„Identitäre“ erobern verstärkt medialen Raum zur Selbstinszenierung
Von Daniel Jamrič
Die „Identitären“ haben sich in den vergangenen Tagen einmal mehr ihren Platz im gesellschaftlichen Diskurs gesichert. Als die ÖVP-FPÖ-Bundesregierung vergangene Woche ankündigte, eine Auflösung der neurechten Gruppe prüfen zu wollen, nutzte Identitären-Sprecher Martin Sellner die Gunst der Stunde und klinkte sich in die mediale Debatte um ein mögliches Vereinsende ein. Tageszeitungen und Fernsehstationen boten ihm daraufhin ausreichend Gelegenheit, die Umtriebe der Identitären zu rechtfertigen. Die Justiz prüft derzeit mögliche Kontakte Sellners zum Christchurch-Attentäter, der am 15. März in der neuseeländischen Stadt 50 Menschen erschossen hat.
Die Analyse rechtsextremer Umtriebe wollen Sellner und Konsorten dabei nicht allein den etablierten Medien überlassen – sondern daran mitdeuten, als Gesprächspartner zur Verfügung stehen und selbst Antworten geben. In der Berichterstattung tappen Journalisten gern in die Falle dieses Kommunikationsstils, stellt nun Politikwissenschaftlerin und Rechtsextremismus-Forscherin Natascha Strobl auf Twitter fest. Ihr zufolge würden Zeitungen und TV-Stationen damit oft nicht nur unhinterfragt neurechte Positionen übernehmen, sondern teilweise sogar die Inszenierung derselben. Zwei willkürliche Beispiele: die Wochenzeitung „Profil“ druckt in der aktuellen Ausgabe ein Foto Sellners auf die Titelseite, wo der radikale Stichwortgeber als hipper und jugendlicher Aktivist erscheint, als der „nette Rechte von nebenan“. Im Interview mit der Zeitschrift werden Sellner unverfängliche Fragen gestellt, etwa wie er die Arbeit der derzeitigen Bundesregierung bewerte. Der liberale „Standard“ druckt gleichzeitig ein Foto auf die Titelseite, auf der ein Mitglied der Identitären in inszenierter Machtpose auftritt, mitsamt Überschrift: „Die Einflussrechten“. Unzählige Medienangebote präsentieren Berichte über die „Identitären“ in ähnlicher Weise. Die Bildsprache entspricht dabei meist genau der Selbstwahrnehmung dieser Gruppe – mutig, kräftig, jung, entschlossen, machtvoll, „einflussrechts“.
Doch berichten Medien nun gar allesamt unkritisch und verantwortungslos über die „Identitären“? Tatsächlich varriert die Qualität der Berichterstattung sehr stark, doch der eigentliche demokratiepolitische Schaden entstehe schon dadurch, dass Medienhäuser rechtsextremen Akteuren offenbar auf Augenhöhe begegnen, erklärt Strobl. Alleine die enorme Präsenz, die Möglichkeit zur Selbstinszenierung und die Einflussnahme auf den gesellschaftlichen Diskurs verbuche die Gruppe als ihren eigenen Erfolg. Darüber hinaus trage diese Form der Berichterstattung zur Normalisierung rechtsextremer Positionen bei. Eine Sensibilisierung für den Umgang mit diesen gefährlichen Inhalten müsse sich in den Redaktionsstuben erst durchsetzen, eine kritische Berichterstattung über Rechtsextremismus bedeute demnach nicht, Akteuren aus diesem Milieu einen Raum für Selbstinszenierung zu bieten.
Übrigens: auf die Frage, wie zufrieden sich Martin Sellner mit der ÖVP-FPÖ-Regierung im erwähnten „Profil“-Interview zeigt, soll hier die Antwort genügen, dass die österreichische Regierung längst das Narrativ der Identitären übernommen hat, speziell in der Migrationspolitik. Zwar distanziert sich FPÖ-Vizekanzler Heinz Christian Strache mittlerweile offiziell von den Identitären, doch sind personelle und inhaltliche Überschneidungen mit der FPÖ bereits seit langem bekannt. Politikwissenschaftlerin Strobl gibt in einem Gespräch mit FM4 weiters zu bedenken, dass man für das geplante Prüfungsverfahren zur Auflösung der Gruppe erst das endgültige Resultat abwarten müsse. Im Falle eines Freispruchs hätte diese Bewegung „quasi ein staatliches Gütesiegel“, dass sie nicht kriminell und keine terroristische Vereinigung sei. In diesem Fall könnte die mediale Brandstiftung der Identitären einen erneuten Aufwind erfahren – mit heute noch ungeahnten Auswirkungen auf die Diskurskultur im Land.
Titelbild: Daniel Jamrič