“Black Mirror: Bandersnatch” – ein Film, den man unzählig oft sehen kann. Nicht, weil er so gut ist, sondern, weil ein Durchgang oft gar nicht reicht, um alles gesehen zu haben.
Von Oliver Suchanek / Foto: www.quotecatalog.com
Ein neues Genre
Im Film “Black Mirror: Bandersnatch” werden Entscheidungen von banalen, einfachen alltäglichen Dingen, wie zB. was zum Frühstück gegessen wird, welche Musik der Hauptcharakter, Stefan, auf der Busfahrt hören soll, bis hin zu den immer schwierigeren Sachen, ob er seine Psychiaterin alles erzählt, was ihm passiert oder seine Medizin absetzt, von Zuseher*innen getroffen. Ganz schwierig: Ob er den toten Körper zerstückelt oder vergräbt.
Bei einer Frage bekommt man unterhalb des Bildschirms zwei Antwortmöglichkeiten zur Verfügung gestellt, die man entweder per Touch-Berührung am Handy/Tablet, Mausklick oder Tastendruck beantworten kann. Unter Zeitdruck wird man gezwungen, zu handeln. Wie in den “choose your own adventure”-Videospielen (zB. Life is Strange) nimmt die Geschichte bzw. der Film bei jeder getroffenen Entscheidung eine andere Wendung. Je nachdem für welche Pfade entschieden wird, kann der Film “Black Mirror: Bandersnatch” zwischen einer Stunde und 120 Minuten dauern – oder auch 300 Minuten, wenn die Neugierde nach einem Ende nicht befriedigt ist. Der Film ist definitiv nichts, welches man nebenbei laufen lassen könnte, während man einer anderen Tätigkeit nachgeht; zu wichtig sind die kleinen, versteckten Informationen, die bei einer Entscheidung von Bedeutung wären.
Viel lässt sich über die Handlung des Films nicht sagen, weil jedes Individuum eine andere Geschichte erschafft und erlebt – umso schwieriger ist es zu spoilern. So viel weiß man zumindest: Es geht um einen jungen Programmierer, Stefan, der über einen Fantasy-Roman ein Videogame entwickeln soll, das die Firma Tuckersoft veröffentlichen will. Mit der Zeit erkennt er, wie schwer die Umsetzung tatsächlich ist – der Druck des Unternehmens steigt und immer mehr verliert er sich in seinen Zweifeln. Was noch alles passiert, lässt sich nur selbst erleben.
Der Film wirft vor allem eine Frage besonders auf: Is this the real life – is this just fantasy? Unbewusst bleibt der Song “Bohemian Rhapsody” von Freddie Mercury im Hinterkopf hängen, je tiefer man in die Geschichte, somit in das Leben von Stefan, dringt. Immer mehr verschwimmen die Grenzen. Stefan programmiert ein Spiel, entscheidet somit bereits für die Spielfigur – wir kontrollieren Stefan, welcher nach und nach sich beobachtet – von uns – fühlt und befürchtet, keinen freien Willen mehr zu haben. Jedoch: Kontrolliere ich die Realität? Oder kontrolliert die Realität mich?
Wer kontrolliert uns?
Jeder von uns trifft unzählige Entscheidungen. Würden wir das nicht tun, wäre die Alternative ein Leben, in dem andere die Entscheidungen für uns treffen. Manchmal scheint das Leben ein endloses Herumirren in einem Wald von unendlich vielen Möglichkeiten zu sein – es kann wie die große Freiheit wirken, aber die Unwissenheit, was aus einer Entscheidung folgen könnte, macht vielen Angst. Steht man vor einer schweren Entscheidung, besteht die Unsicherheit, nicht genug Informationen für eine richtige Wahl zu haben. Viele Unentschlossene greifen daher gerne zu Ratgeber, Für-Gegen-Listen, fragen mehrere Freunde und Außenstehenden und grübeln. Aber: Egal, wie lange man über eine Entscheidung nachdenkt, man wird nicht zu einem Ergebnis kommen. Kein Ergebnis wird so richtig sein, wie die bessere Option bei einer “leichten” Entscheidung. Wie der Psychologe G. Gigerenzer – Leiter der Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Deutschland – richtig auf den Punkt bringt: Wer immer versucht, Fehler zu vermeiden, und zu vorsichtig ist, vergibt wichtige Chancen.
Reflektion im schwarzen Screen
„Wenn Technologie eine Droge ist, was sind dann die Nebenwirkungen?“ – in der gleichnamigen Serie „Black Mirror“ zeigt der Drehbuchautor und Produzent Charlie Brooker die dunklen Seiten der Technologie und deren Auswirkung auf die Gesellschaft auf. Jede Folge hat für sich eigene Besetzung, andere Location und sogar eine andere Realität. Inspiriert vom schwarzen Screen vom Handy, TV, Tablets gibt Brooker die Serie den Titel „Black Mirror“ – wenn man auf den Screen starrt, sähe es aus wie ein schwarzer Spiegel, sagte er in einem Interview. „Ich mag die Tatsache, dass die Leute auf ihrem TV oder auf ihrem Laptop etc. die Serie, oder den Film, sehen und wenn dann der Abspann läuft, der Bildschirm schwarz wird, sehen sie sich selbst in der Reflektion.” Die dritte und vierte Staffel wurde nicht mehr von Endemol produziert, sondern – mit einem höheren Budget – von Netflix selbst. Daher kam die Idee für diesen interaktiven Film ursprünglich nicht von Brooker selbst, sondern vom Netflix-Angestellter, Todd Yellin.
Würden wir immer nur leichte Entscheidungen im Leben treffen müssen, inwieweit könnten wir uns dann als freie Menschen bezeichnen? Würde die Bezeichnung Sklaven der Vernunft nicht eher passen?