Als Troll und Fake-News-Produzent hat man endlich wieder eine Aufgabe: Mobbing gegen Flüchtlinge und Greta hat sich totgelaufen – jetzt wird gegen Corona gehetzt.
Kommentar von R. Manoutschehri
Auf Social Media fängt gerade die nächste Schlacht um die Meinungshoheit zu gewissen Themen an – und es zeigt sich: Die wohl gefährlichste Pandemie ist jene des grassierenden Verdummungsvirus. Wer Quellen und Inhalte von Nachrichten und Posts nicht permanent kritisch hinterfragt und überprüft, gerät leichter denn je ins brackige Fahrwasser desinformativer und manipulativer Meinungsmacher.
Trolle in der Identitätskrise
Es war ungefähr 2015, als viele einsame und ob der Sinnlosigkeit ihres Lebens verzweifelte Zuhause-vor-dem PC-Sitzer eine neue Lebensaufgabe fanden: Das ausgegebene Motto von Rechtsaußen und aus dem Gulli der Geschichte Zurückgekehrten hieß: „Alles Böse kommt aus dem Ausland“.
Und von da an durchkämmten sie begeistert bis spätabends das Web, auf der Suche nach Nachrichten, die das auch ganz deutlich belegen und die man mit der begeisterten Menge auf Social Media teilen konnte, welche sich im gleichen Wahn befand. Selbst der asozialste, nutzloseste und unbekannteste Psycho konnte – versteckt hinter der zumindest vermeintlichen Anonymität des Webs – zum selbstgefühlten Helden mutieren, der seinen digitalen Kumpeln das Böse und die Ursachen aller Probleme der Welt aufzeigt …
Sehr bald zeigte sich jedoch, dass selbst die hochdramatischen Ereignisse der Flüchtlingskrise und alle international verübten Straftaten der letzten Jahrzehnte nicht ausreichten, um deutlich genug auf die Bedrohungslage durch „Fremde“ und „Asylanten“ aufmerksam zu machen und man griff zu gänzlich frei erfundenen, angeblichen Taten, Geschehnissen und Bildern, die man dem neuen Feindbild zuschreiben konnte.
Bald jagten dann selbst die allerdümmsten und aus jeglichem Zusammenhang gerissenen Bild- und Textmontagen quer durchs Web, denn die „Zielgruppe“ hatte bereits jegliche Kritikfähigkeit über Bord geworfen. Selbst bei den letztklassigsten Fake-Posts und Lügengeschichten wie „Flüchtling frisst Kind“ wurde das kaum mehr von jemand bezweifelt oder hinterfragt, weil man „es ja schon immer wusste“ und im Wesentlichen ja nichts anderes wollte, als in seinen Vorurteilen weiter bestärkt zu werden.
Wohin diese multimediale Gehirnwäsche letztlich führte, die von professionellen Trollfabriken bishin zur Masse schwer verhetzter „Einzelkämpfer“ getragen und verbreitet wurde, wissen wir inzwischen: Dem Erstarken einer „neuen Rechten“ in vielen Ländern der ersten Welt, welches so rasch und so drastisch ausfiel, dass es viele Ultrarechte sogar bis in Regierungsämter spülte, wo sie nachhaltigen Schaden für die Allgemeinheit anrichten konnten.
Doch da die antidemokratisch-nationalistisch-rassistisch-menschenfeindlichen Postionen dadurch plötzlich über Mainstream-Medien und im Tarnmantel „konservativer Werte“ verbreitet wurden, fühlten sich viele rechte Meinungskrieger plötzlich wieder genauso nutzlos wie vor der Flüchtlings-Hetze. Einige fanden neue Aufgabengebiete und Feindbilder, gegen die man mit Fake-News, alternativen Fakten und schlichten Gemeinheiten mobben konnte – darunter etwa gegen den Klimawandel und Klimaschützer wie Greta oder gegen vorrangig jüdische Milliardäre, welche eine Weltverschwörung planen – doch im Wesentlichen sahen sie sich wieder in der Bedeutungslosigkeit versinken.
Bis jetzt – denn es ist ein neues Thema aufgetaucht, hinter dem sich wieder alle aus dieser Szene vereinen können, die ihrem Lebensfrust auch völlig faktenfrei und realitätsfern Ausdruck verleihen und mal wieder so richtig die Sau rauslassen wollen: „Corona“.
Die Fake News Produzenten sind wieder da
Es ist wohl kein Zufall, dass in akuten Krisen eher unnütze und schweigsame Kreise nun mit den ersten Lockerungen des Lock-Downs eine Chance wittern, die größtenteils noch verunsicherte, jedenfalls aber nur teilweise informierte Bevölkerung „einzufangen“, bzw. „für sich gewinnen“ wollen.
Und es ist wohl auch kein Zufall, wenn zeitgleich mit dem Aufgreifen des Corona-Themas durch rechte Parteien auch in Social Media wieder das aus der Flüchtlingskrise bestens bekannte Erscheinungsmuster wenig- bis halbprofessioneller Fake News startet, die schwere Falsch- und Desinformation zu allen Detailbereichen der Pandemie und ihren Auswirkungen, vor allem aber an deren angeblichen Schuldigen verbreiten wollen.
Die Taktiken sind die Gleichen geblieben: Um die Deutungshoheit bewährter Autoritäten zu schwächen, werden diese diskreditiert und Pseudo-Autoritäten mit Anti-Thesen aufgebaut. Erweisen sich deren Positionen als fachlich unhaltbar, wird via Social Media und befreundete Medien „Meinung gemacht“, wobei dann zu jeder noch so dummen Lüge gegriffen wird, um die Meinung zu einem Thema in eine gewünschte Richtung zu kippen: „Das ist gut – und das ist schlecht“ – um mehr geht es meist gar nicht.
Wenn die Social Media Schlacht eröffnet ist, steht nicht mehr die Qualität von Aussagen und Argumenten im Vordergrund, sondern die schiere Masse an ständig wiederkehrender Desinformation. Wird etwas als Fake News enttarnt, stehen bereits die nächsten Zehn mit identen Grundaussagen zur Verfügung.
Als thematisch „großer Aufhänger“ dient aktuell die „Bedrohung der persönlichen Freiheit“ durch Maßnahmen zum Schutz gegen die Pandemie. Die erste Welle der Desinformationskampagnen dazu rückt eine Masken- und Impfplicht gegen Covid-19 in den Mittelpunkt, obwohl Beides eigentlich von kaum einer Regierung geplant wird. Aber mit Impfgegnern fängt man per sé eine große Zielgruppe ein und das Tragen von Masken erscheint den meisten Menschen naturgemäß als lästig.
Besonders perfide dabei ist, dass Viele bei vermeintlichen „Bewegungen“ andocken, weil sie all dies für System- und Regierungskritik halten, die ja angesichts vieler in der Krise deutlich zutage getreteten Schwächen durchaus berechtigt ist und wäre, wenn sie denn auf realistischen Problemstellungen und evidenzbasierten Lösungsvorschlägen fußen würde.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch deutlich, dass es niemand von den „Betreibern“ solcher Kampagnen wirklich um das jeweilige Thema geht und dass auch die Versuche, Gruppierungen wie „Widerstand2020“ zu bilden, nur im Bereich von Astroturfing anzusiedeln sind. Wie bei den einzelnen Fake News werden die vordergründigen Themen einfach ausgetauscht, wenn sie sich totlaufen oder zuwenig „bringen“.
Wie man auch selbst zum Schreibtischattentäter werden kann
Zu den altbekannten Verschwörungstheorien haben sich inzwischen etliche Neue gesellt, die vor allem auch junge Zielgruppen, also quasi den Nachwuchs im Auge haben. Sie werden bevorzugt über YouTube und von selbstgefühlten Influenzern, Möchtegern-Promis und Pseudo-Experten verbreitet. Manchmal schwurbeln in diesem zumeist eher bildungsfernen Chor leider auch einstmals echte Fachleute mit, denen man ansonst keinerlei Beachtung mehr in der Öffentlichkeit schenken würde, weil sie längst den Anschluss an die Neuzeit verloren haben.
Deren „Botschaften“ gehören quasi zum Grundstock des Allgemeinwissens all jener, die überdeutlich plakativ zu „eigenständigem Denken“ und/oder der Nutzung des „Hausverstands“ aufrufen, anstatt sich von meist nicht näher definierten Kräften „manipulieren zu lassen“. Der Witz an diesem Selbstverständnis ist allerdings, dass es genau dieser Personenkreis ist, der sich am leichtesten manipulieren lässt, solange es nur als von der Regierung oder vom Mainstream „unterdrückte Wahrheit“ daherkommt.
Solcherart „vorgeprägt“ fallen zunehmend mehr Menschen auf Fake News oder „alternative Fakten“ herein, welche die bereits bestehende „Grundmeinung“ bestätigen und verstärken. Kommen solche Meldungen zudem noch von Leuten oder Plattformen, die generell ähnliche Meinungen vertreten, wie man selbst, versagen die kritischen Schutzfunktionen bei Vielen vollends und jede Meldung oder Post wird völlig ungeprüft sofort weiter geteilt und verbreitet. Die Opfer von Desinformation werden somit selbst zu Tätern.
Und macht man jemand auf falsche Inhalte aufmerksam, wird dies selbst unter Freunden oftmals mehr als persönlicher Angriff gewertet, denn als Versuch der Information. Ein konstruktiver Meinungsaustausch oder Diskussionen mit dem Ziel einer Konsensfindung oder zumindest eines Erkenntnisgewinns finden dadurch immer seltener statt. Mit zunehmendem Verlust kritischer Differenzierung zwischen richtigen und falschen Argumenten oder Fakten prallen stattdessen nur mehr Meinungen aufeinander und es entstehen sich selbst verstärkende „Meinungsblasen“ in Social Media, die immer größer und zugleich immer radikaler und realitätsferner werden.
Masken, Mediziner und Milliardäre führen die Fake News Shitlist an
Hier gilt es aktuell besonders genau hinzusehen: Die derzeit „beliebtesten“ Fake News scheinen solche über den Nutzen bzw. sogar die angebliche Gefährlichkeit von Mund-Nasen-Schutz (MNS) Masken zu sein.
Und eigentlich ist diese pure Verdummungskampagne ein Musterbeispiel für absolute Sinnlosigkeit, weil damit nichts Anderes bewirkt werden kann, als Misstrauen gegen die bewährten Autoritäten zu säen. Denn eine umfassende Maskenpflicht ist in Europa derzeit überhaupt nicht geplant und Zweck und Nutzen solchen Schutzes ist seit über einem Jahrhundert unbestritten.
Schutzmasken sind fixer Bestandteil im weltweiten medizinischen und Gesundheitsbereich. Auch im Handwerk bishin zum Kriegseinsatz sind sie in verschiedenen Normen etwas völlig alltägliches. Und in vielen Feinstaub- und Smog-belasteten Metropolen dieser Welt gehören sie schon seit Jahren zum Standard-Outfit jedes Normalbürgers. In jüngster Zeit wurden sogar explizite Testreihen im Hinblick auf Coronaviren gemacht – und es bestehen deutlich mehr Gründe, MNS zu tragen, als es aus Bequemlichkeit nicht zu tun.
Wer also pseudomedizinsche Text- und Bildcollagen aus der Feder Rechter oder sonstiger bildungsferner Verschwörer weiterverbreitet, in denen z.B. davor gewarnt wird, dass man krank werden oder gar sterben könnte, wenn man MNS etwa beim Sport trägt, und das mit einem aus dem Internet geklauten Röntgenbild eines Krebspatienten zu belegen versucht, der muss sich darüber klar werden, dass er am Niveau von „Flüchtling frisst Kind“ und „die Erde ist eine Scheibe“ operiert.
Wenn man nicht gut genug „aufpasst“ und nicht permanent sowohl die Quellen als auch die Inhalte von Nachrichten und Posts kritisch hinterfragt und überprüft (und dies gilt heute selbst für die ehemaligen „Qualitätsmedien“), gerät man in Gefahr, sich eines Tages selbst als der Eingangs erwähnte „Troll in der Identitätskrise“ wiederzufinden … Also Obacht, Freunde.