im Februar 2017 war die Eurofighter-Sinnkrise größer denn je und ist vom Verteidigungsministerium auf Basis der Ergebnisse internen Ermittlungen mit einer Strafanzeige gegen „Airbus Defence and Space GmbH“ (ehemals EADS Deutschland) und der „Eurofighter Jagdflugzeug GmbH“ endgültig eskaliert worden. Ein europäisches Luftflotten-Projekt ist nirgends zu besichtigen; ein neuer deutsch-französischer Anlauf zur Entwicklung eines europäischen Kampfflugzeuges würde für den Eurofighter wohl die endgültige Bruchlandung bedeuten. Die Bedrohungslagen haben sich verschoben bzw. ausgedehnt; die Kriegsparteien in der Ost-Ukraine, in Syrien, in Libyen scheren sich wenig bis gar nicht um europäische Vorstellungen einer zufriedenstellenden Ordnung; dazu gekommen sind Szenarien wie Cyber-Terrorismus, vom „Islamischen Staat“ inspirierte Anschläge, und die Verteidigung Europas oder wenigstens Österreichs gegen Flüchtlinge. Der durchaus substantielle österreichische Beitrag zu einer europäischen Ordnungsmacht findet ohnehin auf dem Boden statt: Als Beitrag zur Resteverwaltung des europäisch inspirierten „nation building“ auf dem Balkan, als Teil der Bewachung zweier dabei entstandener Trümmer, zu denen Europa unbedingt „Staat“ sagen will, auch wenn dem Kosovo und Bosnien-Herzegowina alle diesbezüglichen Grundlagen fehlen. Die Eurofighter-Betriebskosten verschlingen andererseits einen erklecklichen Teil des österreichischen Militärbudgets, und die Flieger werden nicht einmal ordentlich ihren militärischen Aufgaben gerecht – u.a. ein Resultat der Reduktion ihrer Leistungsfähigkeit durch die Vertragsänderung unter Darabos. Das Vehikel für die nunmehr anstehende Entscheidung sollen einige gerichtlich verwertbare Malversationen während der Beschaffung sein, die, sofern die Gegenseite mitmacht, auch in eine außergerichtliche Einigung münden können. Denn inzwischen – erst nach dem Ende des ersten parlamentarischen Untersuchungsausschusses! – hat in Italien ein Herr Gianfranco Lande ausgepackt, früher Direktor der Gesellschaft „Vector Aerospace“, einer Gründung von EADS zur Abwicklung der berühmten „Gegengeschäfte“.
Das Gegengeschäft ist seiner Natur nach eine Art von legalisierter Bestechung: Der Verkäufer einer Ware stellt dem Käufer neben und zusätzlich zum Kontrakt über Qualität und Preis des Basisgeschäfts einige Vorteile in Aussicht, um ihn zum Kauf zu bewegen; in dem Fall einige Bestellungen bei österreichischen Unternehmen. Das nimmt dem „Gegengeschäft“ gerade nicht seinen Charakter als ein anrüchiger Wechselbalg, sondern öffnet im Gegenteil eine veritable Grauzone für dubiose Geldflüsse. Denn entweder ist eine Anschaffung ein Geschäft: EADS kauft in Österreich ein, und im Rahmen seiner unternehmerischen Kalkulation ist das gelieferte Produkt konkurrenzfähig, dann ist das eben ein stinknormales Geschäft – und damit fehlt jedes „Gegen“. Oder EADS kauft aus Gefälligkeit in Österreich ein, oder lässt einkaufen, um Stimmung zugunsten des Flugzeugdeals zu machen, dann ist es eben kein „Geschäft“ nach strengen kaufmännischen Usancen, und man darf annehmen, dass die Kosten dieser Gefälligkeit irgendwie in das Basisgeschäft „eingepreist“ werden, alles andere wäre schließlich kommerziell verantwortungslos. Es ist also angemessen, dass zum praktischen Umgang mit diesem schreienden Widerspruch namens „Gegengeschäft“ eine Abteilung im Wirtschaftsministerium tätig werden muss, die überprüft, ob ein Geschäft einerseits zwar ein ganz normales, ordentliches Geschäft ist, aber andererseits doch irgendwie und letztendlich auch mit dem Eurofighter-Kauf zu tun haben könnte, bzw. ohne einen Zusammenhang mit diesem Kauf vielleicht gar nicht zustande gekommen wäre. Was sich darin auflöst, dass beteiligte Firmen oder Manager „glaubhaft“ machen müssen, es wäre so gewesen – was wieder Arbeitsplätze für Leute wie den Ex-Direktor Gianfranco Lande schafft.
Übrigens: Den unermüdlichen „Aufdecker“ Pilz gibt es auch noch, der eine wichtige Aufgabe erfüllt. Denn was wollen wir denn von einem Waffenkauf – es handelt sich noch immer um hochgezüchtete Zerstörungs- und Tötungsinstrumente – wissen? Ob die Sache hundertprozentig supersauber gelaufen ist! Das müssen wir wissen! Dass da bloß keine unzulässigen Verquickungen von öffentlichen und privaten Interessen samt dolosen Zahlungen im Spiel sind! Immerhin hatten die Grünen mitsamt dem Pilz eine ihrer Wurzeln in einer früheren Friedensbewegung – und übers „Aufdecken“ ist man auch da in der realen Politik gelandet.