Autoritarismus-Studie 2018: Fast jeder dritte Deutsche vertritt ausländerfeindliche Positionen, wie eine Langzeitstudie der Universität Leipzig über autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland enthüllt, welche in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung erstellt wurde.
Von R. Manoutschehri
Xenophobie hat in Deutschland 2018 erneut zugenommen, wie die nunmehr neunte bundesweite Umfrage an 2.416 Menschen zu den Themen Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Chauvinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus ergab. In diesem Jahr wurden zudem autoritäre Persönlichkeitsmerkmale erfasst.
Einzelnen ausländerfeindlichen Aussagen, wonach beispielsweise Ausländer den deutschen Sozialstaat ausnutzen oder die Bundesrepublik überfremden, stimmt im Osten fast jeder Zweite zu. Auch im Westen teilt knapp jeder Dritte diese Positionen.
Insgesamt stimmen 36 Prozent der Deutschen der Aussage zu, dass Ausländer nur hierherkommen, um den Sozialstaat auszunutzen (Ost: 47,1 Prozent, West: 32,7 Prozent). Über ein Viertel würde Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken, wenn in Deutschland die Arbeitsplätze knapp werden (Ost: 32,4, West: 25). Rund 36 Prozent halten die Bundesrepublik durch Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet (Ost: 44,6, West: 33,3).
Ausgrenzung als Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus
„Die Ausländerfeindlichkeit ist im gesamten Land immer stärker verbreitet, das zeigt unsere aktuelle Befragung ganz deutlich“, sagt Studienleiter Dr. Oliver Decker vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung an der Universität Leipzig. „Die Hemmschwelle, diesen rechtsextremen Aussagen zuzustimmen, ist besonders niedrig.“
„Wer rechtsextrem ist, wendet sich heute aber von der CDU und SPD ab“, so Co-Autor Prof. Dr. Elmar Brähler, „und findet seine neue Heimat bei der AfD.“ Im Vergleich zur letzten Erhebungswelle 2016 ist die geschlossene manifeste Ausländerfeindlichkeit, also der konsequenten Zustimmung aller Aussagen, angestiegen. Besonders deutlich ist der Zuwachs in Ostdeutschland von 22,7 auf 30,9 Prozent.
Die aktuelle Studie zeigt außerdem, dass der Antisemitismus weit verbreitet ist. Jeder Zehnte findet ausdrücklich, dass „Juden etwas Besonderes an sich haben und nicht so recht zu uns passen“, zusätzlich stimmen dieser Aussage 20 Prozent latent zu. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich antisemitische Denkmuster nach wie vor in gefährlichen Größenordnungen bewegen“, so Decker.
Zugleich ist die Abwertung von Gruppen angestiegen, die als „fremd“ oder „abweichend“ wahrgenommen werden: Die Aggression gegen Sinti und Roma, Asylwerbern und Muslimen nimmt kontinuierlich zu.
„Erschreckend hoch ist die Abwertung von Muslimas und Muslimen angestiegen“, sagt Brähler. Fühlten sich zum Beispiel noch 2010 rund 33 Prozent der Befragten durch die vielen Muslime als Fremde im eigenen Land, sind es 2018 in Ost wie West 55 Prozent. Und: 60 Prozent der Deutschen stimmen der Aussage zu, dass Sinti und Roma zur Kriminalität neigen. Im Osten findet diese Position bei fast 70 Prozent Zustimmung.
Sehnsucht nach dem „starken Mann“
Für die Wissenschaftler zählt Autoritarismus als Persönlichkeitseigenschaft zu einer der Hauptursachen für rechtsextreme Einstellungen. Menschen mit autoritärem Charakter neigen zu rigiden Ideologien, die es gestatten, sich gleichzeitig einer Autorität zu unterwerfen, an ihrer Macht teilzuhaben und die Abwertung anderer im Namen dieser Ordnung zu fordern. Rund 40 Prozent der Deutschen zeigen Merkmale eines autoritären Typus, nur 30 Prozent sind dagegen ausdrücklich demokratisch orientiert.
Autoritäre Aggressionen sind bei 65 Prozent der Deutschen tiefgreifend ausgeprägt: „Den Wunsch, Andersdenkende auszugrenzen, teilen zwei Drittel der Deutschen“, sagt Dr. Oliver Decker. In Ostdeutschland ist er häufiger anzutreffen. Auch die Bereitschaft, sich Autoritäten unterzuordnen, ist hier größer. Knapp 40 Prozent der Ostdeutschen wollen wichtige Entscheidungen Führungspersonen überlassen, im Westen sind es 21 Prozent.
Demokratie am Prüfstand „gefühlter Wahrheiten“ und politischer Deprivation
Die gute Nachricht der Studie: Vor allem im Osten ist die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie von 27,3 im Jahr 2006 bis auf 46,9 Prozent heute angestiegen.
„Es ist natürlich erfreulich, dass wir hier höhere Zustimmungswerte finden. Andererseits muss es aber zu denken geben, dass mit der tatsächlichen Praxis der Demokratie nur etwa die Hälfte der Befragten zufrieden ist“, so Decker. Zudem wird die offene Gesellschaft, in der alle Gruppen die gleichen Rechte haben, von 47 Prozent in Frage gestellt.
Die Diskrepanz zwischen den Werten sei ein Problem für die repräsentative Demokratie. „Wir sehen in unseren Analysen, dass das Gefühl, selbst Einfluss auf die Politik nehmen zu können, gering ausgeprägt ist. Wir bezeichnen das als politische Deprivation.“
„Es bleibt eine große gesellschaftliche Aufgabe, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aufzuzeigen und zu ächten – besonders in Zeiten eines erstarkenden Rechtspopulismus“, so Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, und Peter Siller, Leiter der Inlandsabteilung der Heinrich-Böll-Stiftung.
Alle Ergebnisse der Studie sind in einem Buch zusammengefasst: „Flucht ins Autoritäre“ von Oliver Decker und Elmar Brähler, erschienen im Psychosozial-Verlag (ISBN: 978-3-8379-7461-4).