Viele gehören zu den VerliererInnen der Corona-Krise. Der massive Anstieg der Arbeitslosigkeit ist nur ein Teil davon. Geflüchtete Personen gehören zu den besonders marginalisierten Gruppen in der Gesellschaft. Über sie wird kaum debattiert, obwohl sie wie kaum eine andere Gruppe von der Krise betroffen sind. Für diese Gruppe ist der Zustand existenzbedrohend. Speziell auf Flüchtlinge zielgerichtete Arbeitsmarktmaßnahmen sind dringend gefordert. Dies steht aber nicht zuvorderst auf der Agenda der aktuellen Bundesregierung.
Von Christian Schörkhuber, Geschäftsführer Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung OÖ und Mitglied im Integrationsbeirat des BKA/Integrationsministerium.
Flüchtlinge – Gefahr von dauerhaften Working Poor
Trotz Kurzarbeit und anderer Unternehmenshilfen liegt die Arbeitslosigkeit in Österreich im April mit über 570.000 arbeitslosen Menschen und einer Arbeitslosenquote von 12,8 Prozent höher als jemals zuvor in der Zweiten Republik.
Die Konjunkturprognosen lassen erahnen, dass sich diese Situation nicht allzu bald ändern wird. Viele Flüchtlinge aus den Jahren 2015/16, welche erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert werden konnten, sind im Niedriglohnsektor beschäftigt. Sie sind dem erhöhten Risiko ausgesetzt, auf Dauer Working Poor zu bleiben oder dorthin abzugleiten.
Arbeitsmarktintegration 2015 bis 2019 – trotz Hürden eine Erfolgsgeschichte
Von den AsylwerberInnen, die 2015 Asyl oder subsidiären Schutz bekamen und beim AMS gemeldet waren, arbeiteten Ende Jänner 2020 bereits 45,5 Prozent. Von den positiv entschiedenen Fällen aus dem Jahr 2016 haben mittlerweile bereits 42,1 Prozent einen Job, von jenen Flüchtlingen, die 2018 gekommen sind und einen Aufenthaltsbescheid bekamen, bereits 40,6 Prozent.
Von April bis Dezember 2019 gelang es, die Arbeitslosenzahl bei arbeitslos gemeldeten Flüchtlingen nochmals deutlich zu senken, obwohl die Arbeitslosigkeit insgesamt betrachtet anstieg. Im Jänner 2020 waren österreichweit nur noch 16.882 Asylberechtigte und 2.776 subsidiär Schutzberechtigte arbeitslos gemeldet.
Das Ziel des AMS, die Erwerbsquote der Flüchtlinge im Laufe des Jahres 2020 auf über 50 Prozent anzuheben, schien sehr realistisch zu sein. Dies, obwohl die Vorgängerregierung einiges unternahm, um die Arbeitsmarktintegration zu erschweren.
So wurde das erfolgreiche Modell des Integrationsjahres abgeschafft, Integrationsprojekte wurden gekürzt, Deutschkurse für AsylwerberInnen vom Bund auf syrische AsylwerberInnen eingeschränkt und Arbeitsmarktprojekte für Asylberechtigte massiv reduziert.
Von den Folgen des Corona-Lockdowns sind nicht alle gleich betroffen
Oberflächlich betrachtet macht das Virus keine Unterschiede nach Hautfarbe, Nationalität, Sprache oder Herkunft. Es kennt auch keine Ländergrenzen.
In der Beratung und Betreuung von Geflüchteten, die trotz der vielen Einschränkungen aufrechtgeblieben ist, hat sich bald gezeigt, dass das Gegenteil der Fall ist. Die ökonomischen Auswirkungen der Corona-Pandemie und die dazu getroffenen politischen Maßnahmen spalten und vertiefen die gesellschaftlichen Ungleichheiten.
Innerhalb weniger Wochen stieg die Arbeitslosigkeit rapide an, viele wurden in Kurzarbeit geschickt. Gegenüber Jänner stieg die Arbeitslosigkeit bei Asylberechtigten bis April um 47,6 Prozent, bei den subsidiär Schutzberechtigten gar um 66,9 Prozent.
Während sich die Mittelschicht auf Homeoffice zurückgezogen hat und mit der richtigen Netzwerkgeschwindigkeit ihre Mühe hat, sind Bauarbeiter, VerkäuferInnen, 24-Stunden-Betreuerinnen, Reinigungskräfte, LeiharbeiterInnen, Menschen mit prekären Arbeitsverhältnissen und andere jeden Tag einer hohen Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Dazu kommen die ungleichen Auswirkungen eingeschränkter Bewegungsfreiheit und ungleicher sozialer Risiken der Wirtschaftskrise.
Die Auswirkungen hängen stark vom Ausbildungsgrad und Einkommen ab, so eine aktuelle Studie der Universität Wien. Bei drei Viertel der unselbstständig Beschäftigten hat sich die Arbeitssituation seit Corona deutlich verändert. Viele wissen nicht, wie sie ihre Zahlungen tätigen sollen. Ein Befund, der sich in den täglichen Beratungen von Flüchtlings- und MigrantInnenorganisationen widerspiegelt. „Die Auswirkungen werden gewaltig sein und lange nachwirken“, fasste eine Flüchtlingsberaterin in einem internen Tätigkeitsbericht zusammen.
Kaum eine Person bzw. eine Familie mit Fluchthintergrund ist nicht stark betroffen. Viele arbeiten trotz guter Qualifizierung im Niedriglohnsektor. Jetzt rächt sich, dass aufgrund von AMS-Budgetkürzungen Qualifizierungsmaßnahmen für Flüchtlinge reduziert wurden und einer schnellstmöglichen Arbeitsmarktintegration vor Qualifizierung der Vorzug gegeben wurde.
Ein guter Teil der Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten verdient daher in der Gastronomie und in der Tourismusbranche ihr Geld. Viele versuchten ihr Glück auch als kleine Selbstständige (HandwerkerInnen, BlumenverkäuferInnen, PaketzustellerInnen, …) und stehen nun ohne Absicherung da. Für jene, die es bisher noch nicht geschafft haben, einen Job zu bekommen, oder erst jetzt einen positiven Asylbescheid und somit Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, wird es besonders schwierig werden. Integration ist ein Prozess, der über einen längeren Zeitraum läuft. Dieser Prozess wurde durch COVID-19 und dessen Auswirkungen abrupt unterbrochen.
Subsidiär Schutzberechtigte – die großen VerliererInnen der Krise
Ganz besonders betroffen von der Krise sind subsidiär schutzberechtigte Flüchtlinge. Subsidiär Schutzberechtigte (SUB) sind Personen, deren Asylantrag zwar abgewiesen wurde, aber deren Leben oder Gesundheit im Herkunftsland aufgrund von drohender Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe bzw. Behandlung, Todesstrafe oder gravierender Verletzung eines Menschenrechts bedroht wird.
SUBs, so die Abkürzung, erhalten vorübergehenden Aufenthalt und Arbeitsmarktzugang. Aufgrund ihres nur temporären Aufenthaltsstatus wird weniger Wert auf Qualifizierungsmaßnahmen gelegt. Die Arbeitslosigkeit ist überdurchschnittlich hoch. Wenn sie Arbeit finden, dann mehrheitlich im Niedriglohnsektor. Häufiger Wechsel des Arbeitsplatzes ist die Regel. Viele von ihnen haben noch keine Anwartschaft auf Arbeitslosengeldbezug. In Oberösterreich sind SUBs gänzlich von der Sozialhilfe ausgeschlossen, und im Falle von Arbeitslosigkeit wird die Familienbeihilfe wieder gestrichen (Familienbeihilfe erhalten SUBs nur bei vollversicherter Beschäftigung). Fehlende Integration wirkt sich zudem negativ auf eine Aufenthaltsverfestigung in Österreich aus.
COVID-19 als Armutsfalle
Flüchtlinge sind in der Krise von mehrfacher Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung bedroht. Viele brauchen zusätzlich zu ihrem Haupteinkommen ein Zweit- oder Dritteinkommen. „Gelegenheitsjobs“, mit denen gerade Familien zusätzliches Einkommen erarbeiten konnten, um ihre Miete zu bezahlen und ihre Kinder ohne Hunger aufwachsen zu lassen, sind nun oftmals ersatzlos weggefallen. Die Überschuldungsgefahr für private Haushalte wird sich bis zum Herbst massiv erhöhen.
Spuren der Verwüstung
Das Coronavirus hinterlässt auch psychische Spuren in unserer Gesellschaft. Ausgangssperren und Beschränkungen der Sozialkontakte haben starke psychosoziale Folgen.
Die Ergebnisse einer Umfrage unter PsychotherapeutInnen zeigen, dass sich die Corona-Krise überwiegend negativ auf PatientInnen der Psychotherapie auswirkt: 70 Prozent der TherapeutInnen berichten über ausschließlich negative Auswirkungen. 16,3 Prozent der TeilnehmerInnen geben sowohl negative als auch positive Auswirkungen der Maßnahmen an.
Was die psychische Gesundheit ihrer PatientInnen betrifft, berichten PsychotherapeutInnen von starken Belastungen: Durch die staatlichen Maßnahmen verschlimmern sich Symptome und bereits überwundene Traumata werden wieder aktiv.
Menschen mit Fluchterfahrung sind von den psychischen Folgen oft besonders betroffen. Meist leben sie auf engem Raum zusammen, haben bereits in der Vergangenheit traumatische Erfahrungen gemacht und sind oft nicht ausreichend in soziale Sicherheitsnetze integriert. Nachdem sie es schon einmal geschafft haben, aus einer lebensbedrohlichen Situation zu fliehen, unterliegen sie nun erneut der Gefahr, angesichts der viralen Bedrohung traumatisiert oder retraumatisiert zu werden. Auch die Sorgen um Angehörige im Herkunftsland sowie der Verlust der Berufstätigkeit können zur allgemeinen Beunruhigung beitragen.
Im Therapiezentrum OASIS der Volkshilfe melden sich auch ehemalige Flüchtlinge aus Bosnien. Leere Supermarktregale und Einschränkungen der sozialen Kontakte lösen noch Jahrzehnte danach Panikattacken aus. Die Vergangenheit kehrt zurück.
Menschenrechte sind bedroht!
Gerade in Krisenzeiten sind es vor allem Flüchtlinge, die als Erste massiv und umfassend davon betroffen sind. In der Pandemie hat sich die Abschottung der EU gegenüber Flüchtlingen weiter verschärft. Beispiele dafür sind die Aussetzung des Asylrechts in Griechenland mit Duldung der EU oder die menschenrechtswidrigen Polizeipraktiken an der EU-Außengrenze am Balkan (Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien).
Seit Ende März vom Innenministerium per Erlass klargestellt worden war, dass AsylwerberInnen die Einreise verweigert werde, wenn sie kein gültiges Gesundheitszeugnis vorlegen können, ist auch in Österreich das Asylgesetz de facto ausgehebelt worden.
Wie lange die Grenzschließungen innerhalb der Europäischen Union auch nach Überwindung von COVID-19 dauern werden, ist unklar.
Krisen bieten keine Chancen!
Krisen bieten aber auch Chancen, ist von OptimistInnen zu hören. Mag sein, dass dies für einige wenige KrisengewinnlerInnen der Fall ist. Für Weniger- bzw. Nichtprivilegierte, wie es Flüchtlinge sind, werden sich durch COVID-19 und die Folgen die Integrationschancen verringern, die Ungleichheiten verschärfen, die sozialen Distanzen erhöhen und existenzielle Bedrohungen verfestigen bzw. vermehren!
Notwendige Sofortmaßnahmen wären unter anderem eine massive Ausweitung der psychotherapeutischen Angebote, Zugang zur Sozialhilfe für die Gruppe der subsidiär Schutzberechtigten, arbeitsmarktpolitische Projekte für die Gruppe der Asylberechtigten, Unterstützungsangebote bei drohender Wohnungslosigkeit oder Ausbau der bestehenden Lernförderungsangebote, da SchülerInnen aus sozioökonomisch belasteten Familien Gefahr laufen „(Bildungs-)Verlierer“ der aktuellen Situation zu sein.
Wohin die Reise geht, ist nicht zuletzt abhängig vom Verlauf gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Hierbei müssen die Zivilgesellschaft und Gewerkschaften eine wichtige Rolle einnehmen. Die Zeit drängt, damit soziale Spaltung, Ausgrenzung, Abschottung und weniger Freiheitsrechte nicht dauerhaft Fuß fassen können.