Die Sozialdemokratie wird nur dann eine Zukunft haben, wenn die Totengräber auf allen Ebenen verschwunden sind
Ein Kommentar von Michael Wögerer
Donnerstag, 23.00 Uhr – Der Rücktritt von Joy Pamela Rendi-Wagner, zehnte Vorsitzende der SPÖ seit 1945, stünde kurz bevor, heißt es in den Medien. In meiner Facebook-Blase brodelt es. Viele machen ihrem Ärger über die jüngsten Ereignisse Luft. Höchste Zeit mal darüber nachzudenken, wie es nach dem Gewitter weitergehen mag.
Wehret den Spekulanten! Kurzfristig geht gar nichts.
Der mediale Mainstream spekuliert bereits auf Hochtouren: Hebenstreit, Hacker, Hanke oder Kollross? Bekannte und weniger bekannte Namen werden zur Geisterstunde als Nachfolger der unglücklichen Joy aus dem Hut gezaubert. Es scheint als würde es reichen, der Kaiser bestimme die Thronfolge, und das Fußvolk würde dadurch zur Ruhe kommen.
Erschreckend, wie schematisch gedacht und infolgedessen geschrieben wird und wie wenig Raum es scheinbar für tatsächliche Veränderung gibt.
Doch viele SPÖ-Mitglieder haben dieses abgekartete Nachfolgespiel statt. Sie wissen bereits aus Erfahrung: Trotz der vorgegaukelten Neuerungen und Umbrüche. Es läuft weiter wie bisher.
Ein neuer Lack kann dem morschen Holz höchstens kurzfristig ein wenig Glanz verleihen. Solange nicht mit dem irren System gebrochen wird, dass die nächste Führungselite der SPÖ von der vorherigen bestimmt wird und sich bis auf ein bisschen Kosmetik nichts ändert, wird der Weg der alten Dame SPÖ weiter in den Abgrund führen.
Vor wenigen Tagen erzählte mir ein junger Genosse aus einem (noch) rot dominierten Wiener Flächenbezirk, dass es viel zu viele Sesselkleber in der Partei gäbe: “Denen geht es doch nur ums Geld und jetzt, wo es bergab geht, wollen sie noch möglichst viel rausholen”
Dieses Problem zieht sich von den mittleren bis zu den höheren FunktionärInnen durch. Die SPÖ hat sich von der Selbsthilfeorganisation der Arbeiterklasse zum Selbstbedienungsladen der “neuen Mitte” entwickelt und solange die Totengräber nicht auf allen Ebenen verschwunden sind, wird es keine Zukunft für die Sozialdemokratie geben.
Zahlreiche gute und wohlgemeinte Forderungen kursieren derzeit in der enttäuschten Parteibasis. Von der Direktwahl eines/r neuen Vorsitzenden bis zur Rückbesinnung auf den Hainfelder Parteitag. Was es aber als ersten Schritt bräuchte, ist jene zu stärken, die nicht aus purem Egoismus Teil dieser Bewegung sind. Denn Profilierungssucht und schiere Geldgier haben sich wie ein Virus in der gesamten Partei verbreitet. Es wird nichts nutzen, (wieder einmal) nur die Führungsebene auszutauschen.
Aufruf an alle Enttäuschten
Zieht euch nicht ins Privatleben zurück! Lehnt euch ruhig mal zurück, denkt nach und beginnt wieder zu spüren, warum ihr euch damals dazu entschieden habt Mitglied einer Partei zu werden, die die Interessen der vielen, vor jene der wenigen stellt. Egal ob ihr euch schon damals in der Jugendorganisation oder erst später als erwachsener Mensch gedacht habt, mit dieser Bewegung hätten wir den Hebel in der Hand die Welt zu verändern, erinnert euch an dieses Gefühl und hört nicht auf zu träumen!
Und eines ist klar: Es gibt immer etwas zu tun. Die Möglichkeiten jedes einzelnen, diese Gesellschaft ein bisschen besser zu machen, sind vielfältig. Augen auf, und durch!
Michael Wögerer (38) war von 2000 bis 2007 Mitglied und Funktionär der SPÖ im Bezirk Amstetten; Anfang 2008 trat er aus Protest gegen die gebrochenen Wahlversprechen der SP-geführten Regierung unter Bundeskanzler Alfred Gusenbauer aus allen Funktionen zurück und aus der SPÖ aus.
Titelbild: Gewitter (pxhere.com, CC0 Öffentliche Domäne)