Eine aktuelle Studie zeigt, dass das Risiko einer psychischen Erkrankung bei Menschen, die von Arbeitslosigkeit in einen bezahlten Job von acht Stunden pro Woche oder weniger wechseln, sinkt. Vor dem Hintergrund der Knappheit an Arbeitsplätzen und des technologischen Fortschritts lassen die Ergebnisse darauf schließen, dass die Arbeitszeit pro Person drastisch reduziert und generell besser aufgeteilt werden sollte, um Beschäftigung für alle zu ermöglichen.
Von Brendan Burchell, Hochschullehrer für Sozialwissenschaften am Institut für Soziologie der Universität Cambridge und Daiga Kamerāde, „Research Associate” am Centre for Business Research an der Universität Cambridge und „Senior Lecturer” für quantitative Forschungsmethoden an der Universität Salford.
Frage nach der optimalen Arbeitsdosis
Studien deuten darauf hin, dass zwischen 9 Prozent und 47 Prozent der Arbeitsstellen in den Industrieländern von Automatisierung betroffen sein könnten. Einige befürchten daher Unruhen aufgrund von Massenarbeitslosigkeit, andere können sich radikalere Veränderungen vorstellen, die zu einer zufriedenen Gesellschaft ohne Arbeit führen.
Abgesehen von den wirtschaftlichen Faktoren bringt Erwerbstätigkeit noch weitere Vorteile – meist psychologische – wie z. B. Selbstachtung und soziale Inklusion. Wir wissen, dass sich Arbeitslosigkeit bei Menschen oft nachteilig auf ihr Wohlbefinden, ihre Identität, ihren Status, ihre Zeitnutzung und ihr Bewusstsein für ihre kollektive Verantwortung auswirkt. Aber die Frage, die noch nie gestellt wurde, lautet: Was ist die optimale Arbeitsdosis – wie viel Arbeit brauchen wir für optimale psychische Gesundheit? Wir haben Richtwerte für die optimale Dosis von fast allem – von Vitamin C bis zur Anzahl der Stunden, die wir schlafen sollten, damit wir uns gut fühlen. Nun stellen wir zum ersten Mal die Frage nach der optimalen Arbeitsdosis.
Wir als Forscherinnen und Forscher an den Universitäten Cambridge und Salford haben uns die Aufgabe gestellt, eine empfohlene „Arbeitsdosis“ für optimales Wohlbefinden und psychische Gesundheit zu definieren. Wir nutzten die Daten einer Längsschnittstudie von Haushalten im Vereinigten Königreich, um das Wohlbefinden von 71.113 Personen im Alter von 16 bis 64 Jahren abzubilden, die ihre Arbeitszeiten über einen Zeitraum von 9 Jahren, zwischen 2009 und 2018, immer wieder änderten. Die Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer wurden zu Themen wie Ängsten und Schlafproblemen befragt, um ihre psychische Gesundheit zu beurteilen.
Acht Stunden sind genug
Unsere Studie wurde in der Fachzeitschrift „Social Science and Medicine“ veröffentlicht und zeigt, dass das Risiko der befragten Personen, psychische Gesundheitsprobleme zu bekommen, um durchschnittlich 30 Prozent reduziert wurde, wenn sie nach Arbeitslosigkeit oder Karenz zu einer Erwerbstätigkeit von acht Stunden bezahlter Arbeit pro Woche oder weniger übergingen (siehe Abbildung).
Es konnten jedoch keine Beweise dafür gefunden werden, dass mehr als acht Stunden Arbeit pro Woche weitere Vorteile für die psychische Gesundheit gebracht hätten. Eine übliche Vollbeschäftigung im Ausmaß von 37 bis 40 Stunden brachte für die psychische Gesundheit keinen signifikanten Unterschied im Vergleich zu geringeren Arbeitszeitausmaßen. Für die meisten Gruppen von befragten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern waren die Unterschiede in Bezug auf ihr Wohlbefinden im Vergleich der Kategorie mit den wenigsten Arbeitsstunden (1 bis 8 Stunden) mit der Kategorie mit den meisten Arbeitsstunden (44 bis 48 Stunden) gering.
Die Ergebnisse lassen zum Schluss kommen, dass für eine positive Auswirkung auf die psychische Gesundheit die „Dosis“ von ungefähr einem Tag Erwerbstätigkeit pro Woche ausreicht. Alles, was darüber hinausgeht, bringt keine Vorteile für unsere psychische Gesundheit. Die Studie gibt eine ungefähre Vorstellung, wie viel bezahlte Arbeit notwendig ist, um die psychosozialen Vorteile von Erwerbstätigkeit auszuschöpfen. Offensichtlich wird dafür nicht viel Erwerbstätigkeit benötigt.
Es wurde aber auch festgestellt, dass signifikante Unterschiede in Bezug auf psychische Gesundheit und Wohlbefinden zwischen Personen, die erwerbstätig sind, und jenen, die nicht erwerbstätig sind, bestehen und dass die Arbeitswoche ohne negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer deutlich verkürzt werden könnte.
Wir müssen die Arbeitszeit neu verteilen
Die Unterstützung von Arbeitslosen in einer Zukunft mit begrenzt verfügbarer Arbeit ist das Thema vieler politischer Diskussionen, z. B. von Diskussionen über ein allgemeines Grundeinkommen. Unsere Ergebnisse lassen jedoch darauf schließen, dass Arbeit unter der erwachsenen Bevölkerung besser aufgeteilt und Arbeitswochen drastisch gekürzt werden sollten. Die Arbeitswoche könnte unter diesem Gesichtspunkt sogar auf nur einen Arbeitstag reduziert werden, was eine deutlichere Verkürzung bedeuten würde als die 4-Tage-Woche, die derzeit in den Medien von Gewerkschaften in Großbritannien oder Österreich sowie von verschiedenen Think-Tanks diskutiert wird, und es gibt bereits dahingehende Versuche bei einigen Arbeitgebern in Schweden, Neuseeland und in Österreich.
In den nächsten Jahrzehnten könnte es sein, dass künstliche Intelligenz, Big Data und Robotertechnik für Arbeiten eingesetzt werden, für die derzeit noch Menschen bezahlt werden. Wenn es aber nicht ausreichend Arbeit für diejenigen gibt, die Vollzeit arbeiten wollen, dann müssen wir unsere derzeit gültigen Normen überdenken. Wir sollten dabei auch über eine Umverteilung von Arbeitsstunden nachdenken, damit jede und jeder auch in den Genuss der Vorteile von Erwerbstätigkeit für die psychische Gesundheit kommt, auch wenn das bedeutet, dass wir alle viel weniger Stunden pro Woche arbeiten. Unsere Studienergebnisse bedeuten einen wichtigen Schritt in Richtung der Überlegungen, welche Mindestanzahl an Stunden bezahlter Arbeit Menschen in der Zukunft benötigen, wenn es immer weniger Arbeit geben wird.
Politische Optionen
In unserer Studie gehen wir auch auf kreative politische Optionen in Bezug auf eine Zukunft mit begrenzt verfügbarer Arbeit ein, von „5-Tage-Wochenenden“ über nur ein paar Arbeitsstunden pro Tag bis zur Ausdehnung des bezahlten Urlaubs von Wochen auf Monate, ja sogar auf die Idee, dass man für ein Monat Arbeit zwei Monate auf Urlaub geht, wird in unserer Arbeit eingegangen.
Wir erörtern auch, dass die Reduktion und Umverteilung von Arbeitsstunden die „Work-Life-Balance“ positiv beeinflussen, die Produktivität steigern und die durch den Pendlerverkehr verursachten CO2-Emissionen reduzieren könnte. Der politische Vorschlag, der aus unseren Studienergebnissen folgen muss, um ein höheres Risiko von Verarmung und sozialer Ungerechtigkeit zu vermeiden, ist jedenfalls, dass die Arbeitszeit für alle verkürzt werden muss und nicht nur für ausgesuchte Gruppen von Menschen.
Das traditionelle Modell, in dem alle 40 Stunden pro Woche arbeiten, beruhte nie darauf, wie viel Arbeit den Menschen guttut. Unsere Studie lässt den Schluss zu, dass Mikrojobs denselben psychologischen Vorteil haben wie Vollbeschäftigung.
Die Qualität der Arbeit wird jedenfalls immer wichtig sein. Arbeitsstellen, bei denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht respektiert werden, die unsicher sind oder wo Null-Stunden-Verträge eine Rolle spielen, bringen nicht dieselben Vorteile für das Wohlbefinden, und das wird sich auch in der Zukunft wahrscheinlich nicht ändern.
Wenn Großbritannien und viele andere Staaten die jährlichen Produktivitätsgewinne in verkürzte Arbeitswochen investierten statt in Gewinne, hätte eine normale Arbeitswoche in zehn Jahren nur mehr vier Tage.
Wir arbeiten derzeit an einer Folgeanalyse, die Daten aus 28 europäischen Ländern inklusive Österreich zur Grundlage hat. Unsere Studienergebnisse deuten darauf hin, dass sich unsere Erkenntnisse in Bezug auf Großbritannien im Allgemeinen auch auf andere europäische Länder umlegen lassen.
Dieser Beitrag wurde am 27.08.2019 auf dem Blog Arbeit & Wirtschaft unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0 veröffentlicht. Diese Lizenz ermöglicht den NutzerInnen eine freie Bearbeitung, Weiterverwendung, Vervielfältigung und Verbreitung der textlichen Inhalte unter Namensnennung der Urheberin/des Urhebers sowie unter gleichen Bedingungen.
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